Lange hatte sich Boris Johnson trotz gewaltiger Gegenwehr gegen einen Rücktritt gesträubt. Bild: picture alliance / empics | Frank Augstein
watson antwortet
Nach weniger als drei skandalreichen Jahren tritt Boris Johnson als Vorsitzender der Konservativen zurück. In der Folge muss er auch das Amt des Premierministers niederlegen.
Von scheidenden Premierministern wird in Großbritannien normalerweise erwartet, dass sie im Amt bleiben. Zumindest, bis ein Nachfolger gefunden ist. Durch das heftige Beben, das die Skandale rund um Johnson verursacht haben, ist das weitere Vorgehen in London jedoch fraglich. Boris Johnson will vorerst Regierungschef bleiben, wie er am Donnerstag verkündete.
Zahlreiche Politiker finden: Ein Übergangs-Premier muss her. Das Tauziehen um die britische Politspitze beginnt. Eine Analyse.
Der langsame Fall des Premiers: Warum erst jetzt?
Partygate, Spendenaffäre und übergriffige Parteifreunde: Aus Protest gegen die immer länger werdende Liste der Skandale und Affären um den britischen Premierminister Boris Johnson sind seit Dienstagabend fast 60 Minister und andere Regierungsvertreter zurückgetreten. Bis zum Schluss hat Johnson sich gegen seinen eigenen Rücktritt gewehrt.
Selbst als sich die Lage in den vergangenen Tagen zuspitzte, ließ sich der 58-jährige Johnson nicht umstimmen: Er wolle im Amt bleiben. Ein Rücktritt werde "Chaos" verursachen und den Konservativen "fast sicher" eine Niederlage bei der nächsten Wahl beschweren, argumentierte Johnson laut "Daily Mail".
Boris Johnson erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt.Bild: ap / Alberto Pezzali
Anfang Juni hatte Johnson nur knapp ein parteiinternes Misstrauensvotum überstanden. Zahlreiche Politiker bekräftigen nun, er hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt zurücktreten müssen.
Während seines Rücktritts am 7. Juli zeigte der scheidende Premier, wie sehr ihm der Schritt zusetzt: "Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben", sagte Johnson.
Warum besetzte Johnson kurz vor dem Rücktritt das Kabinett neu?
Boris Johnson hat kurz vor dem Rücktritt am Donnerstag einige Kabinettsposten neu besetzt. Der Hintergrund: Mehrere Minister sind in den vergangenen Tagen aus Protest gegen Johnsons Führungsstil zurückgetreten und riefen den Premier ebenfalls zum Rückzug auf.
Seine langjährigen Vertrauten James Cleverly und Rit Malthouse beauftragte er am Donnerstag mit der Leitung des Bildungsministeriums beziehungsweise der zentralen Regierungsbehörde Cabinet Office. Den früheren Wirtschaftsminister Greg Clark, einen Brexit-Gegner, ernannte er zum Minister für "Levelling Up", also Angleichung der Lebensverhältnisse.
Der Johnson-Vertraute James Cleverly wurde kurz vor Johnsons Rücktritt zum Bildungsminister ernannt.Bild: picture alliance / empics | Aaron Chown
Der ehemalige Justizminister Robert Buckland, den Johnson erst im September 2021 feuerte, ist nun Staatsminister für Wales. Als möglich gilt, dass Johnson mit den Neubesetzungen versuchen will, seinen Verbleib als Übergangspremier zu sichern. Dagegen regt sich jedoch heftiger Widerstand.
Bleibt Johnson bis im Herbst im Amt?
Boris Johnson will nach seinem Rücktritt als Tory-Parteichef bis zur Wahl eines Nachfolgers als Premier im Amt bleibt. Britische Journalisten berichteten von zahlreichen konservativen Abgeordneten, die sich für eine unmittelbare Ablösung Johnsons an der Spitze der Regierung aussprechen.
BBC-Politikredakteur Chris Mason berichtete etwa auf Twitter, nach Johnsons Rücktritt als Parteichef solle über den Sommer ein Nachfolger für ihn als Parteichef gesucht werden, um ihn im Oktober zu ersetzen. Wie lange Johnson tatsächlich im Amt bleiben wird, ist also vorerst fraglich.
Wer kommt als Johnsons Nachfolge infrage?
Die Rücktrittserklärung Johnsons wird wohl einen Wahlkampf innerhalb der konservativen Partei auslösen, ähnlich wie es 2019 nach dem Rücktritt der ehemaligen Premierministerin Theresa May geschah.
Mehrere Kabinettsmitglieder gelten als potenzielle Nachfolger:
Liz Truss
Außenministerin Liz Truss brach Berichten zufolge eine Reise nach Indonesien ab und begab sich auf die Rückreise nach London. Die Außenministerin wird in der konservativen Partei für ihre Offenheit und ihr Durchsetzungsvermögen geschätzt. Allerdings hat dies auch Fragen zu ihrem Urteilsvermögen aufgeworfen, zum Beispiel als sie im Februar Briten zum Kampf in der Ukraine aufforderte.
Liz Truss wird für ihre Offenheit geschätzt.Bild: picture alliance / Photoshot
Rishi Sunak
Der erste hinduistische Finanzminister Großbritanniens wurde lange als Favorit für die Nachfolge von Johnson gehandelt. Doch Fragen zu seinem beträchtlichen Privatvermögen und Steuertricks seiner Familie schadeten zuletzt seinem Ruf. Als Finanzminister trat Sunak am Dienstag aus Protest gegen Johnsons Amtsführung zurück, was die Spekulationen um seine eigenen Ambitionen anheizte.
Sajid Javid
Der frühere Investmentbanker und Sohn eines pakistanischstämmigen Busfahrers gehört dem wirtschaftsliberalen Flügel der Konservativen an. 2020 war er bereits im Streit mit Johnson als Finanzminister zurückgetreten, wurde gut ein Jahr später jedoch als Gesundheitsminister erneut ins Kabinett berufen. Der 52-Jährige hatte Johnson lange verteidigt, trat nun aber zusammen mit Finanzminister Sunak erneut zurück.
Ben Wallace
Der Verteidigungsminister hat im Zuge der Ukraine-Krise an Beliebtheit gewonnen. Der 52-jährige ehemalige Offizier gilt als geradlinig und kompetent. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage unter Tory-Mitgliedern wäre er bei einer Neuwahl des Parteivorsitzenden der Top-Favorit.
Penny Mordaunt
2019 wurde sie die erste britische Verteidigungsministerin, derzeit ist die 49-jährige Staatsministerin für Außenhandel. 2016 kämpfte sie für den Brexit. Die Reservistin der Royal Navy gilt als gute Rednerin. Einige sehen in ihr eine Kompromisskandidatin für den Vorsitz der zerstrittenen Tories. Laut einer YouGov-Umfrage hat sie nach Wallace die zweitgrößten Chancen auf das Amt der Parteichefin nach Wallace.
Auch Penny Mordaunt gilt als Top-Favoritin.Bild: picture alliance / empics | Aaron Chown
Jeremy Hunt
Der frühere Außen- und Gesundheitsminister unterlag 2019 im Rennen um den Parteivorsitz der Konservativen. Der frühere Geschäftsmann, der fließend Japanisch spricht, gilt als besonders belastbar, jedoch wenig charismatisch. Im vergangenen Monat leitete Hunt mit klarer Kritik am Parteichef recht unverhohlen einen erneuten Versuch ein, ihm den Chefposten streitig zu machen.
Nadhim Zahawi
Sunaks Nachfolger als Finanzminister hatte sich zuvor einen Namen als Verantwortlicher für Großbritanniens Corona-Impfkampagne gemacht. Davor war er Bildungsminister. Der 55-Jährige kam als Kind als Flüchtling aus dem Irak nach Großbritannien. Auch Zahawis Ruf wird von Fragen nach seinem Privatvermögen überschattet.
Tom Tugendhat
Der 49-jährige ehemalige Armeeoffizier ist ein prominenter Abgeordneter und Vorsitzender im einflussreichen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Eine Kandidatur im Falle eines Führungswechsels hat er angedeutet, parteiintern steht ihm das Lager der Johnson-Anhänger jedoch kritisch gegenüber. Profiliert hat er sich unter anderem mit einer harten Haltung gegenüber China und Kritik am Truppenabzug aus Afghanistan.
(mit Material von dpa)
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