Großbritannien will panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine liefern. Die Ankündigung löste eine hitzige Diskussion aus: Wie gefährlich ist das? Führt das zu einer weiteren Eskalation? Denn: Kurz darauf verkündete der russische Präsident Wladimir Putin, Russland werde als Reaktion taktische Nuklearwaffen in Belarus stationieren.
Die Verwendung von abgereicherter Uran-Munition ist umstritten, weil das Metall giftig ist – sowohl für die Soldat:innen als auch für Menschen, die im Kriegsgebiet leben.
Doch von vorne: Was steckt hinter dieser Uran-Munition und wie gefährlich ist sie wirklich? Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov schätzt im Gespräch mit watson die Lage ein.
Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt, das bei der Anreicherung von Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken oder bei der Herstellung von Atomwaffen entsteht. Es ist etwa 60 Prozent weniger radioaktiv als Uran im Naturzustand. Uran hat eine sehr hohe Dichte und ist etwa 1,7 Mal so dicht wie Blei.
Es ist so hart, dass es beim Auftreffen auf ein Ziel seine Form nicht verändert. Deshalb wird abgereichertes Uran eingesetzt, um Granaten und Bomben mehr Durchschlagskraft zu verleihen. Laut Gerasimov schwärmen Militärs von den panzerbrechenden Eigenschaften solcher Munition. Ihm zufolge handelt es sich im Endeffekt um Panzermunition mit einem "Pfeil" im Kern, mit abgereichertem Uran, der eine vielfach größere Dichte als gewöhnliche Geschosse hat.
Die Ankündigung Londons, Uran-Munition an Kiew zu schicken, lässt sich laut Gerasimov auf drei Ebenen betrachten – ökologisch, militärisch und machtpolitisch. Auf allen drei Ebenen sei die Bewertung äußerst ambivalent.
Laut Gerasimov wird aus ökologischer Sicht schon seit Jahrzehnten darüber gestritten, ob die DU-Munition (Depleted Uraniun), zu langandauernden Schäden für Menschen und Umwelt im Einsatzgebiet führt. Dabei verweisen Befürworter:innen und Gegner der Munition auf verschiedene Untersuchungen, um ihre Darstellungsweisen zu stützen.
Gerasimov zufolge bestreiten britische und amerikanische Militär rigoros jegliche langfristigen Auswirkungen der Munition für Umgebung oder Soldat:innen. "Sie verweisen dabei auf teils eigene Studien zu Folgen von DU-Munition im Einsatz", erklärt er.
Laut dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, ist Uranmunition nicht radioaktiv und "nicht einmal nahe dran", als Atomwaffe zu gelten. Die Verwendung von Uranmunition oder auch DU-Munition ist nach internationalem Recht demnach nicht verboten. Das sieht die Ärzteorganisation "International Physicians for the Prevention of Nuclear War" (IPPNW) allerdings anders.
Gerasimov sagt dazu:
Besonders in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie im Irak sollen die Krebsraten unter der Lokalbevölkerung und Soldat:innen um ein Vielfaches gestiegen sein, meint der Experte.
Auch jetzt – im Fall der Ukraine – scheiden sich die Geister. Laut Gerasimov warnen ukrainische Militärbeobachter:innen scharf vor einem massiven Einsatz von Uran-Munition. "Sie befürchten, dass weite ukrainische Territorien toxisch und radiologisch verunreinigt werden könnten", erklärt der Konfliktbeobachter.
Der Einsatz von Uran-Munition würden zu katastrophalen Folgen für die ukrainische Bevölkerung, Natur und Landwirtschaft führen. Die Dekontamination der Böden könne Jahrzehnte dauern.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) stuft abgereichertes Uran als giftiges und radioaktives Schwermetall ein. Beim Aufprall auf ihr Ziel setzen die Geschosse Uranoxid und -partikel frei. Nach Angaben der kanadischen Atomsicherheitskommission ist das gesundheitliche Hauptrisiko nicht die Radioaktivität, sondern die chemische Giftigkeit des abgereicherten Urans.
Demnach kann die Aufnahme oder das Einatmen hoher Mengen die Niere beeinträchtigen und über längere Zeit das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Viele Studien kamen jedoch zu dem Schluss, dass es keine Beweise für die Schädlichkeit von abgereichertem Uran gibt. Diese Ergebnisse bleiben jedoch umstritten.
Aus rein militärischer Sicht werde die Lieferung von Uran-Munition vermutlich keine großen Veränderungen auf dem Schlachtfeld herbeiführen können, meint Gerasimov.
Er sagt:
Mit der Uran-Munition werde demnach nur eine weitere Munitionsart mit ähnlichen panzerbrechenden Eigenschaften eingeführt, die bereits beide Seiten im Krieg verwenden.
Gerasimov ist wenig überrascht über die Reaktionen auf die Ankündigung Londons, Uran-Munition zu liefern. Kurz darauf meldete sich der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko und stellte die Stationierung von russischen Atomwaffen in Belarus als Reaktion in Aussicht. Sollte London Munition mit abgereichertem Uran an Kiew liefern, "dann wird Russland uns eben Munition mit echtem Uran liefern", sagte Lukaschenko vor belarussischen Journalist:innen.
In der Tat, nur wenige Tage später kündigte Putin die Stationierung von taktischen Atomwaffen auf dem Territorium von Belarus an. "Debatten über eine mögliche Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus gab es schon länger, allerdings ging Moskau diesen Schritt bislang nicht", sagt Gerasimov. Doch nun liefere London, Moskau und Minsk den perfekten Vorwand, diesen Schritt zu gehen. "Und sie stellen es als eine Reaktion auf die britischen Lieferungen von Uran-Munition dar", sagt der Experte.
(Mit Material der dpa)