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Eastern Sentry: Experten warnen Nato nach Estland-Vorfall vor Risiko

05.12.2023, Rum
Ein Bundeswehr-Soldat vor einem Eurofighter: Deutschland beteiligt sich an Eastern Sentry.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
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"Eastern Sentry": Wie die Nato Russland in die Schranken weisen will

Nach massiven russischen Drohnenangriffen auf Polen hat die Nato die Operation "Eastern Sentry" gestartet. Kampfjets aus Deutschland, Frankreich und weiteren Staaten sind daran beteiligt. Es ist ein Signal an Moskau, das zugleich ein teures Dilemma offenlegt.
21.09.2025, 17:0821.09.2025, 17:08

Die Nato hat ihre Ostflanke verstärkt. Unter dem Namen "Eastern Sentry" laufen seit Mitte September verstärkte Luftoperationen, nachdem Russland den polnischen Luftraum verletzt hatte. Es war das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass das Bündnis aktiv eigene Abwehrsysteme einsetzte.

Am Freitag verletzte Russland zudem den estnischen Luftraum mit drei Militär-Jets. Ein weiterer Grund für den Fortbestand von "Eastern Sentry".

Die Nato-Operation markiert eine Zäsur: Sie zeigt die Entschlossenheit der Nato, stellt sie aber zugleich vor ein strategisches Dilemma. Denn Russlands billige Drohnen provozieren extrem teure Abwehrmaßnahmen. Was soll "Eastern Sentry" also bezwecken, welche Staaten beteiligen sich und wie will das Bündnis der Kostenfalle entkommen?

Was ist "Eastern Sentry" überhaupt?

"Eastern Sentry" ist eine neue Nato-Operation, die die Luftverteidigung an der Ostflanke des Bündnisses verstärken soll. Der Einsatz wird vom Allied Command Operations (ACO) in Mons, Belgien, koordiniert.

Die Operation begann in der Woche nach den massiven Luftraumverletzungen über Polen Mitte September. Nach Angaben des Nato-Hauptquartiers Shape soll die Mission für einen nicht genannten Zeitraum fortgeführt werden.

10.09.2025, Polen, Wohyn: In diesem Videostandbild sichern Einsatzkräfte von Polizei und Militärpolizei Teile einer beschädigten Drohne, das von polnischen Behörden abgeschossen wurde. Foto: Rafal Nie ...
Wohyn, Polen: Einsatzkräfte inspizieren Teile einer beschädigten russischen Drohne.Bild: AP / Rafal Niedzielski

Der Name lässt sich sinngemäß mit "Wächter des Ostens" übersetzen. Er steht für eine sichtbare Antwort auf eine Serie von Provokationen durch Moskau. "Die Verletzung des polnischen Luftraums ist kein isolierter Vorfall und betrifft mehr als nur Polen. Während eine vollständige Bewertung des Vorfalls noch läuft, wartet die Nato nicht ab, wir handeln", sagte General Alexus G. Grynkewich in einer Mitteilung des Nato-Hauptquartiers.

Welche Länder machen bei "Eastern Sentry" mit?

An "Eastern Sentry" beteiligen sich zahlreiche Nato-Staaten. Deutschland stellt vier Eurofighter, die bewaffnete Schutzflüge über Polen übernehmen. Frankreich beteiligt sich mit drei Rafale-Kampfjets, Dänemark mit zwei F-16 und einer Luftabwehr-Fregatte.

Großbritannien hat angekündigt, Typhoon-Jets zu entsenden, Spanien bereitet laut Nato-Hauptquartier weitere Beiträge vor. Auch Italien will nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa zwei Eurofighter stellen, während Schweden und Tschechien ebenfalls Unterstützung signalisierten.

Diese Verstärkung kommt zu den ohnehin stationierten alliierten Kräften hinzu. Schon am ersten Wochenende nach Start der Mission wurde eine französische Rafale in Alarmbereitschaft versetzt, als sich mutmaßlich russische Drohnen Polen näherten. Am Ende drangen zwar keine Flugobjekte ein, doch der Vorfall verdeutlichte, wie angespannt die Lage ist.

"Eastern Sentry": Geht es nur um Polen?

Nein. Offiziell betont die Nato, dass es um den Schutz "aller Verbündeten" geht. Die Operation ist entlang der gesamten Ostflanke angelegt, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Zwar war Polen Auslöser, doch auch die baltischen Staaten, Rumänien oder die Slowakei könnten künftig Ziel weiterer russischer Provokationen werden.

Zuletzt sind russische Militär-Jets unbefugt in den Luftraum Estlands eingedrungen. "Russland hat in diesem Jahr bereits viermal den estnischen Luftraum verletzt, was an sich schon inakzeptabel ist, aber die heutige Verletzung, bei der drei Kampfjets in unseren Luftraum eingedrungen sind, ist beispiellos dreist", sagte Außenminister Margus Tsahkna kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls am Freitag laut Reuters.

Expert:innen erwarten nicht zuletzt deshalb weitere Provokationen an der Nato-Ostflanke.

General Grynkewich erklärte nach Beginn der Nato-Mission vergangene Woche:

"Eastern Sentry und dieser neue Ansatz werden eine noch gezieltere und flexiblere Abschreckung und Verteidigung liefern, wo und wann sie benötigt wird, um unsere Menschen zu schützen und weitere rücksichtslose und gefährliche Aktionen abzuschrecken."

Die Botschaft ist eindeutig: Russland soll wissen, dass Verstöße gegen den Nato-Luftraum nicht unbeantwortet bleiben.

Welche Probleme gibt es mit der Operation?

Militärexpert:innen warnen vor einem fundamentalen Ungleichgewicht: und zwar bei den Kosten. Russische Drohnen kosten teils nur wenige tausend Euro, während ein Eurofighter-Flug rund 70.000 Euro pro Stunde verschlingt. Ein Patriot-Abschuss bewegt sich im Millionenbereich.

Der sicherheitspolitische Analyst Clemens Speer analysiert im SUV.report, dass dieses Muster Russland in die Lage versetzt, mit minimalem Aufwand die Nato zu teuren Reaktionen zu zwingen. "Mit Kanonen auf Spatzen schießen" – so beschreibt er das strategische Dilemma, das die Verteidigungsbudgets langfristig belasten könnte. Genau das sei womöglich Teil der russischen Taktik: kostspielige Dauerbereitschaft im Westen zu provozieren.

ARCHIV - 11.09.2025, Polen, Wyryki: Einsatzkräfte der Territorialen Verteidigung räumen Trümmer vom zerstörten Dach eines Hauses auf, nachdem russische Drohnen den polnischen Luftraum verletzt haben.  ...
Polen: Einsatzkräfte räumen Trümmer auf, nachdem russische Drohnen den Luftraum verletzt hatten.Bild: AP / Czarek Sokolowski

Wie will die Nato gegensteuern?

Die Allianz setzt zunehmend auf technologische Innovation. "Eastern Sentry" wird eng mit dem Allied Command Transformation verzahnt, das schon bei der Ostsee-Operation "Baltic Sentry" neue Methoden erprobte. Im Fokus stehen Anti-Drohnen-Sensoren, Störsysteme und kleinere Abwehrdrohnen, die kostengünstiger reagieren können.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat etwa nun eine breite Drohnenabwehr an der Ostgrenze der Nato-Staaten in Aussicht gestellt. In der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" sagte Röttgen, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei an der Front "praktisch ein reiner Drohnenkrieg geworden". Das habe Kriegsführung verändert, und auch künftige Kriegsführungen. "Daraus hätte man schon früher den Schluss ziehen müssen, diese Drohnen anzuschaffen", sagte er. "Und das wird auch geschehen."

Das Ziel ist, die Asymmetrie aufzubrechen. Statt jedes Mal einen Kampfjet loszuschicken, sollen flexible, günstigere Systeme die erste Verteidigungslinie bilden. Die Erfahrung aus den Sabotageakten an Unterseekabeln in der Ostsee hat gezeigt, dass schnelle technologische Anpassung möglich ist. "Eastern Sentry" soll diesen Ansatz nun auch auf den Luftraum ausweiten.

Was bedeutet "Eastern Sentry" für die Zukunft?

Die Mission ist mehr als nur ein taktisches Manöver. Sie symbolisiert eine Verschiebung: von reiner Abschreckung hin zu aktiver Verteidigung an der Nato-Grenze. Gerade für Länder wie Polen oder die baltischen Staaten ist dies ein starkes Signal, dass ihre Sorgen ernst genommen werden.

Gleichzeitig wird "Eastern Sentry" ein Testlauf: Kann die Nato auf Dauer ihre Glaubwürdigkeit bewahren, ohne in eine Kostenfalle zu geraten? Gelingt es, schnellere und günstigere Technologien in den Alltag zu integrieren? Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Operation ein Modell für künftige Einsätze wird oder ob Russland es schafft, die westliche Verteidigung mit billigen Drohnen auszuspielen.

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