Nachdem die Gerüchteküche nun über Monate gebrodelt hat, schafft Sahra Wagenknecht Tatsachen: Ja, sie will eine neue Partei gründen. Um das stemmen zu können – und womöglich eine weitere Bruchlandung wie bei ihrer "Aufstehen"-Bewegung zu vermeiden – hat sie sich einige Verbündete an ihre Seite geholt.
Da sind unter anderem Amira Mohamed Ali, die frühere Fraktionsvorsitzende der Linken oder auch Ralph Suikat, der Gründer von "Taxmenow". Das ist eine Organisation, die sich für die Besteuerung von Reichen einsetzt. Ein bekanntes Gesicht ist zudem Millionenerbin Marlene Engelhorn.
Zehn Angehörige der Linksfraktion im Bundestag, darunter Mohamed Ali und Wagenknecht, sind mittlerweile aus der Linkspartei ausgetreten. Sie engagieren sich nun im "Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW). Aktuell ist BSW erst einmal ein Verein, im Januar 2024 wollen Wagenknecht und ihre Unterstützer:innen dann die BSW-Partei gründen. Nach und nach dann auch die einzelnen Landesverbände.
Ihr Ziel ist es, bei der Europawahl antreten zu können – womöglich auch bei den Landtagswahlen im Osten. Wofür BSW steht, was aus den Bundestagsmandaten wird und wie die Linkspartei auf die Wagenknecht-Ausgründung blickt, klärt watson für euch.
"Wir wollen keine Linke 2.0 sein", stellt Wagenknecht während einer Pressekonferenz klar. Stattdessen gehe es um eine Partei für Vernunft und soziale Gerechtigkeit.
Die Grundsätze der künftigen Partei stellen sich im Eckpunkte-Papier, das Wagenknecht auch Gründungsmanifest nennt, wie folgt dar:
Auch zur Europäischen Union haben Wagenknecht und ihr Bündnis eine klare Meinung: weniger Macht nach Brüssel. Stattdessen müsse wieder mehr in den einzelnen Ländern entschieden werden. Mit der AfD wolle die neue Partei nicht zusammenarbeiten. Allerdings soll das Bündnis, wenn es nach Wagenknecht geht, wohl auch eine Alternative für jene sein, die aktuell aus Protest die Rechtsaußenpartei wählen.
Der Name "Bündnis Sahra Wagenknecht" soll im Übrigen nur ein Übergangsname sein. Hätte sich die neue Partei erst einmal etabliert, meint die Namensgeberin, könne der Name auch geändert werden. Warum sich das Bündnis zur Gründung nach der abtrünnigen Linken-Prominenz benennt? Wagenknecht könne bei Wahlen nicht in allen Wahlkreisen antreten, trotzdem sollten alle Menschen wissen, für welche Politik die Vereinigung steht.
Mit Wagenknecht und Mohamed Ali sind insgesamt acht weitere Mitglieder der Linksfraktion aus der Partei ausgetreten. Sie hätten allerdings angeboten, Teil der Fraktion zu bleiben, bis die BSW-Partei gegründet sei, erklärt Mohamed Ali. Ein Vorschlag, der Parteichef Martin Schirdewan wohl gar nicht passt. Er macht auf einer Pressekonferenz deutlich: Es wäre anständig, würden Wagenknecht und Co. ihre Mandate zurückgeben und andere Linkenpolitiker:innen nachrücken lassen.
Die Linksfraktion ist nur wegen der Direktmandats-Klausel in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen. Die besagt, dass Parteien auch ohne fünf Prozent der Stimmen in Fraktionsstärke einziehen können, sofern sie drei Direktmandate erlangen. Keines dieser Direktmandate gehört der Wagenknecht-Gruppe.
Sollten die abtrünnigen Abgeordneten allerdings die Mandate behalten und nicht zurückgeben, würde die Linksfraktion zerfallen und nur noch als Gruppe gelten. Das bedeutet: weniger Geld, weniger Mitarbeiter, weniger parlamentarische Möglichkeiten.
Warum Wagenknecht ihr Mandat nicht zurückgeben will, erklärt sie so: Sie habe, nachdem der Parteivorstand sie bereits im Sommer gebeten hatte, die Fraktion zu verlassen, zahlreiche Mails bekommen, dass Wähler:innen dann auch ihre Stimmen zurückhaben wollen. "Die Linke wurde auch wegen dieser politischen Ausrichtung gewählt", stellt sie klar.
Parteichef Schirdewan präsentiert die Lage ganz anders:
Sprich: Ohne die Mandate hätten womöglich weder Wagenknecht noch eine:r ihrer Jünger:innen einen Platz im Parlament gehabt. Die drei direkt Gewählten und ihr Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch haben unterdessen auf Instagram klargestellt: Die "Mandatsmitnahme wäre Diebstahl".
Linkenpolitiker Bernd Riexinger schreibt auf X, früher Twitter, dazu:
Fraktion und Parteivorstand werden nun gemeinsam überlegen, wie sie mit dem "Angebot" der Wagenknechtler umgehen werden. Denn: Es hängen über 100 Jobs an der Frage, ob die Linke eine Fraktion bleiben kann. Schirdewan meint, sie seien auf alles vorbereitet. Fraglich ist allerdings, wie sie durchsetzen wollen, dass Wagenknecht und Konsorten ihre Mandate zurückgeben – davon wollte im BSW-Lager nämlich zunächst niemand sprechen.
Das Ende der Hängepartie, meint Schirdewan aber auch, biete eine Chance für die Linke. Denn nun könnte sich die Partei inhaltlich neu aufstellen, ohne dauerhaft interne Streitereien zu klären. Klar sei aber: Der Austritt der Wagenknechtler:innen bedeute auch, dass sich die Partei mit sich selbst auseinandersetzen müsse – und Konsequenzen ziehen. Ob das auch Folgen für den Parteivorsitz haben könnte, will Schirdewan nicht ausführen.
Nun gehe es darum, die Partei zu stärken, mehr Mitglieder zu gewinnen und sich als die soziale Alternative und Opposition zu präsentieren, die die Linke sei. Angst vor der neuen links-konservativen Konkurrenz habe er nicht. Er sei allerdings von einzelnen Abtrünnigen enttäuscht, stellt er klar. Wohl gerade von jenen, die nicht seit Monaten lautstark die Partei demontieren, sondern klammheimlich das Lager gewechselt hätten.