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Belgorod: Was die Angriffe in Russlands Grenzregion zur Ukraine bedeuten

Ein russischer Panzer, der offenbar von einer kreml-kritischen russischen Kampftruppe eingeommen wurde.
Ein russischer Panzer, der offenbar von einer kremlkritischen russischen Kampftruppe eingenommen wurde.Bild: Screenshot / Telegram "Russischer Freiwilligenkorps"
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Belgorod: Was die Angriffe in Russlands Grenzregion zur Ukraine bedeuten

23.05.2023, 18:10
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Es sind Bilder, die an die ersten Stunden des Angriffskrieges in der Ukraine erinnern: Lange Autoschlangen, Menschen, die eilig ihr Zuhause verlassen, Rauchwolken – die Folgen von Artilleriebeschuss. Doch die Szenen spielen sich dieses Mal nicht in der Ukraine ab. In der russischen Grenzregion Belgorod haben kremlkritische Gruppen offenbar Kampfhandlungen eingeleitet.

Die Karte zeigt die russische Region Belgorod, die sich direkt an der Grenze zur Ukraine befindet.
Die Karte zeigt die russische Region Belgorod, die sich direkt an der Grenze zur Ukraine befindet.Bild: Screenshot / deepstatemap.live

Aber was genau ist da los? Wer steckt dahinter? Was wir bisher wissen, hat watson hier zusammengefasst.

Was ist passiert?

In der russischen Grenzregion Belgorod nahe der Ukraine gibt es seit Montag Kampfhandlungen. In sozialen Netzwerken gab es seit Montagmorgen Berichte über den Beschuss grenznaher Orte. Beschossen werde auch der Grenzübergang, hieß es. Der Gouverneur der russischen Region, Wjatscheslaw Gladkow, hatte dies zunächst als "Desinformationskampagne" und "Panikmache" zurückgewiesen. Der ukrainische Militärgeheimdienst bestätigte unterdessen Kämpfe in der Region.

Die ausschließlich aus russischen Staatsbürgern bestehenden Einheiten "Russisches Freiwilligenkorps" und "Legion Freiheit Russlands" hätten "eine Operation zur Befreiung des Gebiets Belgorod vom sogenannten Putin-Regime begonnen", sagte Militärgeheimdienstsprecher Andrij Jussow im ukrainischen Fernsehen.

In der Zwischenzeit hat auch der Kreml reagiert und Einheiten in die Region geschickt.

Die Kämpfe – vor allem in den Ortschaften Samostje und Graiworon – hielten auch über Nacht an. Zwischen 80 und 100 Männer sollen an der Operation beteiligt sein. Angaben der kremlkritischen Partisanen-Truppen "Russisches Freiwilligenkorps" und "Legion Freiheit Russlands" zufolge, seien sogar bereits mehrere Siedlungen eingenommen worden.

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Wer steckt hinter den Angriffen?

Bereits kurz nach Beginn der Kampfhandlungen haben sich die beiden Milizen "Russisches Freiwilligenkorps" und "Legion Freiheit Russlands" zu den Angriffen bekannt. Die Gruppen stehen auf der Seite der Ukraine und kämpfen auch teilweise für das Land.

Der Leiter des politischen Flügels der "Legion Freiheit Russlands", Ilja Ponomarjow, erklärte zudem, das ukrainische Militär habe die Kämpfer ausgebildet und teilweise auch mit Gerät versorgt.

In einem Interview sagte er: "Letzten Endes endet der Krieg nicht in der Ukraine. Der Krieg kann nur in Moskau enden, wenn Putins Regime abgelöst wurde."

Der Kreml sieht die Verantwortung für den Einmarsch bei einer Sabotagegruppe des ukrainischen Militärs – doch Kiew weist jegliche Beteiligung von sich. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mykhailo Podolyak, sagte, Kiew beobachte die Ereignisse in Belgorod "mit Interesse und studiert die Situation, hat aber nichts damit zu tun".

Wem darf man glauben?

Die wenigsten Angaben zu den Vorkommnissen in der russischen Region Belgorod lassen sich derzeit unabhängig überprüfen. Auch, ob die Ukraine beteiligt ist oder nicht, kann noch nicht abschließend aufgeklärt werden.

Der Russland-Experte und Journalist Nikita Gerasimov allerdings meint, eine solche Annahme sei nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt er:

"Zuvor berichtete die 'Washington Post', dass Selenskyj die Einnahme von russischen Ortschaften erwogen hatte, um 'Druckmittel' zu haben. Die aktuellen Ereignisse bei Belgorod würden in diese Berichte passen."

Gerasimov bezieht sich auf einen Artikel, den die "Washington Post" am 16. Mai veröffentlicht hatte. Darin heißt es, Selenskyj habe das Vertrauen der westlichen Regierungen gewonnen, indem er versprach, die bereitgestellten Waffen nicht für Angriffe innerhalb Russlands zu verwenden.

Doch, weiter schreibt die Zeitung:

"Hinter verschlossenen Türen hat der ukrainische Staatschef vorgeschlagen, eine kühnere Richtung einzuschlagen – russische Dörfer zu besetzen, um ein Druckmittel gegen Moskau zu erlangen, eine Pipeline zu bombardieren, die russisches Öl nach Ungarn, einem Nato-Mitglied, transportiert, und insgeheim nach Langstreckenraketen zu verlangen, um Ziele innerhalb der russischen Grenzen anzugreifen."

Wer sind diese Partisanentrupps?

Die "Legion Freiheit Russlands" hat laut ukrainischen Medien bereits in der Gegend um Bachmut für die Ukraine gekämpft. Angaben ukrainischer Offizieller zufolge soll es sich dabei um einige hundert Mann gehandelt haben.

Die Legion ist ein Verband der ukrainischen Streitkräfte und dort Teil des internationalen Freiwilligenkorps. Gegründet hatte sich dieser im März 2022 – nach Beginn des russischen Angriffskrieges. Die Legion besteht aus russischen und belarussischen Staatsbürgern, die übergelaufen sind.

Die weiß-blau-weiße Flagge ist in Russland seit März 2022 ein Symbol der Proteste gegen den russischen Überfall auf die Ukraine.
Die weiß-blau-weiße Flagge ist in Russland seit März 2022 ein Symbol der Proteste gegen den russischen Überfall auf die Ukraine.Bild: telegram / Legion Freiheit Russlands

Laut der Osteuropa-Expertin Miriam Kosmehl erklären einige der russischen Kämpfer in Interviews, dass sie schon vor dem Beginn des großflächigen Krieges am 24. Februar 2022 in der Ukraine gelebt hätten. Andere seien erst nach Kriegsbeginn übergelaufen, "wollten nicht auf russischer Seite dieses großflächigen Angriffskrieges kämpfen, den sie als zutiefst ungerecht und völlig falsch empfanden", erklärt Kosmehl auf watson-Anfrage. Und:

"Einige haben sogar ihre Familien nachgeholt. Für andere, die das nicht getan haben, ist es naturgemäß besonders schwer, Interviews unter ihrem Klarnamen zu geben oder Angaben zu sich zu machen, weil sie in Russland Vergeltungsmaßnahmen fürchten müssen."

Der russische Generalstaatsanwalt wolle zudem die "Legion Freiheit Russlands" als terroristische Vereinigung erklären.

Die Kämpfer des "Russischen Freiwilligenkorps" sind indes mit absoluter Vorsicht zu genießen. Stimmt es wirklich, dass sie sich an den Kampfhandlungen beteiligt, hieße das, dass auch bekannte Neonazis unter den "Freiheitskämpfern" wären.

Gegründet wurde der "Russische Freiwilligenkorps" von dem Russlanddeutschen Denis Kapustin, der unter dem Namen Denis Nikita auftritt. Kapustin gilt als gut vernetzt in der internationalen Nazi-Szene.

Können sie dem Kreml gefährlich werden?

Kosmehl sagt, es habe zwar in den vergangenen 15 Kriegsmonaten Beschuss über die ukrainisch-russische Grenze hinaus gegeben, aber Bodenangriffe und bewaffnete Grenzübertritte wie der aktuelle seien von anderer Qualität.

Doch auch in der russischen Administration sei man zweigeteilt in der Meinung zur Einschätzung der Gruppen. Der russische Gouverneur in Belgorod spreche, so Kosmehl, inzwischen von einer besonderen Sicherheitsstufe für die Region, um Terrorismus abzuwehren.

RUSSIA, MOSCOW - MARCH 21, 2023: Russian President Vladimir Putin s spokesman Dmitry Peskov looks on before Russian-Chinese talks at the Moscow Kremlin. Sergei Karpukhin/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxON ...
Dmitri Peskov vermutet ein ukrainisches Ablenkungsmanöver.Bild: imago images / ITAR-TASS

"Die russischen Sicherheitskräfte werden ermächtigt, die Bewegungsfreiheit der Menschen und ihre Kommunikation noch intensiver zu überprüfen und einzuschränken", erklärt sie. Aber: "In Moskau dagegen hat Putins Sprecher Dmitri Peskov das Ganze heruntergespielt als, so seine Darstellung, ukrainische Versuche von Bachmut abzulenken."

Wie geht es weiter?

Die Partisanengruppe "Legion Freiheit Russlands" erklärte im ukrainischen Fernsehen, man habe vor, eine "entmilitarisierte Zone entlang der Grenze" schaffen. Andrii Jusow, ein Sprecher des ukrainischen Geheimdienstes, erklärte gegenüber ukrainischen Medien, russische Partisanen arbeiteten an der Einrichtung einer Sicherheitszone, die ukrainische Zivilisten in der Nähe der Grenze schützen sollte.

Auch die Expertin Kosmehl meint, dass die Partisanen größere Ziele haben.

"Jedenfalls haben russische Kämpfer in Interviews durchaus das Zukunftsziel 'De-Putinisierung' Russlands genannt, Befreiung von der Diktatur. Wie realistisch das ist, ist eine andere Sache."

Die Einheiten riefen unterdessen die Bevölkerung auf, keinen Widerstand zu leisten. "Wir sind nicht Ihre Feinde."

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