Lange Wartezeiten, fehlende und vertauschte Stimmzettel, gesperrte Straßen: Das Chaos bei den Wahlen für das Abgeordnetenhaus im September 2021 in Berlin hat Folgen. Am 12. Februar müssen die Berliner:innen erneut ihre Stimme abgeben. Denn: Der Verfassungsgerichtshof des Landes erklärte die chaotische Wahl für vollständig ungültig – ebenso wie die Wahlen zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen.
Dass es sich bei der erneuten Wahl um eine Wiederholung und nicht um eine Neuwahl handelt, sorgt für neue Probleme.
Watson stellt die wichtigsten Fragen rund um die teuerste je dagewesene Wahl in Berlin – und liefert Antworten.
Berliner:innen dürfen am 12. Februar erneut ihre Stimme für das Abgeordnetenhaus (AGH) und die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) abgeben.
Auch die Bundestagswahl, die gleichzeitig mit der Wahl des Abgeordnetenhauses stattfand, soll in der Hauptstadt wiederholt werden – in 431 von etwa 2300 Abstimmungsbezirken. Die Berliner:innen müssen jedoch zweimal an die Urnen, denn die Bundestagswahl wird an einem anderen Datum wiederholt werden.
Am Wahltag im September 2021 wurde auch über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen" abgestimmt. Auf diesen hat das Urteil des Verfassungsgerichtshofs keinen Einfluss.
Bei der Wahl kam es in Berlin zu einer Serie von Pannen. Der Verfassungsgerichtshof hat etwa große Mängel bei der Vorbereitung und beim Ablauf der Wahlen in Berlin festgestellt. So gravierende, dass er als einzige Lösung die Wiederholung der Wahlen sieht, um einen "verfassungskonformen Zustand" wiederherzustellen.
So gab es am Wahltag vor einigen Wahllokalen selbst nach 18 Uhr noch lange Warteschlangen. Dabei sollte die Abgabe der Stimmen zu diesem Zeitpunkt beendet sein.
Grund für die chaotischen Wahlen war die Komplexität der einzelnen Wahlgänge. So wurden bei Abstimmungen über Direktkandidat:innen für das Abgeordnetenhaus teilweise Stimmzettel für den falschen Wahlbezirk vorgelegt. In einigen Wahllokalen fehlten zwischenzeitlich Stimmzettel. Deshalb wurden viele Stimmen bei der Zählung als ungültig gewertet.
In Wahlbezirken mit einem knappen Ergebnis wurde das Ergebnis dadurch womöglich verfälscht. Vorsichtsmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie und der zeitgleich stattfindende Berlin-Marathon verschärften die Lage zusätzlich.
Wiederholungswahl bedeutet, dass die Parteien mit denselben Kandidat:innen antreten müssen wie bei der Wahl 2021. Das Problem: Einige wollen gar nicht mehr, zogen weg oder sind gestorben. Für sie muss der oder die nächste Kandidat:in der Bezirks- oder Landesliste nachrücken. Bedingung ist dabei, dass die Nachrückenden schon bei der vergangenen Wahl auf den Listen standen. Und: Alle Kandidat:innen müssen auf ihre Listenplätze zurückkehren – auch wenn sie inzwischen die Partei gewechselt haben. Es herrscht derzeit also Chaos.
Auch bei den Spitzenkandidat:innen ändert sich nichts: Die SPD tritt wieder mit Franziska Giffey an, der amtierenden Regierenden Bürgermeisterin. Die Grünen treten mit Umwelt- und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch an, die CDU mit Kai Wegner, der die Landespartei und die Fraktion der Christdemokraten im Abgeordnetenhaus führt. Die Linken führen erneut mit Kultursenator Klaus Lederer an der Spitze den Wahlkampf, die FDP mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Sebastian Czaja, die AfD mit Partei- und Fraktionschefin Kristin Brinker.
"Wir werden alles tun, um eine reibungslose Wahl vorzubereiten", sagte Giffey kurz nach der Gerichtsentscheidung. Das wird teuer. Insgesamt sollen 42.000 Wahlhelfer eingesetzt werden. Das sind rund 8000 mehr als bei der vergangenen Wahl.
Ihnen winkt außerdem mehr Geld: Sie erhalten eine Entschädigung von bis zu 240 statt wie bisher 60 Euro. Auch in Sachen Wahlkabinen will Berlin aufrüsten. Pro Wahllokal müssen im Februar mindestens drei Wahlkabinen zur Verfügung stehen, ebenso wie deutlich mehr Stimmzettel.
Das hat bereits jetzt Folgen für die Berliner:innen. Sie bekommen die Wahlvorbereitungen auch im Alltag zu spüren: Einige Bürgerämter benötigen das Personal für die Vorbereitungen, weswegen die Wartezeiten sich verlängern. Einige Bürgerämter mussten vorübergehend sogar komplett schließen.
Die Senatsinnenverwaltung rechnet für die Wahlwiederholung mit Kosten von bis zu 39 Millionen Euro. Damit wird die Wiederholung zur teuersten Wahl, die je in der Hauptstadt stattfand.
Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler ist zuversichtlich, dass es am 12. Februar keine neue Pannenserie geben wird. "Die Stimmzettel sind alle gedruckt und sie sind auch alle in den Bezirken und Wahllokalen", sagte Bröchler bereits Anfang Januar. "Wir haben das so organisiert, dass alles frühzeitig da ist. Da sind wir im grünen Bereich."
Pannen wie bei der Wahl 2021 soll es nicht mehr geben. Das zu wuppen sei jedoch eine große Herausforderung. Schließlich müssten die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksparlamenten innerhalb von 90 Tagen organisiert werden. Eine Mammutaufgabe, für die das Land normalerweise ein Jahr Zeit hat.
Als weitere Maßnahme wird der Europarat Wahlbeobachter zur Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl entsenden.
Trotz der Wahlwiederholung ändert sich der Kreis der Personen, die nun wählen dürfen. Da die Wahlen mehr als sechs Monate zurückliegen, muss ein neues Wählerverzeichnis her. Das bedeutet, dass Weggezogene ihr Wahlrecht verlieren. Zugezogene sind hingegen neu wahlberechtigt.
All diejenigen, die zum Zeitpunkt der Wahlwiederholung am 12. Februar mindestens 18 Jahre alt sind, dürfen für das Abgeordnetenhaus wählen. Für die Bezirksverordnetenversammlungen reicht es, mindestens 16 Jahre alt zu sein.
Der Wahlkampf in Berlin geht derzeit eher halbherzig vonstatten. Nach der Meinung des Berliner Wahlforschers Professor Thorsten Faas ist jedoch noch nichts entschieden. Denn: Bei Wahlen zu den Landesparlamenten gebe es häufig erhebliche Verschiebungen auf der Zielgeraden.
So sei es häufig so, dass dabei die Amtsinhaber am Schluss noch einmal zulegten. Dies sagte der Politikwissenschaftler, der an der Freien Universität lehrt, gegenüber "RBB". Er entschärfte diese Aussage jedoch mit Blick auf die Spitzenkandidatin der SPD: "Zugleich muss man sehen: Franziska Giffey hat ein eher polarisierendes Image, anders als das bei anderen Amtsinhabern und -inhaberinnen der Fall ist." Hier gebe es daher nicht unbedingt einen Automatismus, sagte Faas. Sein Fazit daher: "Es bleibt einfach spannend, fürchte ich."
Auswirkungen auf das Ergebnis erwartet der Politikwissenschaftler allerdings von der Wahlbeteiligung am 12. Februar: "Typischerweise profitieren eher bürgerliche, rechte Parteien von hoher Wahlbeteiligung, auch die Grünen", sagte Fass. "Während Linke und SPD darunter eher leiden. Aber auch da weiß man nicht genau, wie der Amtsinhaberbonus sich auswirkt." Klar sei aber: "Die Beteiligung wird niedriger sein." In dem Fall würden die erstgenannten tendenziell profitieren.
(Mit Material von dpa)