Seit Kriegsbeginn in seinem Land entwickelte sich Melnyk zum Quälgeist. Er ließ keine Chance aus, der deutschen Bundesregierung den Spiegel vor Augen zu halten. Durch seine unbequemen Äußerungen und verbalen Fehltritte hat sich der ukrainische Botschafter selbst ins Aus geschossen.
Melnyk hatte den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als "beleidigte Leberwurst" bezeichnet. Und er hat offen Sympathie für den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera geäußert. Damit hat er die Rückendeckung seiner eigenen Regierung verloren. Der ukrainische Außenminister distanzierte sich von den Aussagen Melnyks.
Der Job eines Botschafters ist es, zu vermitteln nach der Devise: Brücken bauen.
Melnyk hingegen ist mit dem Bulldozer durch die diplomatische Landschaft gerast. "Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein", sagt der 46-Jährige im Interview mit der Schwäbischen Zeitung. Er könne die Kritik gut nachvollziehen. Wir seien alle Menschen und man mache Fehler.
Es bleiben Spekulationen, ob die Eklats zum Abzug des Diplomaten führten. Selenskyj erklärte in einer Videobotschaft am Samstag, es handele sich um eine normale Prozedur. Diese Rotation sei ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis.
Auch die ukrainischen Botschafter in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien müssen ihr Büro räumen.
Radio Prague International berichtet, dass der tschechische Premierminister und der Außenminister den Abruf des Botschafters, Jewhen Perebyinis, bedauern und ihn für seine Arbeit loben.
"Ich bin traurig, dass Jewhen Perebyinis Tschechien als Botschafter verlässt. Ich bin sicher, dass er anderswo in der Welt genauso gute Arbeit leisten wird, aber er ist Teil unseres Lebens geworden und ich werde ihn vermissen", twittert die tschechische Verteidigungsministerin Jana Černochová.
Der Botschafter, Viacheslav Yatsiuk, pflegt gute Beziehungen zum skandinavischen Land, das den Angriffskrieg Russlands verurteilt und die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt.
Eine öffentliche Kundgebung der norwegischen Regierung blieb – anders als in Teschechien – aus.
In Ungarn berief das Außenministerium im April die ukrainische Botschafterin ein. Selenskyj habe zunehmend Druck auf Ungarn ausgeübt, das Land solle eine klare Position in diesem Krieg einnehmen.
Der Regierungschef, Viktor Orbán, pflegt ein gutes Verhältnis zu Putin und hat unter anderem Waffenlieferungen durch sein Land in die Ukraine untersagt. Wer die Position in der Botschaft neu besetzt, darf sich auf eine diplomatische Herausforderung freuen.
Laut Berichterstattungen aus Indien soll der ukrainische Botschafter, Igor Polikha, unzufrieden mit Indiens Reaktion auf den Krieg in seiner Heimat gewesen sein. "Wir [die Ukrainer Anm.d.Red.] warten, wir bitten, wir flehen um die starke Stimme Indiens", reagierte Polikha auf die passive Haltung des Landes.
Über seine Entlassung sei er weder überrascht noch enttäuscht. "Nach sieben Jahren als Botschafter eines Landes ist es normal, nach Hause zurückzukehren. Ich bin Berufsdiplomat. Ich werde zurückkehren, sobald der offizielle Prozess abgeschlossen ist", äußert er sich gegenüber "The Hindu".
Die Reaktion auf den Abschied Melnyks fällt unterschiedlich aus. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt gegenüber dem "ARD-Hauptstadtstudio", Melnyk sei mehr Politiker als Diplomat gewesen. "Für den Druck, den er auf Deutschland ausgeübt hat, damit wir endlich Tempo bei der Unterstützung der Ukraine machen, muss man ihm dankbar sein."
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) lobt den Berufsdiplomaten auf Twitter, der sich "voller Kraft für sein Land eingesetzt" habe. Gleichzeitig distanziert sie sich von seinen Aussagen über den Nationalisten und Antisemiten Bandera.
Der SPD-Politiker Joe Weingarten hat am 1. Juli gegen Melnyk gewettert, er sei zu einer Belastung der ukrainisch-deutschen Beziehungen geworden und müsse abgelöst werden. Sein Wunsch ist nun in Erfüllung gegangen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock haben sich noch nicht zum Abschied Melynks geäußert.
Melnyk war seit Dezember 2014 Botschafter in Berlin. Das ist eine außergewöhnlich lange Zeit. Seine Kollegen ziehen im Schnitt alle drei oder vier Jahre um. Melnyk wird solange als Ansprechpartner in der ukrainischen Botschaft in Berlin agieren, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin seinen Posten übernimmt. Die diplomatischen Beziehung laufen demnach reibungslos weiter.
Das ukrainische Außenministerium hat sich noch nicht geäußert, wer Melnyk in Deutschland ersetzen wird. Der Start für den neuen Botschafter oder die neue Botschafterin könnte sich durch das Erbe Melnyks als holprig erweisen.
Es bleibt offen, ob Melnyk nach seiner Entlassung als Botschafter für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist. Eine Möglichkeit wäre, die Stelle als stellvertretender Außenminister.