Arbeitsminister Hubertus Heil nennt das Bürgergeld die größte Sozialreform seit 20 Jahren.Bild: dpa / Michael Kappeler
Deutschland
Koalition und Opposition haben sich im Bundestag einen heftigen Schlagabtausch über das geplante Bürgergeld geliefert. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagt am Donnerstag bei der ersten Beratung über die Reform: "Die Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar wird eine der größten Sozialreformen seit 20 Jahren sein."
Die Union kritisierte, die Ampel wolle künftig darauf verzichten, Langzeitarbeitslose zu aktivieren.
"Wir wollen Menschen verlässlich absichern, die in existenzielle Not geraten sind", sagt Heil. Das Bürgergeld solle zudem dafür sorgen, dass Betroffene dauerhaft aus der Not wieder herauskommen.
Und auch auf Twitter haben die Politiker:innen weiter debattiert – und sich Schläge unter der Gürtellinie und Populismus vorgeworfen.
Mit dem Bürgergeld will die Ampelkoalition zum 1. Januar kommenden Jahres das Hartz-IV-System für die mehr als fünf Millionen Betroffenen in seiner heutigen Form ablösen. Es war schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine das zentrale sozialpolitische Versprechen der Ampel-Koalition.
Konkret ist vorgesehen:
- Höhere Regelsätze: Die Grundsicherung soll von 449 auf 502 Euro steigen. Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten 451 Euro. Jugendliche ab 14 bekommen 420 Euro, Kinder von 6 bis 14 Jahre 348 Euro, Unter-sechsjährige 318 Euro.
- Weniger Sanktionen: Die Möglichkeiten zur Kürzung der Leistungen sollen in einer sechsmonatigen Vertrauenszeit stark eingeschränkt werden. Zahlungen sollen nur bei versäumten Terminen im Jobcenter gemindert werden können. Bei Pflichtverletzungen hingegen, also etwa der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit, soll es im ersten halben Jahr keine Sanktionen mehr geben.
- Spätere Überprüfung: Nach 24 Monaten Bürgergeldbezug sollen Vermögen und Angemessenheit der Wohnung überprüft werden können. Dabei soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.
- Schaffung von Anreizen: Ein Weiterbildungsgeld von 150 Euro soll bekommen, wer arbeitslos ist oder als Geringverdiener aufstockende Leistungen bekommt und an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung teilnimmt. Betroffene können bei Bedarf in drei Jahren eine Umschulung besuchen statt bisher in zwei Jahren. Für die Teilnahme an Maßnahmen für eine nachhaltige Integration soll ein Bonus in Höhe von monatlich 75 Euro eingeführt werden.
- Mehr Kooperation mit dem Jobcenter: Am Anfang soll ein Kooperationsplan erarbeitet werden. Was wünscht sich der oder die Arbeitslose für den weiteren Werdegang? Besser als bisher sollen diese Wünsche berücksichtigt werden.
Für die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Britta Haßelmann, ist klar: Das Bürgergeld ermöglicht soziale und kulturelle Teilhabe. Der Unionsfraktion unterdessen wirft sie Populismus und soziale Kälte vor.
"Eine verpasste Chance", nennt der CSU-Arbeitsmarktexperte Stephan Stracke die Reform in seiner Rede. "Das Bürgergeld geht komplett in die falsche Richtung." Es fordere und fördere die Menschen zu wenig.
Der CDU-Arbeitsmarktexperte Kai Whittaker sagt:
"Bei diesem Bürgergeld stehen nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern die Hartz-IV-Vergangenheitsbewältigung der SPD. Sie wollen die Menschen ruhigstellen, anstatt sie zu aktivieren."
Minutiös werde festgelegt, "was der Jobcenter-Mitarbeiter in der Vertrauenszeit alles nicht darf", kritisierte Whittaker. Die Ampel müsse damit rechnen, dass Menschen in Arbeit sich stattdessen für das Bürgergeld und die Arbeitslosigkeit entscheiden würde – auch wegen der steigenden Energiekosten.
Während seiner Rede diskutieren auch Unions- und Grünen-Politiker:innen im Plenum. Grünen-Politiker Andreas Audretsch stellt außerdem eine zugelassene Zwischenfrage. Die Fronten, so sieht es aus, sind verhärtet.
Whittaker beschwert sich auf Twitter über die von Audretsch getroffenen Aussagen: "Vergiftet jede Debatte und ist unter der Gürtellinie." Audretsch wiederum postet seinen Redebeitrag, in dem er Whittaker und der Union unter anderem Populismus und das Verbreiten von Fake News vorwirft.
Und auch der FDP-Politiker Jens Teutrine postet einen Ausschnitt aus seiner Rede. Er wurde von CDU-Mann Whittaker angegangen, die FDP kümmere sich nicht darum, die Menschen in Arbeit zu bringen.
Solidarität und der Ansatz, Menschen in Arbeit zu integrieren, stellt Teutrine in seiner Rede klar, sind kein Widerspruch. Beides gehöre zu den Grundsäulen des Sozialstaates.
Wenig überzeugt von dem Vorstoß der Ampel zeigt sich der Account "IchbinArmutsbetroffen". Dahinter steckt eine Bewegung, die seit diesem Jahr die soziale und existenzielle Not von Armutsbetroffenen sichtbar macht. Auf Twitter schreibt der Account: "Meldet euch, wenn ihr mehr Vertrauen entgegen blickt!"
Die Kommentare darunter lassen vermuten, dass die Betroffenen mit der neuen Lösung nicht zufrieden sind.
(Mit Material von dpa)
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