Rund drei Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine steckt die Linke in einer tiefen Sinnkrise. Die neueste Episode des Dramas der selbst ernannten Friedenspartei ist der Austritt von Oskar Lafontaine.
Der ehemalige Parteichef hatte seinen Schritt am Donnerstag vor allem mit einer schleichenden Kursänderung begründet, im Zuge derer nun auch noch "die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt" würden.
Damit spielt der 78-jährige Ehemann von Sahra Wagenknecht, der ehemaligen Linken-Fraktionschefin, auf letztlich gescheiterte Bestrebungen aus den eigenen Reihen an, einem Regierungsantrag zur militärischen Aufrüstung zustimmen zu wollen.
Ende Februar hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, die Bundeswehr in Reaktion auf den Ukraine-Krieg mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auszustatten – und längerfristig jährlich mehr als zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für das Militär auszugeben.
Der wegen seiner radikalen Positionen auch innerparteilich heftig umstrittene Oskar Lafontaine schreib dazu in seiner Austrittserklärung:
Der Chef der Linken Nordrhein-Westfalen, Jules El-Khatib, entgegnet auf Anfrage von watson: "Lafontaine hat maßgeblich zur Entstehung der Linken beigetragen. Dass die Linke allerdings ihre sozial- und friedenspolitischen Positionen aufgibt, teile ich nicht."
Im Bundestag sei die Linke die einzige Partei gewesen, die sich klar gegen das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm gestellt – und gefordert habe, das Geld stattdessen in Soziales und erneuerbare Energien zu investieren. Damit solle sich Deutschland unabhängiger vom Öl und Gas aus Autokratien machen.
Auch Julia Schramm, Mitglied des Bundesvorstandes der Partei, bedauert den Austritt des Saarländers Lafontaine. Watson sagt sie, es sei schade, "dass die Karriere dieses Ausnahmepolitikers so endet". Er äußere diese Kritik nicht zum ersten Mal, sie selbst habe dies stets ernst genommen.
Sie fügt an:
Putin habe diesen Angriffskrieg begonnen und er müsse ihn sofort beenden, sagt Schramm. Sie habe allerdings nur wenig Hoffnung, dass der russische Präsident noch zur Vernunft zu bringen sei und Teil eines echten Friedens sein wolle und könne.
Traditionell gab und gibt es in der Linken viele Stimmen, die sich klar gegen den Westen und das westliche Verteidigungsbündnis Nato, dafür stark pro-russisch geäußert haben. Neben Oskar Lafontaine gehören zu diesem Flügel auch die prominenten Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen.
Vor allem Letztere geriet nach Ausbruch des Krieges in Erklärungsnot – hatte sie doch noch Tage zuvor auf verschiedenen Kundgebungen einen möglichen Angriff Russlands auf sein Nachbarland als Lüge US-amerikanischer Geheimdienste bezeichnet. Später kam auch von ihr Kritik an Wladimir Putin.
Relativ unberührt von den neuesten Ereignissen scheint das Verhältnis der Partei zur Nato zu sein. Putin will einen Eintritt der Ukraine in das Bündnis unbedingt verhindern – und für viele Linke-Genossinnen und -Genossen in Deutschland gehört es ganz abgeschafft.
Das sehen auch Jules El-Khatib und Julia Schramm so. El -Khatib sagt:
Julia Schramm antwortet auf die Frage nach ihrem Verhältnis zur Nato:
Einen Einfluss auf geopolitische Geschicke der Bundesregierung liegt für die Linke momentan allerdings weiter entfernt denn je.
Viele politische Beobachterinnen und Analysten, aber auch eigene Parteimitglieder wie der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, schauen irritiert bis fassungslos auf radikale außenpolitische Positionen.
Aber es gibt auch einen starken Reformer-Flügel innerhalb der Linken, welcher sich pro-westlich, und hinter vorgehaltener Hand, auch klar pro-Nato positioniert. Bisher muss sich dieser Flügel den etwas in die Jahre gekommenen traditionslinken Grundsätzen unterordnen, die sich teils lesen wie in der Zeit des Kalten Krieges eingefroren.
Die Ukraine-Krise könnte nun neue Bewegung in den Transformations-Prozess der Linken bringen.