Reiche bleiben in Deutschland oft reich. Die Erbschaftssteuer begünstigt sie dabei.Bild: pexels / ron lach
Analyse
Die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, sie zerschneidet auch Deutschland. Und die Unterschiede werden dabei immer größer. In Deutschland ist weniger das Einkommen das Problem, vielmehr tragen extrem große Vermögen zu der massiven Ungleichheit bei.
So ergibt eine Studie von Oxfam, dass die gesamte ärmere Hälfte in Deutschland lediglich 1,3 Prozent des Vermögens besitzt. Die reichsten zehn Prozent hingegen besitzen 67,3 Prozent. Die Superreichen, 0,1 Prozent der Deutschen, verfügen über 20,4 Prozent des Vermögens.
Und auch Erbschaften sind in Deutschland extrem ungleich verteilt. Erben viele Menschen in den westdeutschen Bundesländern oft die Häuser ihrer Familien, sieht das im Osten zum Großteil anders aus. Eine Mauer, bis heute. Philosoph Stefan Gosepath von der Freien Universität Berlin sagt dazu im Gespräch mit dem "Tagesspiegel":
"Zurzeit kommen manche Babyboomer in den Genuss, das Vermögen ihrer Eltern aus der bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder-Generation zu erben. Manche, nicht alle, versteht sich. Aber dadurch findet gerade ein bedeutender Vermögenstransfer statt. Auf der anderen Seite stehen alle die, die in der DDR aufgewachsen sind: Sie wissen, dass sie wenig oder gar nichts erben werden."
Diese Erbschaften, schreibt Ökonom und Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, in seiner Kolumne bei der "Zeit", seien der Grund für die große Ungleichheit in Deutschland. Eine Studie des DIW, schreibt Fratzscher, komme zu dem Schluss, dass Millionäre in Deutschland sechs prägnante Eigenschaften mitbrächten:
- ungewöhnlich häufig männlich
- mittleres oder höheres Alter
- kein Migrationshintergrund
- westdeutsch
- gute Bildung
- häufig selbstständig
DIW-Chef Marcel Fratzscher ist eine laute Stimme, wenn es um Ungleichheit und Vorurteile geht.Bild: imago images / Frank Peter
Der hohe Bildungsgrad sowie die berufliche Unabhängigkeit erscheinen als logische Reichtumstreiber. Nicht aber das Geschlecht, oder die (west-)deutsche Herkunft der Familie. Und hier kommt das Thema Erbschaft ins Spiel. Denn laut Fratzscher wurde die Hälfte aller privaten Vermögen in Deutschland nicht selbst erarbeitet, sondern geerbt oder verschenkt. Ein Vermögen erbe weniger als jede:r Dritte.
Reiche bleiben in Deutschland meist reich
Und: Gerade die Reichsten haben ein Großteil ihres Vermögens geerbt. Und das in den meisten Fällen, ohne dafür großartig Steuern zu zahlen. Überwiegend wird das Vermögen nämlich in Form von Betriebsvermögen und Immobilien weitergegeben. Betriebsvermögen werden in Deutschland bei Erbschaften zu einem großen Teil nicht besteuert.
Yachten, Villen und Luxus erben in Deutschland die wenigsten; trotzdem sorgen Erbschaften für eine krasse Ungleichheit.Bild: pexels / elle hughes
Und auch bei Immobilien gibt es einen Unterschied, zwischen dem Elternhaus und einer ganzen Reihe von Häusern. Ab 300 Immobilien gilt der Besitz nämlich als Wohnungsunternehmen: Und das zahlt keine Steuern.
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"Je mehr Sie erben, desto weniger werden Sie besteuert. Im Einkommensteuertarif gilt ja genau der umgekehrte Grundsatz. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Und im Erbschaftssteuergesetz gilt, schwache Schultern müssen mehr tragen als starke. Das ist absurd", zitiert die Tagesschau Erbrechtsanwalt Markus Sebastian Rainer.
Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit dem Namen "Deutschland auf dem Weg zur Erbengesellschaft" haben Erbschaften zwei große Probleme: Es gebe dadurch sowohl eine Vermögensungleichheit als auch ein Gerechtigkeitsproblem. Die FES schreibt:
"Wenn der Kapitalakkumulation keine demokratische Antwort in Form von Steuern entgegengehalten wird, wachsen Vermögen umso höher an, je höher sie ohnehin bereits sind, und das in einem exponentiellen Ausmaß."
Heißt: Ohne Umverteilungsmaßnahmen wird sich die Schere immer weiter öffnen – die Ungleichheit immer größer werden.
Was "exponentielles Ausmaß" bedeutet, ist spätestens seit Corona bekannt. Die hohen Vermögen steigen also ins Unermessliche – und das ganz legal. Erben, sagt Philosoph Gosepath im Gespräch mit dem "Tagesspiegel", ist per se ungerecht. Denn es stehe dem Leistungsprinzip entgegen.
Erben ist ein Problem für die Chancengerechtigkeit
Das Erben verletze die Chancengerechtigkeit, meint er. Daher schlägt Gosepath vor, umzuverteilen. Und bringt dabei die Idee ein, Geld, dass durch die Erbschaftssteuer eingenommen wird, an jene zu verteilen, die nichts erben werden.
In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung liegt die Durchschnittserbschaft bei rund 3600 Euro netto, schreibt DIW-Präsident Fratzscher. Er macht darauf aufmerksam, dass eine Vielzahl an Menschen mit niedrigem Einkommen, wenig Bildung und geringen Chancen meist nicht das Glück einer Erbschaft haben. Stattdessen seien sie auf die staatlichen Sozialsysteme angewiesen – und die könnten Menschen zwar gegen Risiken wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit absichern, seien aber kein befähigendes Instrument.
Fratzscher schlägt vor, Vermögen durch Erbschaften umzuverteilen – und zwar nicht exponentiell an die Reichsten, sondern an alle. Er bringt dafür das Konzept des "Lebenschancenerbes" ein. Der Vorschlag: Junge Menschen bekommen zum Abschluss ihrer Ausbildung 30.000 Euro und können das Geld frei nutzen. Die massive Ungleichheit, meint der DIW-Chef, käme nämlich nicht daher, dass einige wenige so große Vermögen haben – sondern weil zu viele gar nichts hätten.
Forderung nach Grunderbe wird lauter
Das sogenannte Grunderbe – oder eben "Lebenschancenerbe" – ist eine immer wieder laut werdende Forderung. So will sich etwa auch die SPD-nahe Jugendorganisation Jusos für ein solches Grunderbe starkmachen. Ihr Vorsitzender Philipp Türmer sagte dazu bei seiner Antrittsrede:
"Häufig bleiben auch die folgenden Generationen in diesem Teufelskreis gefangen. Ein Grunderbe kann dabei helfen, das zu durchbrechen. Damit können sich die Startchancen junger Menschen in ihr selbstständiges Leben massiv verbessern."
60.000 Euro für alle vom Staat fordert die Jugendorganisation. Und mit diesem Anliegen sind die Genoss:innen nicht allein. Linken-Chef Martin Schirdewan fordert ein Grunderbe von 50.000 Euro für alle und selbst der Ostbeauftragte der Ampel, Carsten Schneider (SPD), will 20.000 Euro für alle. Die Idee ist also in der Welt und wird von verschiedensten Akteur:innen propagiert. Bislang zeigt die Regierung allerdings keine Regung, was eine mögliche Umsetzung angeht.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) bemühen sich aktuell nicht um neue Steuern.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Eine andere Lösung für das Ungleichheitsproblem: An der Steuerschraube drehen. Hier hat die Kanzler-Partei SPD auf ihrem Parteitag 2023 einen Grundstein gelegt. Geeinigt hatten sich die Genoss:innen dort auf eine einmalige Vermögensabgabe – genannt Krisenabgabe – für die höchsten Vermögen des Landes. Dafür wolle sich die Partei einsetzen, auch wenn den Sozialdemokrat:innen klar ist, dass eine Umsetzung in dieser Legislatur mit der FDP quasi unmöglich ist.
Steuern könnten auch aus Sicht des Ungleichheitsforschers Marius Busemeyer sehr direkt zu einer Reduktion der Ungleichheit beitragen. Das erklärt der Professor der Uni Konstanz auf watson-Anfrage. Er räumt aber auch ein: "Solche Maßnahmen sind aber wegen der Koalitionslogik der Ampel-Regierung sehr unwahrscheinlich."
Im Sommer 2023 wurde auch im Bundestag über eine Reform der Erbschaftssteuer debattiert. Die Linke hatte damals in einem Antrag die Streichung von Vergünstigungen für Reiche gefordert; die AfD in einem eigenen Antrag die generelle Streichung der Steuer. Im Herbst hat der Bundestag gegen beide Anträge gestimmt. Die Ampel hat stattdessen bereits 2022 den Weg frei gemacht für höhere Freibeträge – also die Möglichkeit, Vermögen am Fiskus vorbei zu vererben, erhöht.
Rolf Mützenich ist der Fraktionschef der SPD. In zahlreichen Debatten spricht er für seine Partei im Bundestag. Mützenich ist bekannt für seine Friedenspolitik, gleichzeitig half er aber auch bei der Durchsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr.