Die Opferhilfe-Organisation "Weißer Ring" sagt über sich selbst: "Wir helfen Menschen, die Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden sind. Auch deren Angehörige liegen uns am Herzen."
Seit ihrer Gründung am 24. September 1976 hat sich die Organisation um Menschen gekümmert. Geholfen. Gekämpft.
Zuletzt hat der Weiße Ring jedoch stark an Renommee eingebüßt. Verantwortlich dafür ist ein Skandal um Missbrauch und unterlassene Hilfeleistung beim Weißen Ring in Lübeck.
Wir fassen die Geschichte zusammen.
Die Geschichte beginnt im April 2016: Damals wandte sich eine Frau hilfesuchend an Detlef Hardt (73), der in Lübeck "der Weiße Ring in Person war" (Spiegel)
Hardt war Leiter der Außenstelle, früher Polizist, vor seiner Pensionierung Sprecher der Lübecker Polizei.
Hardt war in Lübeck stadtbekannt, gut vernetzt, eine Institution. Zwar gab es in der Vergangenheit mehrfach Hinweise, wie Hardt sich Frauen gegenüber verhielt. Die Lübecker Staatsanwaltschaft sah jedoch keinen Anlass, den Vorwürfen nach zu gehen.
Nach dem ersten Bericht des "Spiegel" melden sich weitere Frauen aus Lübeck mit schwerwiegenden Vorwürfen bei dem Magazin. Von sexistischen und schmierigen Anmachen ist da die Rede. Von der Frage, ob er die Brüste der Frauen anfassen dürfe. Auch soll er einer Betroffenen den ernst gemeinten Ratschlag gegeben haben, sie solle doch als Prostituierte arbeiten, wenn sie finanziell besser dastehen wolle.
Nach diesem und weiteren Erlebnissen mit Hardt wandte die traumatisierte Frau sich an den Frauennotruf Lübeck. Dort sagte sie, sie wolle Anzeige gegen Hardt erstatten und der Frauennotruf möge sie zur Polizei begleiten. Sie rechnete fest mit der Unterstützung der Notrufstelle.
Eine der Frauen schrieb einen offenen Brief an Hardt. Mehrere Frauen zwischen 40 und 50 erstatteten unabhängig voneinander Anzeige. Nach Spiegel-Informationen soll sich Hardt vor einer der Frauen entblößt haben.
Dieser bestreitet die Vorwürfe. "Das ist ehrverletzend und widerlich", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Er habe selbst Anzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede erstattet.
Der Fall des übergriffigen Chefs des Weißen Rings in Lübeck begann Kreise zu ziehen. Medien aus dem gesamten Bundesgebiet berichteten. Bereits im November 2016, davon darf man heute ausgehen, wussten im Verband die Allermeisten bescheid. Schon jetzt hätte Hardt gehen müssen. Stattdessen traf man mit ihm eine Vereinbahrung.
Er solle keine Frauen mehr unter vier Augen zur Beratung empfangen. Der Bundesvorstand des Weißen Rings forderte erst im Sommer 2017, Hardt abzuberufen. So ist es beim Weißen Ring eigentlich Grundsatz. Doch nichts geschah.
Der Landesverband Schleswig-Holstein habe "zögerlich und völlig unangemessen" reagiert, sagte die Bundesvorsitzende der Opferhilfe-Organisation Roswitha Müller-Piepenkötter. Bei der Staatsanwaltschaft lägen aktuell drei Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung durch Hardt vor, sagte Oberstaatsanwältin Ulla Hingst. Eine davon stamme vom Bundesverband des Weißen Rings.
Vier weitere Strafanzeigen sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft bei der Polizei eingegangen. Die Vorwürfe bezogen sich vor allem auf das Jahr 2016.
Während nach ausführlichen Berichten des "Spiegel" und der "Lübecker Nachrichten" nun die Ermittlungen laufen, versucht der Weiße Ring in Lübeck und im Rest Deutschlands die Wogen zu glätten.
Die neue Leiterin des Weißen Rings in Lübeck, Heike Schulz, versucht nun einen Neustart der Außenstelle in der Hansestadt. Sie und alle Mitarbeiter seien fassungslos über das, was Menschen in Not mutmaßlich von einem ehemaligen Mitarbeiter angetan wurde, sagte Schulz.
Und die Affäre zieht immer weitere Kreise. Wie der Spiegel berichtet, prüft das Innenministerium Schleswig-Holstein derzeit, ob hohe Landesbeamte versagt haben. Auslöser ist eine E-Mail vom 20. Juli 2017, die der Lübecker Polizeichef Norbert Trabs ins Ministerium geschickt hatte.
Wie sich nach Recherchen von "Spiegel" und "Lübecker Nachrichten" herausstellt, ging die Nachricht an zwei Spitzenbeamte, die mittlerweile aus anderen Gründen nicht mehr in ihren Ämtern sind sowie an eine heute noch aktive Abteilungsleiterin.
Keiner von ihnen informierte die Hausspitze. Die Mail des Polizeichefs bezog sich auf einen Belästigungsversuch von Detlef Hardt.
Der damalige Landesvorsitzende des Weißen Rings, Ex-Justizminister Uwe Döring, überlege, "wie man die Situation geräuschlos bearbeiten kann". Das, meldete der Polizeichef ins Ministerium, sei aber "nicht die Angelegenheit der Polizei".
Auch Hardts Anwalt Oliver Dedow sorgt beim Weißen Ring für Empörung. Dedow war bisher einer von acht Juristen, die der Verein Hilfe suchenden Opfern in Lübeck empfohlen hat.
Der Weiße Ring hat ihn nun von der Liste gestrichen, denn Dedow verteidigt nicht nur den mutmaßlichen Täter, er hat kürzlich für Hardt auch Anzeige gegen unbekannt gestellt - wegen Verleumdung. Die Anzeige zielt auf Frauen, die Hardt belasten.
Betroffen sein könnten also auch mutmaßliche Opfer, die Dedow früher beraten hat. Der Anwalt sieht in seinem Mandat keinen Interessenkonflikt.
(mit dpa)