Bei dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 16. Dezember 2016 starben zwölf Menschen.IMAGO-MONTAGE
Deutschland
Vertuschung bei Berlin-Anschlag? 6 Punkte zur Turbo-Abschiebung des Freundes von Anis Amri
23.02.2019, 08:36
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Am 1. Februar 2017 landet Bilal B.A. als einer von 118
Passagieren einer Linienmaschine in Tunis. An Bord habe sich der
Abgeschobene ruhig verhalten, heißt es hinterher. Was er von den
Anschlagsplänen seines Freundes Anis Amri wusste, ist bis heute
unklar.
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag will Bilal B.A, den abgeschobenen Freund des späteren Attentäters Anis Amri, demnächst als Zeugen vernehmen.
Wie am Freitag aus dem Ausschuss verlautete, ist eine Mehrheit der Mitglieder für einen entsprechenden Beweisbeschluss. Offen ist aber noch, ob Bilal B.A. in Berlin oder im Ausland vernommen werden soll.
Das Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016
Am 19. Dezember 2016 kaperte
der Tunesier Anis Amri, dessen Asylantrag zuvor abgelehnt worden war, einen Lastwagen, raste damit auf den Weihnachtsmarkt an
der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und tötete so zwölf Menschen.
Nach dem Anschlag konnte der Tunesier, der in Deutschland mehrere
falsche Identitäten nutzte, nach Italien fliehen. Dort wurde er von
der Polizei erschossen. Wie er nach Italien kam und ob er womöglich
Fluchthelfer hatte, ist bis heute nicht aufgeklärt.
Welche Rolle spielt B.A.?
B.A. war 2014 zusammen mit anderen Tunesiern nach Deutschland
gekommen. In Berlin wurde er am 19. Februar 2016 als Gefährder
eingestuft. Am Abend vor dem Anschlag aß er mit Amri in einem Lokal.
Wie Amri so war auch er ein Anhänger der Terrormiliz Islamischer
Staat (IS). Eine Beteiligung an der Vorbereitung des Anschlags konnte
ihm nicht nachgewiesen werden.
Am 1. Februar 2017 wurde er direkt aus
dem Gefängnis nach Tunesien ausgeflogen und dort den Behörden
übergeben. Er soll sich vor einigen Monaten noch in Tunesien
aufgehalten haben. In Haft saß er da dem Vernehmen nach nicht. Gegen
den Abgeschobenen sei damals eine Wiedereinreisesperre für den
Schengen-Raum verhängt worden, berichtete der Ausschuss-Vorsitzende
Armin Schuster (CDU). Er persönlich halte deshalb eine Befragung im
Ausland für sinnvoll.
Für die tunesischen Behörden war Bilal B.A. kein Unbekannter, auch
wenn er zuhause nicht als Terrorist aufgefallen war. Ein Beamter des
Bundesinnenministeriums schrieb in einer internen Mail, die Vorwürfe
gegen ihn in Tunesien lauteten Beteiligung an Demonstrationen,
"Sabotage" und illegale Ausreise nach Libyen, "so dass vielleicht
nicht unbedingt die Todesstrafe droht".
Nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeigers" soll Bilal B.A.
bereits 2015 über mögliche Attentate in Nordrhein-Westfalen
gesprochen. Der Zeitung (Samstag) liegen nach eigenen Angaben
Ermittlungsunterlagen vor, denen zufolge der heute 28-Jährige sich im
Juli 2015 mit unbekannten Kontaktleuten über Terrorakte austauschte.
"In Dortmund müsste etwas passieren, und Züge müssten bombardiert
werden", lautet demnach eine Aussage aus einem belauschten Gespräch.
Bilal B. A. sei vorübergehend festgenommen worden, doch konkrete
Beweise für Terrorpläne ließen sich nicht finden.
Welche Rolle spielt Tunesien?
Bereits am 19. Januar - einen Monat nach dem größten islamistischen
Terroranschlag in Deutschland - schrieb ein Mitarbeiter des damals
noch Thomas de Maizière (CDU) unterstellten Bundesinnenministeriums
in einer E-Mail an Innen-Staatssekretärin Emily Haber: "frohe
Kunde: Sachsen hat den Abschiebe-Haftantrag gestellt" - und sei auch
bereit diesen vor Gericht in Berlin zu vertreten.
Auf Intervention
des Bundeskriminalamtes habe Tunesien B. A. als tunesischen
Staatsbürger anerkannt. Der Islamist saß zu diesem Zeitpunkt in
Untersuchungshaft - wegen Sozialhilfebetrugs. Bei seiner Vernehmung
hatte er angegeben, er habe mehrfach Kokain bei Amri gekauft, da der
ihm die Droge zu einem Freundschaftspreis überlassen habe.
In einer Botschaft, die ein Bundespolizist am 20. Januar 2017 an
seine Kollegen schickte, wird ein Treffen mit einem Diplomaten der
tunesischen Botschaft in Berlin beschrieben: "Bei der Nennung des
Namens B.A. war an der Erstreaktion von Herrn S. zu merken, dass er
mit dem Namen etwas anfangen konnte. Herr S. ist im Weiteren aber
nicht darauf eingegangen".
Warum wird B.A. jetzt erneut zum Thema?
Abgeordnete der Opposition finden das Tempo verdächtig, mit dem die
deutschen Behörden damals auf die Abschiebung dieses Landsmannes und
engen Vertrauten von Amri drangen. Sie fragen sich, ob möglicherweise
etwas vertuscht werden soll - etwa, dass man die Gefährder Amri und
B.A. nicht von der Straße geholt hatte, weil man sich von ihnen
interessante Informationen über andere gewaltbereite Islamisten im
In- und Ausland erhoffte. "Die Abschiebung eines Gefährders, die bei
Anis Amri im Jahr 2016 monatelang nicht geklappt hat, war nach dem
Anschlag bei Bilal B.A. eine Sache von Tagen", sagte der FDP-Obmann
im Untersuchungsausschuss, Benjamin Strasser.
Im Untersuchungsausschuss wurde am Donnerstagabend auch über
Aufnahmen vom Tatort an der Gedächtniskirche gesprochen, auf denen
angeblich Bilal B.A. zu sehen sein soll. Mitglieder des Ausschusses
erklärten, ihnen lägen keine entsprechenden Aufnahmen vor. Ein
Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte, es habe am Breitscheidplatz
zum Zeitpunkt des Anschlags nach dem bisherigen Stand der
Ermittlungen "keinen weiteren Tatverdächtigen vor Ort" gegeben. Die
Ermittlungen gegen Bilal B.A. sein "mangels eines hinreichenden
Tatverdachts eingestellt worden".
Wie reagiert das Innenministerium?
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die Abschiebung jetzt
untersuchen lassen, und zwar mit "größtmöglicher Transparenz und
Offenheit", wie er am Abend erklärte. Er unterstrich, dass die
Strafverfolger der Abschiebung zugestimmt hätten. Daher sei der
Anfangsverdacht, es sei eine politische Entscheidung, "jedenfalls
nach bisheriger Prüfung nicht zutreffend".
Seehofer geht nicht von einem Anfangsverdacht aus. Bild: imago stock&people
In Unterlagen des Bundeskriminalamt (BKA), die der Deutschen
Presse-Agentur vorliegen, ist zwar von einem Mann mit blauen
Einweghandschuhen die Rede, der auf einem Tatort-Foto aufgefallen
war. Der Verdacht, dass es sich bei dem Abgebildeten um Bilal B.A.
handeln könnte, ließ sich jedoch demnach nicht erhärten.
Doch noch etwas ist auffällig: In einem Vermerk des BKA, der rund
drei Monate nach der Abschiebung verfasst wurde, heißt es, B.A. habe
mehrfach den Breitscheidplatz "als Fotomotiv gewählt, wobei erste
Bilder des Breitscheidplatzes von Februar und März 2016 den späteren
Einfahrtsbereich des Tatfahrzeuges ablichten, was vor dem Hintergrund
des Anschlaggeschehens den Eindruck einer Ausspähung erweckt."
Wie geht es in der Frage jetzt weiter?
Am 2. November 2016 war Amri Thema einer Besprechung im Gemeinsamen
Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GTAZ) gewesen. Das BfV
wurde damals gebeten, Hinweisen des marokkanischen Geheimdienstes auf
mögliche Anschlagspläne Amris nachzugehen.
Die Frage, warum der
Inlandsgeheimdienst diesen Auftrag erhielt und nicht etwa der
Auslandsgeheimdienst BND, sei immer noch unbeantwortet, sagte die
Grünen-Obfrau Irene Mihalic. Von der für den 21. Februar geplanten
Vernehmung eines BND-Mitarbeiters erhoffe sie sich dazu "schlüssige
Erklärungen und Antworten".