Vor einigen Tagen wurde der Autovermieter Sixt für eine Werbung auf Twitter kritisiert, die der Konzern Anfang Oktober veröffentlicht hatte.
Mit der Aufschrift "Es gibt immer diesen einen Freund, der es beim Autofahren ein wenig übertreibt" zeigte Sixt einen Sticker, auf dem sieben Ampeln, sechs Katzen und acht Radfahrer symbolisiert waren.
Tatsächlich starben in diesem Jahr laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC allein in Berlin bereits elf RadfahrerInnen. Deutschlandweit gibt es noch keine konkreten Zahlen.
Hier ist der Sticker zu sehen:
Mittlerweile hat Sixt den Werbe-Tweet gelöscht:
Verständlich, dass einige die Werbung auf Kosten der Radfahrer trotzdem so gar nicht witzig fanden.
Eine von ihnen ist Anna Riedel. Sie twitterte als Antwort auf die Sixt-Werbung:
Hier erzählt Anna vom Unfall ihrer Mutter und der Zeit danach.
Anna RiedelBild: privat
Ich bin Anna, 28 Jahre
alt, komme aus Duisburg und lebe und studiere seit sechs Monaten mit meiner zweijährigen
Tochter und meinem Freund in Berlin.
Meine Mutter ist bei einem Verkehrsunfall auf dem Fahrrad umgekommen.
2012 entschloss sich meine Mutter dazu, ein
freiwilliges soziales Jahr in einer Einrichtung von Behinderten und
Nichtbehinderten in Cork in Irland zu absolvieren. Nach knapp zweieinhalb
Monaten dort kaufte sie sich ein Fahrrad.
Anna mit ihren Eltern
Der Unfall
Auf dem Rückweg von ihrer Pause am 21. April 2012 wurde sie
von einem Auto von hinten mitgenommen. Das Auto ist in sie reingefahren, sie
wurde vom Fahrrad geschleudert und war sofort tot. Das Gericht hat die volle
Schuld beim Fahrer gesehen.
Es gab keinen Grund, warum all das hätte passieren
sollen: Es war nicht dunkel, meine Mutter hat sich an die Verkehrsregeln gehalten. Ich schätze mal, der Fahrer hat auf sein
Handy geguckt, ist dann zu nah drangekommen.
Acht Monate nach dem Tod meiner Mutter bekam ich eine schwere
Depression, aus der ich mich die letzten Jahre mühsam herausgearbeitet habe.
Ich war nicht komplett rausgeworfen
aus dem Leben, aber mir hat jegliche Energie und jeglicher Selbstbezug gefehlt. Wenn man
mit dem Zufall eines Unfalls konfrontiert wird, machen die Bausteine im Leben
keinen Sinn mehr. Man kann sich einfach auf nichts mehr verlassen. Diese
Plötzlichkeit und dieses Zufällige machen einen so fertig, dass man die
automatischen Glaubensmechanismen nicht mehr anwenden kann.
Überlege mal: Was ist die Wahrscheinlichkeit? Eine Deutsche
fährt nach Irland, fährt dort Fahrrad und wird totgefahren.
Ich habe dann eine Gesprächs- und eine Gestalttherapie gemacht. Die hat mir den Arsch gerettet.
Ich kann zwar nicht nahtlos an die Zeit anknüpfen, bevor meine Mutter gestorben ist. Aber
ich habe jetzt eine relative Lebenssicherheit.
Mein Vater war viel damit beschäftigt, für mich da zu sein.
Als es bei mir langsam stabiler wurde, ist er in eine psychosomatische Klinik
eingewiesen worden. Der Unfall hat also bei uns allen einmal komplett den Boden
unter den Füßen weggerissen.
Heute, sechs Jahre später, beschäftige ich mich intensiv mit
dem Thema Verkehrssicherheit und habe vor einiger Zeit der "Irish Times" ein
Interview gegeben.
Der Artikel ist im Mai dieses Jahr erschienen. Und mit den
Kommentaren darunter hatte ich nicht gerechnet. Das war heftig. Es gab Menschen, die unter dem Artikel kommentiert
haben: "Wer ist denn auch so doof und fährt in Irland Fahrrad?" Das hat mich so
wahnsinnig verletzt, dass ich aufhören musste, zu lesen.
Mein Tweet war eine Kurzschlussreaktion
Und auch heute bin ich jedes Mal getriggert, wenn es um
Fahrradtote geht.
Mein Tweet an Sixt war daher eher eine Kurzschlussreaktion.
Ich habe die Werbung auf Twitter gesehen mir gedacht:
'Okay, wenn diese ganze Geschichte jetzt Druck braucht, dann bin ich die Person, die hier Druck geben kann. Denn ich bin Opfer.'
Man kann natürlich debattieren, ob die Menschen gestorben
sind, die auf dem Sixt-Aufkleber dargestellt wurden. Aber die Wahrscheinlichkeit, bei
Verkehrsunfällen mit Fahrrädern ist ziemlich hoch.
Als ich mir dann die Kommentare zu der Sixt-Werbung
durchgelesen habe, war ich sehr froh, dass die Werbung negativ aufgefasst
wurde. Einfach auch, weil ich schon einmal eine andere Erfahrung mit dem
Artikel der "Irish Times“ gemacht hatte. Dieses Mal standen Leute dafür ein, dass so etwas hier keinen Platz hat.
Was mich am meisten an der Werbung gestört hat, war die
Überschrift: "Jeder hat diesen einen Freund“. Da dachte ich mir: 'Leute, bitte.
Dann nehmt den Freund beiseite und lest dem ordentlich die Leviten. Dem muss man
keinen Aufkleber schenken und das noch witzig finden.'
Das ist ungefähr genauso lustig, wie wenn jemand erzählt, dass er betrunken Auto gefahren ist.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, welches Klientel Sixt ansprechen wollte. Nämlich
solche Menschen, die es witzig finden, beschissen Auto zu fahren. Die
Strichliste auf der Sixt-Werbung sah ja fast so aus, als wäre es eine
Leistung, jemanden umzunieten. Und Radfahrer sind einfach die schwächeren
Verkehrsteilnehmer. Wir leben in einer extrem eng zusammengeknüpften Gesellschaft
und da ist Raum für ein bisschen Witz, aber kein Raum für beschissenes
Autofahren und dann noch koketten Umgang damit.
Bild: imago stock&people
Autos sind Waffen
Einen Führerschein habe ich nicht. Ein bis zwei Mal im Monat lasse ich mich vielleicht fahren, aber niemals würde ich mich hinter ein Steuer setzen.
Fahrrad fahre ich, aber nur im Kiez, vielleicht mein Kind
von der Kita abholen oder an einem Kanal vorbei. Ich bin drei Mal in Berlin zur Uni
gefahren über die Müllerstraße und die Chausseestraße und musste mich danach
massiv beruhigen, einfach, weil ich so viele Gefahrenquellen gesehen habe.
Dass Sixt die Werbung nun gelöscht hat, finde ich gut. Eine
Rückmeldung auf meinen Tweet gab es aber nicht. Ich war erstmal froh, dass das
Bild nicht weiter die Runde macht. Auf der
anderen Seite hätte ich eine konkrete Stellungnahme oder Entschuldigung des Konzerns schön gefunden. Das
würde mir reichen. Ich denke nicht, dass die Welt frei von schwarzem Humor sein
sollte. Aber es ist eben immer die Frage: Wer spricht über wen, wer darf Witze
über wen machen und sich was genau aneignen?
Was ich mir von anderen Verkehrsteilnehmern wünsche:
Man muss im Straßenverkehr für den anderen mitdenken. Das
ist nicht immer einfach, man ist im Stress, drückt auf das Gaspedal, damit man
nicht noch später zum Kind oder nach Hause kommt. Aber man muss eben darüber
nachdenken: "Wer fährt da mit mir?" Und wen kann ich eventuell durch mein
Verhalten das Leben kosten? In der Straßenbahn ist es schlecht, wenn du für die
schwangere Frau nicht aufstehst. Wenn du im Straßenverkehr nicht für das Kind
auf dem Zebrastreifen bremst, hast du ein Leben auf dem Gewissen. Das ist eine
andere Dimension.
Was ich an meine Tochter weitergebe:
Bild: privat
Ich bringe meiner kleinen Tochter trotzdem bei,
dass sie im Straßenverkehr nicht gesehen wird und immer auf sich selbst
aufpassen muss. Innerlich bekomme ich Schnappatmung, wenn ich daran denke, dass
sie irgendwann mit dem Fahrrad zur Schule fährt.
Aber ich werde sie wohl kaum mit dem Auto fahren.
Augenblicke – Bilder aus aller Welt
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Augenblicke – Bilder aus aller Welt
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