"Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“
Das nominierte Album wurde in den ersten sieben Tagen nach Veröffentlichung Ende letzten Jahres fast dreißig Millionen Mal gestreamt.
Kollegah und Farid Bang sind in Deutschland Rapstars, unzählige Jugendliche hören ihre Musik.
Die beiden Rapper haben sich mittlerweile für die Zeile entschuldigt. Der Echo hielt an einer Nominierung fest, auch wenn sich das Gremium von dem Album distanzierte.
Und Kollegah bot auf Facebook an:
Antisemitismus sei kein importiertes Problem, sondern in der deutschen (Mehrheits-)Gesellschaft tief verankert, sagt Burak Yilmaz, 30, Sozialarbeiter in Duisburg.
Yilmaz veranstaltet seit 2012 mit dem Verein "Jungs e.V." Fahrten mit Jugendlichen im Alter von 16-20 Jahren nach Auschwitz.
Das Angebot richtet sich an Jugendliche aus Duisburg, viele von ihnen kommen aus muslimisch geprägten Haushalten.
Yilmaz bei der Arbeitpascal bruns/polynice
Jetzt plant Yilmaz eine eigene Videoreihe, denn antisemitische Videos kursieren häufig im Netz und wenn man die Begriffe "Jude" oder "Israel" eingibt, kämen oft Videos mit Verschwörungstheorien, sagt der Pädagoge.
Yilmaz will mit seinen Videos ein Gegenangebot schaffen, das junge Menschen motivieren soll, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine moderne Form der Erinnerungskultur sein könnte.
Ist Antisemitismus unter Jugendlichen, die aus muslimisch geprägten Haushalten kommen ein weit verbreitetes Problem?
Es gibt kaum Studien zu dem
Phänomen Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen, doch es gibt einige Familien,
in denen Antisemitismus Teil der Erziehung ist. Das kann von einer Feindschaft gegenüber Israel kommen oder antisemitischen Narrativen, die sie religiös vermittelt bekommen. In Duisburg zum Beispiel gibt es einige Koranschulen, die Kindern Hass beibringen.
Also, mündliche Narrative aus dem Elternhaus, Freundeskreise, in denen sozialer Druck aufgebaut wird, wenn Jugendliche eine differenziertere Haltung
haben sind große Faktoren. Und das Internet.
Es gibt übrigens auch viele Muslime, die Antisemitismus einfach
nur noch satt haben und sich dagegen engagieren. Leider werden genau diese
Jugendlichen aber kaum gehört.
Was sind die
gängigen Sprüche und Vorurteile, die Ihnen vor der Arbeit mit den
Jugendlichen begegnen?
Unter muslimischen Jugendlichen fällt häufig
der Satz "Die Juden kontrollieren die Welt" oder "Die sind schuld an
allem".
Mir ist aber auch schon Antisemitismus im Lehrerzimmer oder in der
Universität begegnet, zum Beispiel wenn Lehrer oder Professoren dann sagen, die
Juden hätten überall ihre Lobbies und würden damit politische Ereignisse
lenken.
Das sind klassische antisemitische Verschwörungstheorien.
Wie erleben Sie die Jugendlichen dann bei den Besuchen in Auschwitz?
Viele von ihnen sind sehr
entsetzt, auch häufig sprachlos und traurig.
Sie zeigen Empathie für die Opfer
und können es sich schwer vorstellen, was für ein Terror im KZ stattgefunden
hat. Da fließen auch Tränen. Andere wiederum fragen sich, ob so etwas wieder
passieren kann und welche Verantwortung jeder Einzelne hat, damit
Menschenrechte eingehalten werden.
Sie treffen dort auch auf israelische Jugendliche und es sind auch schon Freundschaften in Auschwitz entstanden. Das ist an diesem Ort etwas ganz Besonderes, gerade weil sie das allererste Mal im Leben Israelis treffen.
Danach ist alles sehr kompliziert. Wir fangen die inneren Konflikte der Jugendlichen, ihre Gedanken und ihre Gefühle in einem anschließenden Theaterstück auf, das sie nach jedem Besuch entwickeln. Das dauert bis zu 6 Monaten. Der eigentliche Denk- und Gefühlsprozess fängt im Theaterstück an, hier vertiefen sie ihre Gedanken. Die Stücke führen wir dann in der jüdischen Gemeinde in Duisburg auf.
Wie viel Anteil daran haben Künstler wie Kollegah und die aktuelle
Jugend- und Rapkultur?
Kollegah und Farid Bang wissen,
dass sie mit diesen Textzeilen ihre Verkaufszahlen ankurbeln können.
Mit Antisemitismus lässt sich in Deutschland leider auch viel Geld verdienen,
weil ein großer Teil unserer Gesellschaft damit einverstanden ist.
Ich finde es geht nicht, dass Kollegah oder Farid Bang für den Echo nominiert sind. Denn es gibt einige Lieder, die meiner Meinung nach zumindest mit antisemitischen Narrativen spielen.
Wir müssen gesamtgesellschaftlich eine klare Haltung zeigen und deutlich machen, dass Hass nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt werden kann. Wer Hass in seiner Kunst verbreitet, hat in der Musiklandschaft nichts zu suchen.
Wie kann man gegen gegen dieses
Problem angehen, wie erreicht man Jugendliche Ihrer Erfahrung nach?
Am besten mit Begegnungen.
Menschen kennen lernen, eine Reise
mit seinen Freunden nach Israel unternehmen oder in einem israelischen
Restaurant essen, weil die israelische Küche ähnlich wie die arabische Küche
phänomenal ist.
Wir müssen aber auch den Geschichtsunterricht verbessern. Denn in Schulbüchern werden die Geschichte der Gastarbeiter oder der Nahost-Konflikt ausgeklammert. Im Bezug auf Holocaust-Erziehung erreichen wir so nicht alle in der Klasse.
Die Migrationsgeschichte der Jugendlichen muss im Schulbuch sichtbar sein. Das spricht sie an, da merken sie: Ich bin Teil dieser Geschichte! So entsteht
Identifikation und das fehlt den meisten leider.