Sowohl der innerstädtische als auch Regional- und Fernverkehr werden bestreikt.Bild: IMAGO/localpic
watson antwortet
Reisen nicht möglich: weder geschäftlich noch privat. Zumindest nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Was klingt wie die neuste Corona-Verordnung für eine frische Supervariante, ist in Wirklichkeit Arbeiter:innen-Kampf. Am 27. März haben die Gewerkschaften Verdi und Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zum bundesweiten Warnstreik aufgerufen.
"Dieser Streiktag wird massive Wirkung haben", sagt Verdi-Chef Frank Werneke. "Der ganztägige Streik beginnt in der Regel in der Nacht vom 26. auf den 27. März um 0 Uhr und endet um 24.00 Uhr", teilen beide Gewerkschaften weiter mit.
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Wo wird gestreikt?
Der öffentliche Verkehr wird in weiten Teilen zum Erliegen kommen: Die EVG bestreikt bundesweit die Bahn, das heißt der Betrieb im Fern-, Regional-, und S-Bahn-Verkehr steht quasi still. "So gut wie kein Eisenbahnverkehr" werde möglich sein, sagt Bahn-Personalvorstand Martin Seiler.
Auch im Nahverkehr sollen, zumindest in sieben Bundesländern, Busse, Bahnen, Straßenbahnen stillstehen. Betroffen sein sollen Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und in Bayern. Die Menschen vor Ort dürften an diesen Stillstand schon gewohnt sein, bereits Anfang März hatte die Gewerkschaft Verdi hier zum Streik aufgerufen.
Eisenbahnverkehr wird am "Mega-Streiktag" kaum möglich sein.Bild: IMAGO/Michael Gstettenbauer
Zunächst war befürchtet worden, dass auch Tunnel gesperrt werden müssten, weil diese nicht mehr überwacht werden könnten. Die Autobahngesellschaft wies diese Befürchtung indes zurück. "Insbesondere der Betriebsdienst auf den Bundesfernstraßen ist aufrechtzuerhalten", heißt es. "Hierzu werden Notdienstvereinbarungen geschlossen, um zum Beispiel Tunnelschließungen zu vermeiden".
Bestreikt werden in großem Umfang die deutschen Flughäfen – laut Flughafenverband ADV können etwa 380.000 Geschäfts- und Privatreisende nicht abheben. Etwa am größten deutschen Airport in Frankfurt am Main kommt der Passagierverkehr komplett zum Erliegen. Stark eingeschränkt werden soll auch die Binnenschifffahrt.
Warum wird gestreikt?
Den Gewerkschaften geht es laut eigenen Aussagen um mehr Geld und um mehr Gerechtigkeit. Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert sagte in einer Pressekonferenz:
"Mit ihrer unverständlichen Verweigerungshaltung belasten die Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft. Die Arbeitgeber müssen endlich verstehen, dass sie mit ihrer Verweigerungshaltung die Beschäftigten gegen sich aufbringen und damit dem zurecht beklagten Fachkräftemangel massiv Vorschub leisten."
Aus Sicht der Gewerkschaften zeigen die Arbeitgeber:innen in mehreren Tarifrunden zu wenig Bewegung. Mit der Großaktion lassen sie pünktlich zur dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst die Muskeln spielen.
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Für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen verlangen Verdi und der Beamtenbund dbb 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die EVG kämpft derweil mit mehreren Unternehmen um mehr Geld – besonders im Blick: die Deutsche Bahn.
"Tarifverhandlungen sollten vom Respekt gegenüber den Beschäftigten geprägt sein", stellt EVG-Tarifvorstand Cosima Ingenschay klar. Aus ihrer Sicht sei die erste Verhandlungsrunde von Ignoranz geprägt gewesen. Es fehle die Einsicht, Löhne zu zahlen, die für alle Beschäftigten zum Leben reichen.
Ende Februar begannen die Verhandlungen der EVG mit der Bahn und rund 50 weiteren Eisenbahn-Unternehmen. Die Gewerkschaft hatte in der vergangenen Woche ein erstes Angebot der Bahn abgelehnt. Sie fordert mindestens 650 Euro mehr Lohn. Für höhere Entgelte strebt sie eine Steigerung um zwölf Prozent an, bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten.
Die Bahn hatte unter anderem angeboten, die Löhne der rund 180.000 betroffenen Beschäftigten in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent anzuheben sowie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2500 Euro in Aussicht gestellt. Die Bahn kritisierte den Arbeitskampf als "grundlos und unnötig". "Die EVG muss sich ihrer Verantwortung stellen und umgehend an den Verhandlungstisch zurückkehren", fordert Personalvorstand Martin Seiler.
EVG-Chef Burkert erklärt hingegen weiter: "Was passiert, wenn die Beschäftigten sich wehren, sehen wir derzeit eindrucksvoll nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Wir sind ein Teil dieser mächtigen Arbeitnehmerbewegung." Besonders eindrücklich sind wohl die Bilder, die in den vergangenen Tagen und Wochen aus Frankreich zu sehen sind.
Dort streiken die Menschen, weil die Regierung des Präsidenten Emmanuel Macron eine umstrittene Rentenreform durchgedrückt hat.
Drohen uns französische Verhältnisse?
Von einer "Drohung" würde Politikwissenschaftler Alexander Gallas von der Uni Kassel wohl nicht sprechen. Einer seiner Forschungsschwerpunkte: Streiks. Auf watson-Anfrage erklärt Gallas:
"Streiks sind das wichtigste Mittel, um das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten auszugleichen. Das Bundesarbeitsgericht hat schon 1980 festgestellt, dass 'Tarifauseinandersetzungen ohne das Recht zum Streik, nicht mehr als kollektives Betteln' wären."
Natürlich sei es lästig, wenn Müll liegenbleibe. Gleichzeitig hätten Beschäftigte keine andere Möglichkeit, um mit Nachdruck für ihre Interessen einzutreten. Konkret gehe es darum, dass die Streikenden im öffentlichen Dienst forderten, bei einer hohen Inflation keine Reallohnverluste hinnehmen zu müssen.
Es gebe außerdem große Unterschiede zwischen den französischen und den deutschen Streiks, meint der Experte. In Frankreich komme es in der Rentendebatte zu branchenübergreifenden Generalstreiks. In Deutschland währenddessen gehe es um Tarifstreitigkeiten – nicht das ganze Land streike, sondern nur bestimmte Branchen und Sektoren.
Die Motive der Streikenden seien sich aber sehr ähnlich:
"Die Arbeitsbelastung war während der Pandemie extrem hoch, und sie wird derzeit durch den Arbeitskräftemangel verstärkt, die Reallöhne sinken auf der Grund der hohen Inflation, die soziale Infrastruktur bröckelt – und die Interessen der Beschäftigten finden auf der politischen Bühne wenig Berücksichtigung."
Wie viel Verständnis haben die Deutschen?
Der ARD-"Deutschlandtrend" zeigt im Zusammenhang mit dem Verständnis der Bürger:innen für die Forderungen der Streikenden ein sehr gespaltenes Bild: 42 Prozent sollen bei einer Befragung zum 17. März angegeben haben, die Forderungen gingen zu weit. 44 Prozent hingegen sind wohl der Meinung, die Forderungen seien genau richtig. Und acht Prozent gaben sogar an, die Forderungen gingen nicht weit genug.
Besonders groß sei die Spaltung laut der Befragung bei den Menschen über 65 Jahren. Dort sage jede:r zweite Befragte:r, die Forderungen seien unangemessen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund macht währenddessen auf Twitter noch einmal deutlich, wem die Bevölkerung aus Sicht der Streikenden die Schuld geben sollte:
Was kommt nach dem Warn-Streik?
Das kommt wahrscheinlich darauf an, wie sich die Tarifgespräche nach dem Warnschuss entwickeln. Die Gewerkschaften zumindest zeigen sich sehr entschlossen: "Wir können streiken", betont Verdi-Chef Frank Werneke. Tarifexperte Thorsten Schulten vom Forschungsinstitut WSI geht allerdings von einer "erst einmal punktuellen Aktion" aus. Zwischen den Gewerkschaften gebe es nämlich keine gemeinsame Planungsinstanz.
Für den öffentlichen Dienst erinnert Schulten an den Ablauf bei der Post: Hier hatten sich die Verdi-Mitglieder bereits per Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Doch dann folgte kurzerhand eine weitere Verhandlungsrunde – und eine Einigung. So etwas sei auch beim öffentlichen Dienst denkbar. Falls es in Potsdam kommende Woche keine Einigung gibt, würde aber wohl zuerst der Versuch einer Schlichtung unternommen, meint der Tarifexperte.
(Mit Material von dpa)
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