Ein Kanzler, der auf Instagram Kommentare vorliest, sich über seine Frisur lustig macht und mit Influencer-Gesten kokettiert – hätten wir das vor einem halben Jahr prophezeit, hätte selbst der Algorithmus nur müde gelächelt.
Noch im Wahlkampf wirkte Merz auf Tiktok und Instagram so fehl am Platz wie Olaf Scholz auf einem Rave. Seine Clips erinnerten eher an digitale Schaufensterdekoration als an plattformgerechte Kommunikation. Doch kurze Zeit nach seiner Amtsübernahme hat sich der Ton verändert.
Statt steifer Posen und Pathosmomente gibt es nun häufiger: warmes Licht, Sessel-Setting, Tablet auf dem Schoß. Merz liest Kommentare vor – und antwortet darauf spontan, schmunzelnd, direkt in die Kamera. Auf die Frage, ob er im Kanzleramt "Rambo Zambo" mache, kontert er in einem Clip: "Habe ich bisher nicht gemacht, ist aber eine gute Idee. Ich werde mit meinem Team darüber sprechen."
Gleich mehrere solcher Videos hat sein Team binnen kurzer Zeit veröffentlicht. Die Fragen reichen von politisch ernst ("Was sind Ihre Pläne für Deutschland?") bis augenzwinkernd ("Können Sie mal Ihre Frisur erklären?"). Merz' Antwort: "Gegenfrage: Ist das eine Frisur?" – selbstironisch, souverän, nicht überdreht.
Aktuell hat der Kanzler-Account auf Instagram 2,6 Millionen Follower:innen, auf Tiktok über 588.000. Diese hohe Reichweite verdankt Merz auch der Übernahme der offiziellen Bundeskanzler-Kanäle von Olaf Scholz. Zudem profitiert Merz von seiner Rolle und internationalen Sichtbarkeit.
Bemerkenswert ist dabei jedoch die steigende Resonanz: Einzelne Kommentare unter den Videos erhalten Tausende Likes, und die Follower:innen-Zahlen steigen.
Martin Fuchs, Politikberater und Experte für digitale politische Kommunikation, stellt fest: "Die erfolgreiche Inszenierung von Friedrich Merz überrascht." Das Team des Bundespresseamts habe einen "sehr guten Weg gefunden, ihn sympathisch und locker auf den Plattformen zu präsentieren".
Die Clips zeigen Merz in Interaktion: "Mit exklusiven Behind-the-Scenes-Eindrücken aus der Weltpolitik, Anekdoten vom Rande der großen Politik, einem maximal dialogischen Ansatz mit der wirklich gut gemachten Kommentarantworten und zwischenmenschlichen Begegnungen, die den Kanzler von einer anderen ungewohnten Seite zeigen." Der entscheidende Unterschied zur Vorgängerkommunikation: die demonstrierte Nahbarkeit.
Dabei bleibt die Kommunikation inhaltlich auffällig vage. Die Videoreihe konzentriert sich dabei weniger auf politische Inhalte.
Fuchs sagt dazu gegenüber watson: "Es geht eher darum, eine Stimmung zu erzeugen, die den Kanzler als erfolgreichen internationalen Krisenlöser aka 'Außenkanzler' inszeniert. Inhalte kommen eher am Rande vor." Auch andere Beobachter:innen betonen, dass die Videos vor allem auf Emotionalisierung und Identifikation setzen, weniger auf politische Substanz.
Auffällig ist dabei die professionelle Machart der Videos: Das Licht ist optimal, der Ton klar, die Botschaften pointiert. Social-Media-Experte Marlon Giglinger lobte bei "Stern": "Die Videos sind sehr klar strukturiert. Auch die Rahmenbedingungen passen gut. Es ist gutes Licht, ein klarer Sound und pointierte Botschaften."
Merz wirke bürgernah, nicht gestylt und überinszeniert – und trotzdem professionell. Das Format suggeriert: Hier spricht nicht der Parteipolitiker, sondern der Regierungschef.
Merz erscheint als internationaler Player, entschlossen, souverän. Doch diese Bildsprache überblendet vielfach die realpolitischen Konturen.
Denn während Merz digital auftritt, als sei er in der Weltpolitik zu Hause, bleiben einige seiner realpolitischen Schritte umstritten. Ein Waffenstillstandsultimatum an Putin verpuffte folgenlos. Die sogenannte "Asylwende" wurde vom Berliner Verwaltungsgericht als europarechtswidrig eingestuft. Und inhaltlich markante innenpolitische Initiativen? Bislang spärlich.
Vergleicht man den Auftritt von Friedrich Merz mit dem seines Vorgängers Olaf Scholz, wird deutlich: Beide nutzten Social Media – aber grundverschieden. Scholz war distanziert, formal, technokratisch. Bei ihm dominierte der Informationswille, nicht die Performance. Merz hingegen nutzt Social Media als Bühne. Und er hat sie inzwischen souverän betreten.
Fuchs erklärt: "Die Kommunikation des Altkanzlers Scholz war auf Tiktok und Insta nicht schlecht, die Accounts haben auch gut funktioniert. Vieles wirkte im Vergleich aber hölzerner und nicht so geschmeidig wie bei Merz."
Der neue Kanzler pflegt den direkten Blick in die Kamera, spricht dialogisch – und wirkt dadurch nahbarer. Doch diese Nähe ist Produkt eines sorgfältigen Framings, nicht Ausdruck natürlicher Spontanität. Das Social-Media-Team versichert zwar, dass es kein Skript gebe und die Fragen nicht vorab bekannt seien, die Inszenierung bleibt dennoch offensichtlich.
Im Wahlkampf versuchte Merz sich noch an Fast-Food-Folklore, ließ sich – ganz in Söder-Manier – mit einem Big Mac ablichten, nannte es "Burgersprechstunde". Der Clip wirkte unbeholfen, die Reaktion: verhalten. Heute setzt das Team konsequent auf professionell produzierte, durchkonzipierte Formate, die Merz nahbar und souverän inszenieren.
Das zahlt sich aus: Die Videos erzielen hohe Reichweiten und Engagement, die Kommentarspalten sind gefüllt mit Zuspruch, und auch in den Umfragen legt Merz leicht zu.
Der Besuch im Weißen Haus und das neue Social-Media-Gewand dürften daran mitgewirkt haben. Social-Media-Experte Giglinger betont: "Man sieht das auch an den positiven Kommentaren, an dem positiven Feedback, dem hohen Engagement seiner Community, seiner Zielgruppe. Man sieht auch in den Umfragewerten, dass er zurzeit gut ankommt. Und Social Media hat mit Sicherheit seins dazu beigetragen."
Im internationalen Vergleich ist Merz’ Social-Media-Auftritt professionell, aber noch nicht auf dem Niveau von Emmanuel Macron, der das Spiel mit Social Media geradezu perfektioniert hat. Doch Merz ist auf dem besten Weg, auch auf diesem Feld Anschluss zu finden.
Auch Fuchs sieht in der aktuellen Strategie durchaus Potenzial: "Sollte der dialogische und selbstironische Ansatz kontinuierlich über die ganze Legislatur durchgehalten werden, sehe ich großes Potenzial, um das Image des Kanzlers langfristig positiv zu prägen." Er hebt zudem hervor, dass das Social-Media-Team inzwischen auch popkulturelle Formate wie Reaction-Videos ausprobiert – ein Ansatz, der künftig noch ausgebaut werden könnte.
Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Inszenierung auch dann trägt, wenn politische Erfolge ausbleiben – denn professionelle Kommunikation allein ersetzt keine Substanz.
Fuchs mahnt zur Vorsicht: "Die Bürger:innen erwarten insbesondere in der Krise eine Ernsthaftigkeit von der Politik." Wenn die politische Substanz nicht mit der digitalen Dynamik Schritt hält, droht Enttäuschung – und Reaktanz.
Ein Kanzler, der kommentiert, statt zu dozieren – das ist für den Moment ein Imagegewinn. Die eigentliche Bewährungsprobe beginnt dort, wo der Filter endet: im echten politischen Alltag.