Die US-Wahl 2024 hat schon jetzt Potenzial für einen Politthriller. In der Hauptrolle der selbsternannte Immobilien-Mogul und Entertainer Donald Trump, der die US-Politik ordentlich aufmischt. Als verurteilter Straftäter will er zurück ins Weiße Haus. Schwärmt davon, für einen Tag Diktator zu spielen und droht seinen politischen Gegnern.
Um ihn herum scharen sich seine loyalen, untergebenen Anhänger:innen, die das Land basierend auf der Bibel, ihren konservativen, teils rechtsradikalen Ideen umgestalten wollen. Nur knapp entkommt Trump einem versuchten Mordanschlag, der noch immer viele Fragen aufwirft.
Währenddessen sorgt auch sein politischer Gegner Joe Biden als ältester Präsidentschaftskandidat für Schlagzeilen.
Bei dem 81-Jährigen heißt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schon mal Putin; er stürzt hier und da, starrt in die Leere und verhaspelt sich bei wichtigen Auftritten. Die Debatte, ob er für den Posten fit genug ist, explodiert in den USA vier Monate vor der Wahl.
Tatsächlich weicht Biden dem Druck und macht den Weg für seine Vize-Präsidentin Kamala Harris frei. Wieder ein Ereignis, das in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Nun stehen sich Harris und Trump gegenüber; zum ersten Mal in der US-Geschichte könnte eine Frau das höchste Amt in den USA besetzen; obendrein hat sie einen Migrationshintergrund. Harris' Vater stammt aus Jamaika, ihre Mutter aus Indien.
Besonders auffällig: Harris agierte lange Zeit als eine eher unscheinbare und unbeliebte Nebendarstellerin im Hintergrund.
Expert:innen trauten ihr nicht zu, sich gegen das politische Schwergewicht Trump durchsetzen zu können. Nun tritt sie in den Ring, übernimmt die Hauptrolle unter großem Beifall. Die Spenden für die Demokraten fluten die Wahlkampf-Kassen.
Plötzlich feiern die Demokraten Harris als Captain America, die als junge, erfolgreiche "kinderlose Katzen-Lady" den zuvor von alten, weißen Männern dominierten Wahlkampf aufmischt. Zum Hintergrund: Trumps Vize J.D. Vance bezeichnete Harris als “childless cat lady” und löste eine Welle von Reaktionen auf Social Media aus.
Harris löst eine gigantische Euphorie aus – was für ein Plot-Twist.
"Eine solche schnelle Abfolge von verzweifelter Panik über Erleichterung hin zu Begeisterung und Mobilisierung ist ohne Beispiel", sagt USA-Experte Thomas Greven auf watson-Anfrage. Harris erlebt derzeit einen Höhenflug und versprüht überall Hochstimmung, aber "der Honeymoon wird nicht andauern, die Angriffe habe bereits begonnen", warnt der Politikwissenschaftler vom Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.
Was die Demokraten und Harris angreifbar macht, sind laut Greven folgende Themen: Inflation, Migration, Kriminalität. Ebenso bleiben die strukturellen Probleme:
Harris erhielt vonseiten der Republikaner besonders viel Kritik für ihre Migrationspolitik. Zum Hintergrund: Biden beauftragte die 59-Jährige mit der Eindämmung der Migration aus Lateinamerika.
Einwanderung ist für die Republikaner eines der Top-Themen im Wahlkampf. Sie instrumentalisieren es für ihre politische Agenda, oft ordentlich gepfeffert mit Desinformation und einer faschistischen Rhetorik. Laut Trump würden Migrant:innen etwa das "Blut des Landes vergiften".
Ob er damit etwa bei den Afroamerikaner:innen punktet, ist fraglich. Trump schoss sich kürzlich bei einem Auftritt bei der "Convention For Black Journalists" selbst ins Aus. Er attackierte Harris, indem er unter anderem ihre Identität als Schwarze Frau infrage stellte.
Angriffe auf sie als Frau, als Afro-Asiatin, können Greven zufolge für Trump und der republikanischen Partei nach hinten losgehen, "weil sie die entscheidenden Wechselwählerinnen und Wechselwähler verstören". Zudem erinnern sie an Trumps Sexismus und Rassismus.
Neben den noch unentschlossenen Wähler:innen braucht Trump auch die Gunst der Afroamerikaner:innen – vor allem in den Swing States.
Entscheidend für den Wahlausgang werden die Swing States in den USA sein. Auf Deutsch "Wackelstaaten" oder "Schaukelstaaten", wo ein klarer Sieg der Demokraten oder Republikaner unvorhersehbar ist.
Eine Bloomberg-Umfrage vom 24. bis 28. Juli zeigt, dass Harris in sechs von sieben Swing States vor Trump führt. Nur in Pennsylvania und North Carolina hält sich der 78-Jährige an der Spitze. In Georgia liegen sie gleichauf – gerade dort könnte Harris aber von den afroamerikanischen Stimmen profitieren.
Denn der Swing State Georgia weist einen hohen Bevölkerungsanteil schwarzer US-Amerikaner:innen auf. "Die afroamerikanische Bevölkerungsgruppe wird im November 14 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen, was in bestimmten Swing States wie etwa Georgia den Sieg bedeuten könnte", sagt Politikwissenschaftler Carlos Figueroa in einem früheren watson-Gespräch.
Die richtig heiße Phase des US-Wahlkampfes startet für Harris erst noch und sie muss sich wohl auf einiges gefasst machen. Nachdem sich das Trump-Team nach dem Biden-Rücktritt "neu aufstellt", wird es sich gnadenlos auf Harris einschießen und nach allen Leichen im Keller graben. Es wird schmutzig im US-Wahlkampf 2024.
"Auch persönlich ist Harris angreifbar, bekannt sind ihre Wiederholungsschleifen", meint Greven. Zum Beispiel kursieren zahlreiche Videos mit Zusammenschnitten von ihr auf Social Media, in denen sie auf verschiedenen Veranstaltungen immer wieder die gleiche Formulierung vorträgt – perfekt einstudiert und mit identisch gleichem Ausdruck.
Die US-Politikerin hängt offenbar sehr an ihrem Spruch: "What can be, unburdened by what has been"; auf Deutsch etwa "Was sein kann, unbelastet von dem, was gewesen ist."
"Harris hat eine gewisse Tendenz zur Redundanz", meint USA-Experte Greven. Sprich, sie klingt manchmal wie eine kaputte Schallplatte, die sich wiederholt und wiederholt. Das kratzt an ihrer Authentizität, wie ihre Kritiker:innen sagen, doch vor allem verspotten sie Harris dafür.
Dennoch habe Harris am Ende bessere Chancen als Biden, prognostiziert Greven.
"Das Geld fließt wieder, die Demokraten sind enthusiastisch und mobilisiert", führt Politikwissenschaftler Greven aus. Aber es bleibe das strukturelle Problem, dass das Wahlsystem die Republikaner massiv bevorteilt. Denn diese sind in den schwach besiedelten Staaten überrepräsentiert. Zum Hintergrund: In den USA gilt das Winner-Takes-All-Prinzip.
Das bedeutet, wer eine einfache Mehrheit in einem US-Bundesstaat gewinnt, vereint alle Wahlmänner und -frauen des betreffenden Staates auf sich – egal, ob der Vorsprung nun riesig oder nur hauchdünn ist.
Zur Erinnerung: Die US-Amerikaner:innen wählen nicht direkt ihr zukünftiges Staatsoberhaupt, sondern ein Kollegium aus Wahlmännern und -frauen ("Electoral College"). Wer ins Weiße Haus einziehen will, braucht die Unterstützung von mindestens 270 der insgesamt 538 Wahlleuten des Kollegiums.