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Westliche Waffen gegen Russland: Könnte Putin "False-Flag-Aktionen" planen?

Arbeitsbesuch des Präsidenten der Ukraine in Berlin - The President of Ukraine on a working visit to Berlin - Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Gast Wolodymyr Selenskyj - bei der Ankunft am Bundesk ...
Kanzler Olaf Scholz (SPD) zögert bei wichtigen Fragen zur Verteidigung der Ukraine gegen den Aggressor Russland. Präsident Selenskyj (r.) braucht aber klare Zugeständnisse.Bild: imago images / Chris Emil Janßen
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Experte nimmt Scholz den Wind aus den Segeln: "Putin will keinen Krieg mit der Nato"

31.05.2024, 08:2931.05.2024, 11:11
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Darf die Ukraine westlichen Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einsetzen? Eine Frage, die momentan hitzige Diskussionen verursacht. Für den französischen Präsidenten Macron ist die Sache glasklar: natürlich.

Auch in Deutschland dringen sowohl SPD- als auch Unionspolitiker:innen darauf, dass die Ukraine mit westlichen Waffen auch Ziele auf russischem Territorium beschießen darf. "Ich rate sehr, dem Generalsekretär der Nato, Jens Stoltenberg zu folgen, der einen solchen Vorschlag ja unterbreitet hat", sagt der SPD-Außenpolitiker Michael Roth im Deutschlandfunk.

ARCHIV - 22.03.2024, Ukraine, Awdijiwka: Ukrainische Soldaten der 71. Jägerbrigade feuern eine Haubitze M101 auf russische Stellungen an der Frontlinie. (zu dpa: «Ukrainische Konsulate bedienen wieder ...
Die Ukraine will mit westlichen Waffen auch militärische Ziele in Russland angreifen.Bild: AP / Efrem Lukatsky

Auch die USA signalisieren nun Flexibilität bei dieser Frage und geben (begrenztes) grünes Licht.

Ukraine-Krieg: Scholz will rote Linie nicht überschreiten

Seit Beginn des Krieges habe die US-Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine an die sich verändernden Bedingungen angepasst, äußert sich US-Außenminister Antony Blinken. "Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch weiterhin tun werden."

Kurz darauf berichten mehrere Medien übereinstimmend, dass Präsident Joe Biden der Ukraine die Erlaubnis erteilt habe, mit von den USA gelieferten Waffen Ziele in Russland anzugreifen – allerdings nur in der Nähe der Region Charkiw.

ARCHIV - 21.09.2023, USA, Washington: Joe Biden (r), Präsident der USA, trifft Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, im Oval Office des Weißen Hauses. (zu dpa ««Zeit für Panik»? Unterstützung fü ...
Selenskyj (l.) und US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Die USA ist die größte Stütze für die Ukraine. Bild: AP / Evan Vucci

Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, "die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen", zitiert das Nachrichtenmagazin "Politico" einen US-Regierungsvertreter.

Es bewegt sich also etwas – nur bei einem stößt die Ukraine offenbar weiterhin auf Granit.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt das Vorhaben bisher ab. Er befürchte, damit werde eine rote Linie überschritten, was Nato-Staaten zu Kriegsbeteiligten machen würde. Ein Argument, dass Russland-Experte Stefan Meister nicht nachvollzieht.

"Russland eskaliert in diesem Krieg, ob mit Zerstörung von militärischer Infrastruktur in Russland mit oder ohne deutsche Waffen", meint der Politikwissenschaftler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Im Gegenteil: Laut ihm lädt die Begrenzung Russland eher dazu ein, weiter zu eskalieren und erhöht den Eindruck, der Westen beziehungsweise Deutschland will eigentlich keinen Sieg der Ukraine.

Sprich, aus strategischer Perspektive kann Meister die Haltung von Scholz nicht nachvollziehen – aus wahltaktischen Gründen aber schon.

Experte: "Scholz will sich als Friedenskanzler profilieren"

"Scholz versucht vor der Europawahl und Wahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern im September, sich als besonnen und Friedenskanzler zu profilieren", meint er auf watson-Anfrage. Aber mit Blick auf den Krieg und die russische Kriegsführung, sei es nicht zu verstehen.

Auch Osteuropa-Experte Andreas Umland zeigt kein Verständnis für das Zögern von Scholz. Auf watson-Anfrage führt der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies aus:

"Die Zögerlichkeit von Scholz, anderen Politiker:innen und auch etlicher Expert:innen beruht auf einer grundsätzlichen Fehleinschätzung der Bestimmungsfaktoren russischer internationaler Verhaltensmodi."

Laut Umland geht es der heutigen russischen Außenpolitik darum, Ergebnisse zu erzielen, die der russischen Bevölkerung als Erfolge verkauft werden können. Das russische Regime sei zwar autoritär, jedoch von stabiler Unterstützung der Eliten und Bevölkerung abhängig.

Russlands Aggressivität bleibt zu oft ohne große Konsequenzen

"Putins Abenteuertum entwickelte sich im letzten Vierteljahrhundert vor dem Hintergrund, dass Moskaus militärische Aggressivität mehr oder minder ungestraft blieb beziehungsweise sich westliche Strafmaßnahmen als Luftnummern entpuppten", führt er aus.

Russlands äußere Aggressionen – ob nun in Georgien, Syrien oder der Ukraine – erzielten zumindest scheinbar Erfolge und hatten relativ geringe Kosten.

"Ein Zurückschlagen der Ukraine mit westlichen Waffen auf russischem Territorium dürfte Putins bisherige und künftige Erfolgsbilanz in den Augen vieler Russen in Frage stellen", meint Umland. Seiner Einschätzung nach wird es daher die Aggressions- und Eskalationsbereitschaft des Regimes eher mindern als erhöhen – trotz aller martialischer Rhetorik aus Moskau.

Die Gefahr einer Eskalation der Spannungen zu einem gesamteuropäischen und nuklearen Krieg zwischen der Nato und Moskau sei natürlich gegeben. Aber: "Diese Gefahr existiert allerdings schon seit 70 Jahren und war auch zu Zeiten eminent, als es weit mehr Atomsprengköpfe in Europa gab als heute", argumentiert Umland.

"Hätte man es der UdSSR in den sechziger Jahren nicht erlauben sollen, Atomraketen auf Kuba zu stationieren? War Kennedy damals nicht ein unverantwortlicher Kriegstreiber?", fragt sich Umland mit Bezug zum Kalten Krieg. Von 1945 bis 1991 standen sich die Supermächte USA und die damalige Sowjetunion als Rivalen gegenüber. Die Angst vor einem Atomkrieg war damals hoch.

Umland führt noch ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte auf: 2015 schoss die Türkei über Syrien in voller Absicht und vollkommen unverblümt einen russischen Kampfbomber ab. Beide russische Piloten kamen ums Leben. "Die Antwort Russlands waren allerlei Drohungen und temporäre Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Nach circa einem Jahr wurde das türkisch-russische Verhältnis jedoch wieder partnerschaftlich", führt er aus.

Doch es gibt noch einen anderen Einwand gegen die Nutzung westlicher Waffen auf russischem Gebiet.

Waffen gegen Russland: Plant Putin "False-Flag-Aktionen"?

Expert:innen weisen immer wieder darauf hin, wie gut Kreml-Chef Wladimir Putin das Handwerk von Sabotage und Manipulation versteht. So diente er selbst jahrelang als Geheimagent.

Sollte der Westen also grünes Licht geben, könnte Russland das für Täuschungsmanöver ausnutzen. Sprich, einen Angriff auf eigenem Boden ausführen, bei dem es zivile Opfer gibt und es dann dem Westen unterjubeln.

"Solche so genannten False-Flag-Aktionen sind möglich, ja sogar wahrscheinlich", meint Umalnd. Der Prototyp dieser Taktik seien etwa die "mysteriösen Bombenanschläge" in Moskau, Bujnaksk und Wolgodonsk im Herbst 1999, deren politische Rückwirkungen Putin im Frühjahr 2000 erstmals ins Präsidentenamt beförderten.

Allerdings würde sich Umland zufolge heute die Frage stellen, wie genau Russland auf selbstinszenierte, angebliche westliche Verbrechen an russischen Zivilist:innen reagieren soll.

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"Ein russisches Hineinziehen des Westens in den russisch-ukrainischen Krieg würde die Kräfteverhältnisse in Osteuropa verändern und Erfolgsaussichten Moskaus verringern", sagt der Experte. Am Ende wäre es sogar im Interesse der Ukraine.

Daher werde es der Kreml – bei aller martialischer Rhetorik – vermeiden, politische Spannungen mit dem Westen in Richtung direkter militärischer Konfrontation mit der Nato zu eskalieren.

Auch Russland-Experte Meister hält mögliche False-Flag-Aktionen für nicht relevant: "Putin will keinen Krieg mit der Nato." Er wolle nur den Eindruck erwecken, dass westliche Waffen zu einer Eskalation führen, damit die Unterstützung für die Ukraine in Deutschland und Europa abnimmt.

Update: Mittlerweile hat die Bundesregierung verkündet, dass sie der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen über die Grenze hinweg erlaubt; allerdings nur in das an die Region Charkiw angrenzende russische Gebiet.

(Mit Material der afp)

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