Mit Tattoos kannst du kaum noch jemanden schocken – es sei denn, du trägst sie im Gesicht. Dort fällt auch die noch so harmloseste Tinte nach wie vor auf und sorgt für Irritation. Wer sein Gesicht bemalt, der will in den meisten Fällen noch immer besonders auffallen, provozieren und sich abgrenzen.
Aber nutzt sich auch dieser Schocker langsam ab? Eine berechtigte Frage in Zeiten, in denen sogar die "New York Times" titelt: "Gesichts-Tattoos werden Mainstream".
Neu sind Gesichts-Tattoos freilich nicht.
Warum reden also jetzt sogar die großen Zeitungen darüber? Gerade sind vor allem weiße, junge, amerikanische (Cloud-)Rapper für die Sichtbarkeit des popkulturellen Phänomens verantwortlich – sie bringen die Gesichts-Tattoos so sehr in den Mainstream, dass sogar Medien wie die "Bild" oder "The Sun" darüber berichten. Wie gesagt, wegen des Schock-Effekts.
Warum haben die so viele Rapper jetzt aber Tinte im Gesicht? Und was genau hat das mit (Cloud-)Rap zu tun? Wir beantworten die 3 wichtigsten Fragen zu Gesichts-Tattoos:
Die Antwort lautet: Nein. Die Tattoos kommen natürlich auch in anderen Subkulturen vor, etwa beim Death Metal oder Punkrock.
Die Cloudrapper aber haben das Ganze zu einem szenetypischen Erkennungszeichen für sich erhoben. Sie drücken damit jene Gleichgültigkeit für gesellschaftliche Schönheitsideale aus, die für den Cloud-Rap typisch ist.
Mit ihrem Nonkonformismus haben sie die bis dato letze Tabu-Zone "Gesicht" erobert, es gehört in der Szene daher zum guten Ton, ein Gesichts-Tattoo zu tragen. Hier ein paar prominente Beispiele aus dem (Cloud)Rap:
Gesichts-Tattoos waren lange Zeit ein sichtbares Zeichen für die Abkehr von der Gesellschaft. Ein Zeichen für Verbrecher, Outlaws, Banden- und Gangmitglieder. Mitglieder der größten mittelamerikanischen Straßengang, der Mara Salvatrucha benutzen etwa Gangsymbole wie das "M", die Zahl "13" oder den vollen Namen als Erkennungszeichen – oft auch im Gesicht (watson.ch).
Lil Wayne trägt sie, ebenso Lil Xan oder The Game: eine Träne unter dem Auge. Auch sie stand einst für das Absitzen langer Gefängnisstrafen, für einen verübten Mord oder für eine erlebte Vergewaltigung. Die genaue Herkunft ist umstritten.
Inzwischen symbolisiert sie auch den Verlust einer nahestehenden Person oder den Wunsch nach Rache (watson.ch).
Gerade in der Musik – insbesondere im Metal, im Hardcore und im Punkrock – gibt es spätestens seit den 90ern eine Reihe prominenter Träger von Gesichts-Tattoos. Hier ein paar Beispiele:
Gesichts-Tattoos dienen dem Zweck der Selbstinszenierung. Die jungen Rapper würden sich so ein klares rebellisches, kriminelles sowie künstlerisches, freigeistiges Image verpassen, wie Kulturwissenschaftlerin Anna Felicitiy Friedman erklärt.
Hinter der "69" im Gesicht – und auch auf dem restlichen Körper von Tekashi 6ix9ine – vermuten viele etwa ein Symbol seiner Gang-Zugehörigkeit zur "Nine-Trey".
Er selbst erklärte es in einem Instagram-Post mal so: "Ich habe nie vergessen, wo ich herkomme. Das ist es, was die 69 für mich ausmacht. Die wahre Bedeutung von 69 ist: Nur weil du Recht hast, heißt das nicht, dass ich unrecht habe. Du hast mein Leben nicht aus meiner Perspektive gesehen. Drehe die 6 um und es bleibt eine 9. Das Selbe, nur aus einer anderen Perspektive." Das Seltsame: Diesen Post löschte der Rapper schnell wieder. Steckt also doch etwas anderes hinter der 69?
Eine einfachere Erklärung hat da Post Malone parat: "Alles, was meine Mutter verärgert." Joa. Das klingt nicht nur ziemlich pubertär, das sagt auch eine Menge über den aktuellen Status von Gesichts-Tattoos aus.
Tarvis Harsy, ein 30 Jahre alter Kreativdirektor aus L.A. erklärt sein Gesichts-Tattoo in der "New York Times" so:
Fazit: Die Gründe für ein Gesichts-Tattoo sind so vielfältig wie ihre Träger. Eine Mischung aus Subkultur und Rebellion haben den Trend vor allem unter (Cloud-)Rappern befeuert. Sie waren und sind nicht die ersten und einzigen, die sie tragen. Und doch tragen sie ihren Teil zu einer aktuellen Entwicklung bei: Gesichts-Tattoos rücken aus der provokanten Ecke in den Mainstream.