Dies ist ein Auszug von Fragen, die Nora beantworten musste – nachdem sie von einem ihrer Kollegen bei der Bundeswehr vergewaltigt wurde, während sie bewusstlos war.
Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Ganze 85 Prozent der Opfer von sexueller Gewalt gehen in Deutschland nicht zur Polizei, so eine EU-Studie von 2014. Viele Frauen haben Angst vor Vorurteilen durch Arbeitgeber, Polizeibeamte und Juristen. Und das aus gutem Grund.
In der Dokumentation „Vergewaltigt. Wir zeigen an!“ (am 28.5. auf ARD um 20.15 Uhr) werden vier Frauen begleitet, die ihre Täter angezeigt haben.
Sie alle bekamen nicht nur kaum Rückendeckung vom Staat, sie mussten im Anschluss sogar noch bei Vorgesetzten, Ärzten und der Polizei die Übergriffe auf sich erklären. So wie Nora.
Im Gespräch mit watson erzählt die 30-Jährige, warum es trotzdem wichtig ist, Straftäter zur Verantwortung zu ziehen.
9. Februar 2016, Dienstagabend. Bundeswehr-Soldatin Nora besucht einen zweiwöchigen Lehrgang an der Offiziersschule des Heeres in Dresden. Feierabend. Nora beschließt mit zwei Kameraden, noch auszugehen.
"Wir waren abends unterwegs und ich habe vermutlich K.O.-Tropfen ins Glas bekommen", erzählt sie watson. Das zweite Getränk habe bitter geschmeckt, erinnert sie sich später. Es habe sie damals schon stutzig gemacht, aber: Wer denkt schon gleich an das Schlimmste? Schon auf dem Weg aus der Bar setzt ihre Erinnerung "fast gänzlich aus".
Überwachungsvideos zeigen, wie das Taxi zurück vor der Kaserne hält und Nora direkt zu Boden sackt, nachdem sich die Tür öffnet. Der Fahrer wird später aussagen, sie habe gewirkt, wie jemand, der K.O.-Tropfen bekommen hätte. Eingreifen tut er aber nicht, als einer der Soldaten sie ins Gebäude schleppt.
Danach kommt es zu der Straftat. Nora: "Ich weiß nur noch ganz kurze Sequenzen, die sehr verschwommen sind. Der Täter hat mich zurück auf meine Stube gebracht, dort unter die Dusche."
Noras Körper gehorcht ihr nicht mehr, ihr Kopf ist wirr. "Heraus kam ich aus der Situation also nicht. Auch wehren oder ,Nein' sagen war gar nicht möglich", sagt sie.
Am nächsten Morgen wacht sie gerädert auf. Ihr Täter ist noch im Zimmer und tut, als sei alles einvernehmlich gewesen, doch Nora fühlt sich unheimlich schlecht. "Der gesamte nächste Tag war wie im Nebel. Erst gegen Abend bin ich in Tränen ausgebrochen und habe gemerkt, dass etwas gar nicht korrekt gelaufen ist."
Eine Freundin und ihr fester Freund motivieren sie, Anzeige zu erstatten. Ein guter Rat. Es ist das, was Opfern von Straftaten immer empfohlen wird. Doch Nora ahnt nicht, was auf sie zukommt...
Am Abend stellt sie eine Anzeige bei der Polizei und meldet den Vorfall dann bei dem hiesigen Oberstleutnant. Doch das Gespräch läuft erschreckend, berichtet Nora watson: "Mein dortiger Vorgesetzter eröffnete seine Befragung mit den Worten:
Nach diesem Gespräch schreibt besagter Oberstleutnant sogar von sich aus der Polizei einen Brief, da er "wichtige Informationen" über Nora hätte – dies wurde vor Gericht offengelegt. Seine wichtigen Informationen? Nora würde sich auf Instagram "freizügig" zeigen – in Trainingsklamotten.
Auch bei der Kriminalpolizei wird Nora nicht ernst genommen und muss sich sogar noch Vorwürfe der befragenden Beamtin anhören.
Auch die medizinischen Anlaufstellen sind eine Katastrophe. Als Nora zur Gerichtsmedizin geht, wird dort kein Blut abgenommen, um die K.O.-Tropfen nachweisen zu können.
Und bei einem späteren Termin bei der Truppenärztin gibt es erneut kein Verständnis. "Die Ärztin sagte zu mir: ,Es ist ja nicht so schlimm, Sie wissen ja nichts mehr' und zu meinem Freund: ,Für Sie kann es ja auch nicht schlimm sein, sie hat Sie ja nicht betrogen'."
Die bittere Bilanz: Dreimal brauchte Nora Hilfe. Dreimal wurde sie als Opfer einer Straftat rüde abgewiesen. "Es gab niemanden, der mich psychisch aufgefangen hat."
"Ein paar Wochen nach der Tat stellte ich dann fest, dass ich schwanger war", erzählt Nora. Vom Täter. Sie treibt ab. Doch auch wenn das Kind aus einem Übergriff entstanden ist, wird sie das Gefühl nicht los, sie habe ein Kind umgebracht. Nora quälen immer noch Schuldgefühle.
Mehr als ein Jahr nach der Vergewaltigung kommt es endlich zum Gerichtsprozess am Amtsgericht Dresden. Der Tatvorwurf lautet: Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person.
Nora hat Glück: Sie muss nicht aussagen. Und obwohl der fehlende Bluttest dazu führt, dass die K.O.-Tropfen nicht in ihrem Körper nachweisbar sind, ist die Beweislage für das Gericht eindeutig.
Die Überwachungskamera vor der Offiziersschule und die Aussage des Taxifahrers stützen Noras Aussage und zeigen, dass sie definitiv nicht bei klarem Bewusstsein war. Der Täter gesteht alles und wird zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Bundeswehr entlässt ihn.
Das Urteil ist für Nora nicht relevant. "Ehrlich gesagt war es mir egal, wie hoch die Strafe ausfiel", sagt sie zu watson. "Mir war wichtig, dass man mir glaubt!"
Sie sagt: "Sonst wäre ich für immer das hilflose Opfer geblieben."
Noras kleiner Triumph bedeutet nicht, dass es ihr heute gut geht. Sie hat zwei kleine Kinder und ist inzwischen in Therapie, leidet aber weiterhin an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Sie arbeitet immer noch für die Bundeswehr. Offiziell entschuldigt hat sich die Armee jedoch nie bei ihr. "Bis heute wünsche ich mir Empathie und Verständnis", sagt sie.
Nora würde Anderen in ihrer Situation trotzdem immer dazu raten, zur Polizei zu gehen, auch wenn es hart ist. "Wehrt euch, und sprecht über das, was euch passiert ist!"
Hinweis: Die Bundeswehr wollte auf watson-Anfrage keine Stellung zu Noras Geschichte nehmen. "Das ist ein abgeschlossener Fall, über den das Zivilgericht 2016 entschieden hat. Wir haben dazu nichts mehr zu sagen", so die Pressestelle der Offiziersschule.