Die politische Flanke ist in Schweden nach rechts offen: Bald könnten die Rechtspopulisten von den "Schwedendemokraten" mitregieren. Am Sonntag sind Parlamentswahlen in dem skandinavischen Land. Ulf Kristersson, Vorsitzender der konservativen Partei "Moderate Sammlungspartei", hat bereits Gespräche mit den "Schwedendemokraten" aufgenommen.
Zurzeit regieren noch die Sozialdemokraten mit ihrer Ministerpräsidentin Magdalena Andersson in einer Minderheitsregierung.
Allerdings kippt die Stimmung in Schweden.
"Die Brandmauer gegenüber den 'Schwedendemokraten' existiert nicht mehr", sagt der Politikwissenschaftler Sven Jochem gegenüber watson. Der Wissenschaftler beschäftigt sich an der Universität Konstanz mit der Politik und Gesellschaft Skandinaviens.
Das Ziel des konservativen Kristersson ist es, eine Mehrheit rechts der Mitte zu erlangen, um die Sozialdemokraten zu schlagen. Am Sonntag zeigt sich, ob sich seine Strategie gelohnt hat.
Bei vorherigen Wahlen, sagt der Schweden-Experte Bernd Henningsen auf watson-Anfrage, "standen die 'Schwedendemokraten' außerhalb des politischen Spektrums". Henningsen ist Politikwissenschaftler und als Honorarprofessor am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität Berlin tätig. Er meint, die schwedische Populisten-Partei entstamme klar einer rechtsextremen Tradition und teile nicht die demokratischen Werte, die die anderen Parteien eine.
Bis weit in die 1990er-Jahren haben sie noch das klassische Bild von Rechtsextremisten verkörpert, "mit Springerstiefel, Stiernacken und Glatze." Ihre Mitglieder setzten Gewalt als politisches Instrument ein. Das änderte sich mit dem neuen Vorsitzenden Jimmie Åkesson. Er hat den "Schwedendemokraten" ab 2005 nach und nach ein bürgerliches Antlitz gegeben.
Mit dem Imagewechsel kam der Erfolg: Bei der Parlamentswahl 2010 lagen sie noch bei unter 6 Prozent, 2014 konnten sie bereits knapp 13 Prozent verbuchen und bei der vergangenen Wahl gewannen sie über 17 Prozent der Wähler:innen-Stimmen.
Jetzt mache die Partei Stimmung gegenüber Minderheiten, vor allem gegenüber Migrant:innen. Gewalt im öffentlichen Raum ist eines der beherrschenden Themen im aktuellen Wahlkampf. "Das ist kein kleines Problem und ist nicht vergleichbar mit Berlin", sagt Henningsen.
"Diese Gewalt macht den Menschen Angst. Die 'Schwedendemokraten' nutzen diese Angst aus." Bei jeder Gewalttat suggerieren sie die Täterschaft von Migrant:innen – egal ob dies der Fall sei oder nicht. Dabei werde die Herkunft von Tätern von der Polizei gar nicht aufgeführt.
Bei Talk-Runden im Fernsehen würden die Rechtspopulisten ständig provozieren, sagt der Experte. Darauf hätten die anderen Politiker:innen in der Vergangenheit nicht reagiert. "Jetzt tun sie das doch."
Für Henningsen drängt sich ein Vergleich zu Deutschland auf. "Die 'Schwedendemokraten' versuchen, Sand ins Getriebe zu streuen. Ähnlich der AfD in Deutschland. Das ist dieselbe Strategie."
Die Strategie geht offenbar in einem Punkt auf. Die Parteien eiferten inhaltlich den Rechtspopulisten nach. Sowohl in Schweden, als auch in den Nachbarländern. Schwedens Integrationsminister Anders Ygeman habe sich in Kopenhagen mit seinem dänischen Kollegen getroffen, um sich über dessen Ausländerpolitik zu informieren.
Bernd Henningsen sagt dazu:
Durch den Wähler:innen-Zuwachs der "Schwedendemokraten" sei das politische Klima nach rechts verschoben worden, meint der Experte. Umfragen sehen die "Schwedendemokraten" bei 20 Prozent. Und damit sogar vor den Konservativen, die nach aktuellen Umfragen auf etwa 17 Prozent kämen. Die Sozialdemokraten liegen knapp unter der 30-Prozent-Marke bei etwa 28 bis 29 Prozent.
Doch weshalb konnte die heile Welt, in der sich Schwed:innen lange selbst wähnten, derart bröckeln?
Die politische Kultur habe sich gewandelt, erklärt Experte Henningsen. "Die Bereitschaft zum Konsens, zum Kompromiss ist nicht mehr so stark wie in vorherigen Jahrzehnten", sagt er. Die Frage sei, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt noch das Ziel der Politiker:innen sei.
Das Schlüsselwort der schwedischen Politik der vergangenen 100 Jahre laute "schwedisches Volksheim" – ein Konzept der schwedischen Sozialdemokratie. Henningsen führt aus:
Der von den Sozialdemokraten geprägte Solidaritätsgedanke – den die Konservativen aber übernommen hatten – sei bald verschwunden in dem Land. "Schweden ist ganz 'normal' geworden und befindet sich im neoliberalen Kosmos." Den Wohlfahrtsstaat, der jede und jeden auffängt, und für ein gutes Auskommen sorgt – auch im Krankheitsfall eine Versorgung bietet –, den gibt es nicht mehr.
Der Wahlkampf spitze sich auf zwei Lager zu: Mitte-links stünden die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linkspartei. Mitte-rechts versammeln sich die Konservativen, die Christdemokraten, die Zentrumspartei und die Liberalen. Dieses Lager könnte sich von den "Schwedendemokraten" tolerieren lassen, um den Ministerpräsidenten zu stellen. Das heißt, die Rechtspopulisten würden den Ministerpräsidenten mitwählen und bei Gesetzesentwürfen mitstimmen, würden aber keine eigenen Minister:innen stellen.
"Interessant wird, wie sich die Liberalen verhalten werden", meint Politikwissenschaftler Jochem. Die Mitglieder und Wähler:innen der Liberalen stünden den "Schwedendemokraten" sehr kritisch gegenüber. Das stellt die Partei vor eine schwierige Frage. Wenn sie sich auf eine Zusammenarbeit einließen, könnte es die Liberalen zerreißen, sagt der Wissenschaftler.
Jochem führt aus:
Mit Schließung der Wahllokale am Sonntag um 20 Uhr wird noch vieles unklar bleiben – selbst wenn erste Ergebnisse feststehen sollten. "Spannend wird es erst etwa eine Woche nach der Wahl, wenn die Gespräche zu möglichen Koalitionen geführt werden", sagt Jochem.
Sein Kollege Henningsen pflichtet ihm bei: "Da wird es sehr auf das Geschick der Parteiführer ankommen und darauf, wie Koalitions-Verhandlungen nach der Wahl verlaufen." Das hänge vom Parlamentspräsidenten ab. Dieser werde in der Woche nach der Wahl die Parteiführung der stärksten Fraktion beauftragen, Verhandlungen mit anderen Parteien aufzunehmen.
Dann werde sich zeigen, ob die Strategie des konservativen Parteiführers Ulf Kristersson aufgeht und er derjenige sein wird, der mit der Bildung einer Regierung beauftragt wird.