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Wagenknecht, Reichinnek, Social Media: Fünf Gründe fürs Linken-Comeback

Berlin, Pressekonferenz Die Linke mit Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek Die Vorsitzende der Partei Die Linke Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek geben zusammen eine Pressekonferenz am 17.02.2025 ...
Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek wissen, wie Wahlkampf geht.Bild: IMAGO/Christian Spicker
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Bundestagswahl 2025: Fünf Ideen, die zum Comeback der Linken führten

21.02.2025, 07:3621.02.2025, 08:17
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Für die Linken sieht es (vorerst) ganz gut aus. Jahrelang sanken die Umfragewerte, jahrelang flohen Mitglieder in Scharen, jahrelang suchte die Partei ein Mittel gegen ihre schwindende Relevanz. Mittlerweile erscheinen Umfragen, in denen Die Linke bei fünf bis sieben Prozent steht. 30.000 Neuzugänge ließen sie zudem wieder auf eine ernstzunehmende Größe von gut 81.000 Mitgliedern schwellen.

Auf ein einziges Mittel lassen sich die Erfolge aber nicht zurückführen. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel aus politischen Entwicklungen in- und außerhalb der Partei und strategischen Entscheidungen, die einen zweiten Frühling der Linken einläuteten.

1. Sahra Wagenknechts Weggang

Bevor Sahra Wagenknecht eine selbstreferentielle Partei gründete, spaltete sie fleißig Die Linke. Eine Axt, deren Kopf in den Farben der Deutschlandflagge leuchtete: Ihre Ansätze waren meist nationalistisch, zudem hatte sie bei migrationspolitischen Positionen offensichtliche Überschneidungen mit CDU und AfD.

Das gilt auch für ihre wirtschaftspolitischen Forderungen, die ausschließlich wettbewerbsorientiert sind. Dadurch sorgte sie für ein konservatives Grundrauschen in der Partei.

Für die progressive Partei-Jugend, die sie unermüdlich als selbstgerecht verteufelte, war sie ein Problem. Streitereien blieben da nicht aus, es fehlte an Geschlossenheit.

Wagenknechts Weggang brachte Die Linke zwar ins Wanken, da einerseits konservative Wähler:innen, andererseits Prominente wie Fabio De Masi mit ihr gingen, doch schaffte dieser auch Raum für eine Neuaufstellung.

2. Mit neuer Führung zurück zur Arbeiterklasse

Die war nötig, denn Sahra Wagenknecht war nicht das einzige Problem der Linken. Die Studie "Linke Triggerpunkte" des Sozialwissenschaftlers Carsten Brabands zeigt, dass die Zustimmung unter Industriearbeiter:innen und Beschäftigten im Dienstleistungssektor seit 2009 stark abgenommen hat. Für eine sozialistische Partei ein Armutszeugnis. Stattdessen prägten vor allem Akademiker:innen die Wählerschaft, nur eben nicht in selber Masse.

Die Linke musste wieder beweisen, dass sie die Interessen des Gros der Gesellschaft auch glaubhaft vertreten kann. Moralisch war es zwar möglich, sich von den anderen Parteien prominent abzuheben, etwa bei Migrationsfragen. Doch bei Kernanliegen wie der Lohn- und Sozialpolitik fehlte es an Strahlkraft.

Die neue Doppelspitze aus Ines Schwerdtner und Jan van Aken riss Klassenfragen wieder ins Bewusstsein der Links-Partei – mittels Organizing. Der Begriff meint die Verankerung linker Politik in der Gesellschaft. Mittel dabei ist, die Basis zu aktivieren, sprich sie auf Kurs zu bringen. "Jeder Linke sollte egal zu welcher Zeit mühelos erklären können, wofür wir stehen", sagte Schwerdtner beim Linken-Parteitag im Oktober 2024.

Dafür formulierte Die Linke ihre Kernforderungen im Wahlkampf klar aus: bezahlbarer Wohnraum, bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen, Frieden und eine Absenkung der Lebenshaltungskosten. Und diese sollte die Partei geschlossen den Wähler:innen bundesweit erläutern.

3. Bürgernaher Wahlkampf

Nicht nur über Wahlplakate und Infostände, sondern auch über andere Wege hat die Partei sich Aufmerksamkeit verschafft. Einer davon ist der Haustür-Wahlkampf.

Klinkenputzen mag altbacken wirken, fristete sogar ein Nischendasein in der Kampagnenarbeit der Spitzenparteien, doch effizient war das allemal – auch dank Organizing. Deutschlandweit führte die Partei Schulungen durch, um Kader zu bilden, die in Orts- und Kreisverbänden die Klingelschilder abarbeiteten und die linken Kernforderungen vortrugen.

Wie gut das funktionierte, zeigte Nam Duy Nguyen in seinem Wahlkreis Leipzig 1. Mit 39,8 Prozent der Erststimmen verbuchte er einen lawinenartigen Überraschungssieg. Er holte das Direktmandat in der sächsischen Landtagswahl.

Neben der Haustüroffensive organisiert Die Linke Veranstaltungen abseits angestaubter Stammtischrunden in verschmutzten Bierzelten. Stattdessen gibt es Graffiti-Aktionen in Berlin oder Techno-Tischtennis in Hamburg. Darüber hinaus helfen Linke Landesverbände Mieter:innen bei Rechtsfragen und sind auch bei Streiks präsent.

4. Kampfansagen und das Social-Media-Game

Zunächst: auch wenn es empfundener Konsens zu sein scheint, Aufregung ist nicht grundsätzlich schlecht. Sie abzulehnen, lässt sich auch als Produkt eines Vernunftfetischs verbuchen. Wichtig ist, dass die Aufregung, Lösungsansätze und reale Partizipationsmöglichkeiten mit sich bringt.

Fordern Linke "Löhne rauf, Mieten runter" und klamüsern in ihrem Wahlprogramm aus, wie das geht und wie sich das gegenfinanzieren lässt, bietet das inhaltlich Substanz. Betonen sie dazu, die Mitbestimmungsrechte der Mieter:innen stärken zu wollen, schließt das Mitmachmöglichkeiten ein.

Mit einer Prise Emotionalität bringen sie diese Forderung dann effizient unter die Leute. So sagt Jan van Aken etwa: "Die Mieten sind gestiegen, weil irgendwelche reichen Erben den letzten Pfennig da rauspressen", oder fordert, "Milliardäre abzuschaffen". Eine Rhetorik, die aufpeitscht.

Auf Social Media funktionieren diese Aussagen wunderbar. Kurze Clips, in denen derlei Schüsse Richtung oben fallen, sind schnell gemacht und entfalten ihre Wirkung. Hinzu kommt die Präsenz. Nicht nur Jan van Aken funktioniert gut auf Social Media, sondern auch andere Abgeordnete.

Gerade ist da vor allem Heidi Reichinnek, die mit schwungvollen Bundestagsreden stets Zehntausende Likes auf Instagram sammelt. Memes gepaart mit Statistiken tun ihr Übriges. Das fruchtet.

Laut Likeometer ist zum Beispiel die Followerzahl der Linken in den vergangenen 30 Tagen um rund 82 Prozent gewachsen auf 341.000. Vom Ampel-Aus bis Anfang Februar hat die Linke zudem 12,9 Millionen Likes auf Tiktok gesammelt.

Die Öffentlichkeitsarbeit zielt allerdings nicht nur auf eine junge Zielgruppe ab. Die Silberlocken-Kampagne mit Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow als Protagonisten lässt sich als Handreichung an ein älteres Publikum verstehen – als Zeichen dafür, dass linke Politik alle Altersklassen mitdenkt. Gleichzeitig gibt sie ein Signal: Alle Gräben sind überwunden, Die Linke steht für Geschlossenheit.

5. Die allgemeinen politischen Entwicklungen

Als CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zusammen mit der AfD über einen Antrag zur Migrationspolitik abstimmte, folgten viel Kritik, viel Protest und viele neue Mitglieder für Die Linke. Hinsichtlich migrationspolitischer Fragen versuchte sie es nicht mit einer Kursangleichung, wie sie etwa bei den Grünen zu sehen ist. Stattdessen grenzt sie sich vom Wunsch nach mehr Abschottung ab.

Heidi Reichinnek schmetterte Merz zudem im Anschluss der Abstimmung eine Rede um die Ohren, in der sie ihn heftig kritisierte. Der Clip ging viral, Die Linke bekam als antifaschistisches Bollwerk Gewicht.

Möglich war das aber nur, durch die gebündelte Vorarbeit der vergangenen Monate. Spannend wird zu beobachten, ob es die Partei wieder in den Bundestag schafft. Gerade sieht es gut aus. So gut, dass der Aufwind bis 2029 sich zu einem kleinen Sturm entwickeln könnte.

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