Rund jede:r Fünfte wird die AfD wählen.
Auch mein Vater.
Während sich die genaue Prozentzahl noch in beide Richtungen entwickeln kann, ist die Sache bei meinem Vater ziemlich eindeutig.
Das beschäftigt mich. Aber nicht nur mich. Es spaltet unsere Familie.
In das Lager, zum Glück die Mehrheit, das demokratische Parteien wählt, und in das andere, das der in Teilen rechtsextremen Partei die Stimme geben wird.
Dass ich selbst jemals die AfD wählen werde, ist so wahrscheinlich wie eine Alice Weidel, die Willkommenspakete an Geflüchtete verteilt. Genau in der Spannung zwischen der Wahlentscheidung meines Vaters und meinen eigenen Überzeugungen liegt mein Problem.
In meinem eigenen engen Umfeld kenne ich niemanden, der die AfD wählt. Mit solchen Menschen habe ich nichts zu tun und will es auch nicht. Wenn ich den Verdacht habe, dass jemand die Forderungen von Weidel und Co. teilt, meide ich die Person. Ich habe entschieden, mich nicht mit Personen zu umgeben, die Nazis unterstützen.
Bei meinem Vater ist das anders.
Ja, ja, ich weiß, nicht alle, die der AfD ihre Stimme geben, sind stramme Nazis. Zumindest sind sie dennoch, um es freundlich zu formulieren, extrem naiv.
Und hier kommt die Krux in der Beziehung zu meinem Vater: Was soll man machen, wenn die eigene Familie, die eigenen Eltern rechtsaußen wählen? Kontakt abbrechen? Alles ausdiskutieren, sodass die Stimmung immer hitziger wird? Sensible Themen gar nicht erst ansprechen?
In der Realität hat sich eine Mischung etabliert. Fakt ist, dass ich den Kontakt nicht abbrechen kann und will. Lange war mein Vater ein guter Vater. Er hat mich in allem unterstützt, war eine Bezugsperson.
Gleichzeitig ist es mir wichtig, darüber zu sprechen, weshalb man heutzutage manche Worte nicht mehr sagen sollte, weshalb die Ukraine gegen Russland unbedingt Unterstützung benötigt oder dass ich mich der Umwelt zuliebe größtenteils vegetarisch ernähre.
Selbst Corona (oder: "eine Erkältung", wie es am Weihnachtsessen bei uns heißt), kommt dann und wann noch immer als Thema auf. Anschließende Diskussionen zur Impfung inbegriffen.
Wann immer es also zu politischen Diskussionen kommt, versuche ich meine Argumente zu erklären. Oft kommt mein Vater zur Einsicht, aber nicht immer. Dann wird die Diskussion von ihm (und auch seiner Lebensgefährtin) sprunghaft geführt.
Beispiele gefällig? Wenn ich in einer Diskussion sage, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen habe, sind es auf der anderen Seite die USA, die die Situation in Israel und Gaza zum eskalieren gebracht haben. Wenn ich etwas der Umwelt zuliebe mache, bekomme ich zu hören, dass die Letzte Generation nach Thailand fliegt.
Purer Whataboutism. Doch den Begriff kennt mein Vater nicht.
Mittlerweile gibt es die ungeschriebene Regel, dass bei Familientreffen kein politisches Thema angesprochen wird. Aber ganz ehrlich: Wie soll das denn gehen?
Am Ende läuft doch so viel auf ein gesellschaftliches oder politisches Phänomen oder Problem hinaus. Schlussendlich bleiben deshalb viele Gespräche oberflächlich, austauschbar und einfach belanglos.
Das ist aber eine schöne, neue Hose. Wo hast du die her?
Wie war das Wetter bei euch?
Was habt ihr in den letzten Tagen so gegessen?
Und schon geht's los. Jetzt bloß nicht erwähnen, dass wir vegan gekocht haben. Denn dann stecken wir in der nächsten handfesten Diskussion, in der am Ende wieder Deutschland dem Untergang geweiht ist und nur die AfD die Probleme lösen kann.
Natürlich, und auch: zum Glück, stößt diese Regelung oft an ihre Grenzen. Genau dann hoffe ich mit den besten Argumenten ausgestattet zu sein, um meinen Vater umzustimmen oder zumindest zum Nachdenken zu bekommen.
Aber auch das ist mühselig, denn dazu gehört Vorbereitung. Spätestens während der Zugfahrt in die Heimat mache ich es mir zur Aufgabe, mir sämtliche aktuelle politische Probleme vor Augen zu führen und Argumentationslinien im Kopf zurechtzulegen. Funktioniert ehrlicherweise nur semi-gut, weil am Ende durch irgendeinen Zufall doch ein x-beliebiges anderes Thema auf den Tisch kommt, das die Stimmung vergiftet.
Das kann schon auf dem Weg vom Bahnhof ins Elternhaus sein, wenn wir wieder in eine Baustelle geraten. "In Deutschland gibt es auf den Straßen nur Baustellen. In anderen Ländern ist das nie so."
Wenn ich entgegne, dass immerhin gegen den Verfall vorgegangen wird, der spätestens seit dem Zusammenbruch der Carolabrücke in Dresden von meinem Vater regelmäßig der Politik angekreidet wird, ist die Stimmung zumindest mal gereizt.
Oft legt es sich dann. Auch, weil ich versuche, die Diskussion nicht eskalieren zu lassen. Ich kann, ich will nicht jeden Besuch in der Heimat im Streit enden lassen.
Aber mit der Bundestagswahl vor Augen komme ich bei diesem Thema einfach nicht zur Ruhe. Es beschäftigt mich immer wieder. Ich würde so gerne wissen, dass mein Vater das Kreuz doch nicht bei der AfD macht, dass er sich umentschieden hat und für die CDU stimmt – mit der ich auch meine Probleme habe, wenn auch nicht ganz so große.
Wenn ich meinen ganzen Mut zusammennehme, rufe ich ihn kurz vor der Wahl an und bitte ihn darum. Er wird es als übergriffig und bevormundend empfinden.
Mir würde es aber Ruhe geben, weil ich noch einmal mein Bestes versucht hätte. Denn jede Stimme, die am Ende nicht bei der AfD landet, ist eine gute Stimme.
Ich hoffe, ich bin mutig genug.