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Bei RTL durfte man sich streiten. Bild: dpa-Pool / Kay Nietfeld
Meinung
Keine Woche trennt Deutschland mehr von der nächsten Bundestagswahl und so ist das Thema weder von den Straßen oder Social Media noch aus dem TV wegzudenken. Genau sieben Tage vor dem Wahltag trafen am Sonntagabend tatsächlich alle Kanzlerkandidaten aufeinander – inklusive Alice Weidel von der in weiten Teilen rechtsextremen Partei AfD. Schon hier möchte man eigentlich abschalten.
RTL in Gestalt von Günther Jauch und Pinar Atalay empfing die Politikerin gemeinsam mit ihren drei männlichen Kontrahenten von CDU, SPD und Grünen live im Studio und wollte damit offensichtlich vor allem diese Gen Z erreichen, die ja dank Reality-TV ohnehin ein Abo für den Streamingdienst des Privatsenders besitzen dürfte.
Quadrell bei RTL liefert Quoten-Highlight unter jungen Menschen
Und darf man den Quoten glauben, hat das Quadrell tatsächlich viele junge Menschen erreicht. Laut DWDL sahen am Abend 3,30 Millionen Zuschauer:innen aus der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen das Format. Auch die anschließende Diskussionsrunde "Wer war am besten" erreichte demnach mehr Menschen im TV als etwa "Caren Miosga".
Bei vielen dürfte das allerdings mit einem gewissen Schock-Effekt zu begründen sein. Denn mit der anschließenden Analyse erschuf RTL endgültig eine Peinlichkeit, bei der man einfach nicht wegschauen konnte.
Zu der "illustren Runde" hatte am Abend Frauke Ludowig geladen – zur Erinnerung: sonst Moderatorin von "Exklusiv", dem Star-Magazin. Auszug aus der Gästeliste: Ruth Moschner, Joachim Llambi und Panagiota Petridou.
RTL hat also die Crème de la Crème an Leuten geladen, die gerne vor laufender Kamera ihren Senf dazugeben, bravo. Ob die politische Expertise mitbringen, war dabei offenbar egal. Oder zählt es, dass Moderatorin Panagiota Petridou in ihrem Leben schon dreimal bei Markus Lanz gesessen hat?
RTL kann Politik nicht ohne das Dschungelcamp denken
Aber man hatte an diesem Sonntag ohnehin das Gefühl, dass bei RTL niemand so richtig über Politik reden möchte. Schon beim Quadrell selbst stellten Günther Jauch und Pinar Atalay den Kanzlerkandidat:innen witzlose Entweder-Oder-Fragen.
"Lieber Opposition oder ins Dschungelcamp", heißt es an die Politiker:innen gerichtet. Unionskandidat Friedrich Merz kann da nur verdutzt dreinblicken, scheint sich beinahe um eine Antwort zu drücken. "Wir sind bei RTL, Herr Merz", erinnert ihn Moderatorin Pinar Atalay.
Das wird einem dann auch bei der anschließenden "illustren Runde" von Frauke Ludowig schmerzlich bewusst. Denn diese startet mit einer Live-Schalte – Achtung – zu Lili Mari Budach. Na, klingelt da was? Es handelt sich dabei schließlich um keine Geringere als die Tochter von Janine Kunze!
Wir verzichten an dieser Stelle auf Erläuterungen für alle RTL-Banausen, denen dieser Name ebenfalls nichts sagt. Mit Politik hat sie jedenfalls nichts zu tun. Hot-Take des Abends von "Model und Studentin" Budach derweil: Wir brauchen in Deutschland mehr "liebevolle Politik". Na dann.
"Wer war am besten" bei RTL: viel Gerede um nichts
Für ein bisschen Seriosität zwischen den an Banalität nicht mehr zu übertreffenden Äußerungen von Panagiota Petridou ("Make Politik cool again", "Die traurigen Mundwinkel von Olaf Scholz haben Auswirkungen", Politik müsste mehr wie "Die Sendung mit der Maus" sein) hatte man glücklicherweise wenigstens einen echten Politikexperten eingeladen.
So ist Ex-RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel extra aus dem Ruhestand zurückgekehrt, um den Wahlkampf noch einmal zu kommentieren. Bei "Wer war am besten" analysierte Kloeppel etwa vollkommen richtig, dass an diesem Abend "für die jungen Leute" wohl nicht viel dabei war.
Dass er am Abend die größte Expertise mitbrachte, liegt auf der Hand. Eine zweite Live-Schalte ging in der Sendung nämlich zu Katharina Saalfrank aka der "Super-Nanny" und Julian Stöckel. Und ich dachte, das Dschungelcamp ist das Schockierendste, was ich bei RTL je sehen würde.
Am Ende hat man wie schon beim Duell zwischen Merz und Scholz in der vergangenen Woche auch beim Quadrell nicht viel verpasst, in der Nachbesprechung bei RTL erst recht nicht. Um auch wirklich alle RTL-Karten gezogen zu haben, dürfen die Gäste die Performance der Kanzlerkandidat:innen am Ende anhand einer Punktekelle wie bei "Let's Dance" bewerten.
Hätte man das gesamte Konzept bei RTL ein bisschen weitergedacht, hätte es vielleicht tatsächlich funktionieren können. Schließlich ist ein trockenes Polit-Gespräch wie in den 00er-Jahren wirklich nicht auf junge Leute ausgerichtet. Auch die Stimmen von Menschen außerhalb der manchmal verkopften Politik-Blase einzubauen, ist keine schlechte Idee.
In dieser Art der Umsetzung dürfte das Ganze aber höchstens dafür gesorgt haben, dass junge Menschen in der Mediathek schnell weiterklicken zu "Temptation Island". Gut, dann hat immerhin RTL eben doch etwas erreicht.
Ach ja, und falls es unter den "jungen Leuten" noch jemanden interessiert: Über die Klimakrise wurde am Sonntag bei RTL wie schon in der vorherigen Woche im Öffentlich-Rechtlichen nicht geredet. Nur Peter Kloeppel erwähnt in der nachfolgenden Analyse, dass das Thema unter den Tisch gefallen sei. Der ebenfalls anwesende Autor und Moderator Micky Beisenherz belehrte kurz, dass das aber wohl auch nicht das Wichtigste sei.
Danke, RTL.
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