Was für eine ereignisreiche Woche. Erst kehrt der verurteilte Sexualstraftäter Donald Trump ins Weiße Haus zurück, dann platzt auch noch die Ampel-Regierung. In diesen turbulenten Zeiten gerät der Krieg in der Ukraine schnell aus den Augen.
Was geschieht eigentlich gerade an der Front und welche Gebiete sind derzeit besonders schwer umkämpft?
"Die größten Geländegewinne verzeichnet Russland derzeit im Donbass in Richtung Pokrowsk sowie etwas südlicher an der Schwelle zur Saporischschja-Front, wo die Festung Wuhledar gefallen ist", ordnet Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov von der Freien Universität Berlin ein.
Bei Pokrowsk seien in den vergangenen Wochen ein Dutzend Ortschaften gefallen, führt er auf watson-Anfrage aus.
Die Front nähert sich Pokrowsk – nach Donezk die wichtigste Agglomeration im Donbass. "Der Stellenwert dieser Stadt ist schwer zu überschätzen. Pokrowsk ist logistisch, militärisch und wirtschaftlich der wichtigste Knotenpunkt im ukrainisch kontrollierten Donbass", warnt Gerasimov.
Laut ihm befestigt die Ukraine die Stadt intensiv. "Die Kämpfe darum werden blutig. Sollte die Stadt fallen, wird der Rest vom Donbass für Kiew kaum mehr zu halten sein", prognostiziert Gerasimov.
Ukrainische Kriegsreporter:innen treffen ihm zufolge zum Teil noch pessimistischere Prognosen: "Dass mit Wegfall von Pokrowsk der Industriekern der Ukraine fallen würde." Sollte die Front danach eingefroren werden, hätte die Ukraine ihre Industriebasis verloren.
Lösungsansätze gäbe es zwei:
Neben Pokrowsk- und Wuhledar-Abschnitten gibt es aber noch zwei weitere Gefechts-Hotspots in der Ukraine.
Laut Gerasimov wird Kupjansk in den Medien gern vergessen. In der Stadt im Osten der ukrainischen Oblast Charkiw hätten sich zuletzt aber ebenfalls deutliche Frontveränderungen gezeigt – zum Nachteil der Ukraine. "Russische Truppen erreichten an gleich mehreren Stellen den Fluss Oskil und versuchen Kupjansk in eine große Zange zu nehmen", sagt der Konfliktbeobachter.
Aber auch in der Region Kursk leisten ukrainische Truppen erbitterten Widerstand, "um ihren Brückenkopf auf russischem Territorium zu halten", meint Gerasimov.
Zugleich drohe das Ganze zu einem Selbstzweck zu werden. Wofür genau ukrainische Elitebrigaden den Kursk-Brückenkopf derart verlustreich noch halten, konnte zuletzt auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht überzeugend erklären.
Gerasimov meint dazu:
Im August gelang dem ukrainischen Militär ein strategischer Vorstoß auf russischem Gebiet. Expert:innen rätselten, was sich die Ukraine von dieser gefährlichen Kursk-Offensive erhoffe. Später erklärte der ukrainische Militär-Chef, Oleksandr Syrskyj, der Kreml hatte ebenfalls einen Angriff auf die Ukraine von der Region aus geplant. Man sei ihm demnach zuvor gekommen.
Zudem gehen Expert:innen davon aus, dass die Ukraine durch die Kursk-Offensive mehr Druckmittel gegen Russland habe. Doch zu welchem Preis?
Das zeigen laut Gerasimov die regelmäßigen Verluste etwa an deutschen "Leoparden" und britischen "Challenger 2" in der Region. "Im ukrainischen Internetsegment gehen die Gerüchte um, dass in den nächsten Wochen ein Rückzug aus Kursk und die anschließende Entlassung von Armeechef Syrskyj bevorstehen", führt er aus. Verifizieren lassen sich die Gerüchte nicht. Dem Experten zufolge zeigen sie aber deutlich, dass die ukrainische Kursk-Operation auch in der Ukraine "extrem kritisch" gesehen wird.
Zur gleichen Zeit brechen für die Ukraine ungewisse Zeiten an, sobald Trump ins Weiße Haus einzieht. Das Trump-Team soll schon einen passenden Deal parat haben.
Die Trump-Regierung will der Ukraine offenbar weiter Waffen liefern, wenn dafür eine Nato-Mitgliedschaft des angegriffenen Landes um mindestens 20 Jahre verschoben wird. Das berichtet das "Wall Street Journal" unter Berufung auf drei Quellen aus Trumps engem Umfeld.
Kritiker:innen gehen auch davon aus, dass dieser "Deal" auf eine De-facto-Kapitulation der Ukraine hinauslaufen würde, bei der Kiew durch ausbleibende finanzielle US-Unterstützung zur Abgabe eines großen Teils des von Russland besetzten Territoriums gezwungen würde – so wie Putin es fordert.
Aus seiner Bewunderung für Putin hat Trump nie ein Geheimnis gemacht. Nach den Recherchen des Enthüllungsjournalisten Bob Woodward unterhält der 78-Jährige weiterhin persönliche Kontakte zum Kreml-Herrscher, ungeachtet des seit zweieinhalb Jahren andauernden Krieges gegen die Ukraine.
Selenskyj schlägt Alarm und wirft den Europäer:innen nach der US-Wahl Kuschen vor Putin vor.
Er beschuldigt die europäischen Partner nach dem Wahlsieg von Trump, die Ukraine zu Zugeständnissen gegenüber Russland zu drängen. Ohne Namen zu nennen, warnt er bei einem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Budapest vor den Folgen.
Das wäre selbstmörderisch für Europa, sagt er. Man müsse auf das Konzept "Frieden durch Stärke" setzen. Es sei illusorisch, zu glauben, mit Zugeständnissen an Kremlchef Wladimir Putin einen gerechten Frieden erreichen zu können.
(Mit Material der afp/dpa)