2017 sagte der frisch gewählte Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, er sei nicht in diese Partei eingetreten, um mit ihr Opposition zu machen, "aber ich bin auch nicht in sie eingetreten, um sie immer wieder gegen die gleiche Wand rennen zu sehen." Er wollte, wie viele seiner Genoss:innen, eine erneute Große Koalition verhindern – aber scheiterte in dem Mitgliedervotum.
Auch 2025 hängen der Partei noch die bleiernen Groko-Jahre in den Knochen. Und doch ist die Lage eine gänzlich andere. Die AfD ist bei der Bundestagswahl die zweitstärkste Kraft geworden, die SPD hat ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Was bedeutet das für die Regierungsbildung?
Realistisch gesehen, kommt nur eine Große Koalition infrage – die einzige andere Option wäre eine Koalition mit Union, SPD und den Grünen. Also noch einmal komplizierter. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt die Union aus.
Der Zeitplan sieht also wie folgt aus: Union und SPD werden mühsame Sondierungsgespräche führen, wobei die SPD um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen und gleichzeitig, um ihre Alleinstellung wissend, der Union empfindliche Zugeständnisse abringen wollen. Sondierungsgespräche sind den Koalitionsverhandlungen vorgelagert, es wird sich beschnuppert, ob eine Zusammenarbeit prinzipiell möglich ist.
Mehrere SPD-Politiker:innen bestätigten bereits, dass am Ende der Koalitionsverhandlungen ein Mitgliederentscheid über eine tatsächliche Koalition entscheiden wird.
Das heißt: Ob die SPD tatsächlich in eine Koalition mit der Union eintritt, wird allein von den Mitgliedern entschieden werden. 2018 stimmten – trotz abwertender Aussagen von Kevin Kühnert – 66,02 Prozent für den Koalitionsvertrag. Bis dahin bleibt Olaf Scholz als Kanzler erst einmal im Amt.
Was aber, wenn die Mitglieder mehrheitlich gegen den Koalitionsvertrag stimmen? Zuerst einmal bliebe die Möglichkeit einer Nachverhandlung. Allerdings ist eine nachträgliche Einigung unwahrscheinlich, da in dem Fall keine der Parteien für weitere Zugeständnisse bereit gewesen ist.
Eine Alternative wäre eine Minderheitsregierung unter der Führung der Union, vorausgesetzt sie koaliert nicht mit der AfD. Scholz zumindest hielt eine schwarz-blaue Koalition "im Oktober" für möglich – was aber auch als Verhandlungstaktik gelten kann.
In einer Minderheitsregierung könnte sich Merz aber immer noch mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen. Als Kanzler könnte er dann in neuerliche Verhandlungen oder in Neuwahlen gehen. All das ist jedoch nur schwer vorstellbar.
Die Ausgangslage ist folgende: Die SPD ist in einem Dilemma. Sie kann nach dieser historischen Niederlage keineswegs so weiter machen wie bisher. Auch hat Merz mit der AfD-Abstimmung Vertrauen bei einigen Sozialdemokraten verspielt. Wer Merz unterstellt, damit das "Tor zur Hölle" geöffnet zu haben (Rolf Mützenich), der kann nicht am nächsten Tag auf seinen Schoß springen.
Und eine GroKo kann eben auch heißen, immer wieder gegen die gleiche Wand zu rennen.
Einerseits. Andererseits gibt es eben keine wirkliche Alternative. Im Vorfeld wurde immer wieder das Schreckensbild der österreichischen Verhältnisse an die Wand gemalt. Im deutschen Nachbarland waren die Koalitionsverhandlungen der demokratischen Parteien im ersten Anlauf gescheitert, sodass plötzlich nur noch die rechtsextreme FPÖ als Partnerin übrig blieb.
Die Union wird in den anstehenden Gesprächen an die staatspolitische Verantwortung der SPD appellieren.
Das werden sich die Sozialdemokraten wiederum kosten lassen. Merz wolle bis Ostern eine Regierung bilden. Aber Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig nahm prompt das Tempo raus.
"Friedrich Merz sollte sehen, dass er nicht alleine durch die Wahl eine Regierung hat und ein Regierungschef ist", sagt Schwesig im Podcast von "Politico". Es wäre "wichtig, dass nicht ständig gesagt wird, bis dann dies und das, sondern dass man erstmal auslotet, wie man sich vorstellt, wie es in Deutschland weitergehen soll". Aus ihrer Sicht sei es "total offen", ob die SPD mit der Union unter Merz koalieren werde.
Nun sind die Zeiten mit einer akuten sicherheitspolitischen Bedrohung im Nacken erheblich dramatischer. Dennoch schreibt die "Zeit", dass ein "Scheitern der ersten Sondierungen" von führenden Köpfen bereits eingepreist sei.
Die SPD werde sehen, wie Unions-Kanzlerkandidat Merz sich jetzt verhalte in den Gesprächen, sagte auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch im ARD-"Morgenmagazin": "Dann werden wir das davon abhängig machen, ob es tatsächlich zusammengeht."
Er erwarte schwierige Gespräche mit der Union und nannte als mögliche Knackpunkte die Stabilisierung der Rente und die Frage, ob man die große Masse der Bevölkerung steuerlich entlaste.
"Zunächst braucht es Gespräche", stellte auch Schwesig klar. "Dann muss man sondieren, ob man überhaupt in Koalitionsgespräche geht." Weil das Vertrauen in Merz "nicht groß" sei, müsse man zuerst ausloten: "Wie will man regieren?"
Diese Aufgabe wird Lars Klingbeil zukommen, der nach dem Rückzug von Mützenich neben dem Partei-, auch den Fraktionsvorsitz übernehmen wird. "Es gibt keinen Automatismus, aber die demokratische Mitte muss natürlich versuchen, in diesen Zeiten auch zusammenzuarbeiten", sagte Miersch.
Sollte man sich also in Sondierungs- und anschließenden Koalitionsgesprächen einigen, wird die Kunst dann sein, die Basis davon zu überzeugen. Von der staatspolitischen Verantwortung, der Vision, wie man sich in einer Großen Koalition inhaltlich profilieren möchte – und dem Vertrauen, das man Friedrich Merz trotz alledem entgegenbringt.