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Friedrich Merz und die Gen Z: die Angst vor einem Rentner-Kanzler

Friedrich Merz
Am Ziel, zumindest fast: Friedrich Merz. Bild: www.imago-images.de / imago images
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Die Angst vor einem Rentner-Kanzler: Die Gen Z wird Friedrich Merz ganz genau beobachten

23.02.2025, 19:08
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Deutschland hat gewählt – und bekommt aller Voraussicht nach den Bundeskanzler, den es am wenigsten schlimm findet: Friedrich Merz.

25 Prozent aller Deutschen hätten laut Trendbarometer von n-tv und RTL für den CDU-Kandidaten gestimmt, wenn man den Bundeskanzler direkt wählen würde. Das ist verdammt wenig, am Ende aber noch immer mehr als bei Robert Habeck (23), Olaf Scholz (17) und Alice Weidel (14).

Natürlich feiert Friedrich Merz nun seinen klaren Wahlsieg, auch wenn er eines der miesesten Ergebnisse der Union aller Zeiten eingefahren hat. Merz kam auf unter 30 Prozent (Stand: Sonntag, 18.25 Uhr). Schlechter war das Ergebnis der CDU/CSU nur 2021 (24,1). 1949 holte die Union 31,0, 2017 32,9.

"Immerhin weiß man: Friedrich Merz ist nicht nachtragend."

Nun stellt sich die Frage, wie kompromissfähig Friedrich Merz nach dem zum Teil stark populistischen Wahlkampfgetöse ist. Der Mann ist zwar 69 Jahre alt, hat aber keinerlei Regierungserfahrung. Jetzt muss er beweisen, dass er nicht nur große Reden schwingen, sondern auch eine Regierung bilden und mit Inhalten füllen kann.

Dafür wird er auf der Suche nach einem Koalitionspartner und -vertrag auf andere Parteien zugehen müssen. In jedem Fall auf die SPD, dann ohne Olaf Scholz. Und er wird beweisen müssen, dass er kein Lügner ist und hinter den Kulissen nicht doch mit der AfD droht, wenn andere Parteien nicht über jedes seiner Stöckchen springen.

Immerhin weiß man: Friedrich Merz ist nicht nachtragend. Denn ein nachtragender Politiker hätte nach dem verlorenen Machtkampf mit Angela Merkel zu Beginn des Jahrtausends und nach den verlorenen Wahlen zum CDU-Parteivorsitzenden 2018 und 2021 nicht 2022 erneut seinen Hut in den Ring geworfen.

Vielleicht darf dieser Gedanke Hoffnung machen. Auch wenn eine Grundskepsis bleibt, weil Merz, sein Scharfmacher Carsten Linnemann und Populismus-König Markus Söder immer wieder betont haben, dass sie bei ihren wichtigsten Themen nicht kompromissbereit seien.

Das klang immer ein bisschen nach Donald Trump, nie nach konsensorientierter demokratischer Arbeit.

Merz und seine Mitstreiter:innen – wir gendern jetzt einfach mal, auch wenn wir überall nur Männer sehen – werden an diesem Punkt sehr schnell den Schalter umlegen müssen. Weg vom Wahlkampfgepolter, hin zu Ruhe, Stärke und Optimismus. Genau das brauchen wir jetzt. Kurz gesagt: Friedrich Merz muss beweisen, dass er ein Staatsmann ist.

Friedrich Merz: Wer wird der Vizekanzler an seiner Seite?

Er wird sich so schnell wie möglich auf seine Lieblingsthemen stürzen: die Migrationspolitik und die Wirtschaft. Hinzu kommt, dass er mit dem Außenminister (und vermutlich Vizekanzler), höchstwahrscheinlich ein Mann der SPD, ein sinnvolles Vorgehen entwickeln muss, damit Deutschland und die EU nicht von Donald Trump im Westen und Wladimir Putin im Osten ins Abseits geschoben werden. Die Friedensfrage und unsere Werte im demokratischen Teil der Welt werden für uns Europäer:innen plötzlich wieder zum Fokusthema.

What a time to be alive.

"Es ist ziemlich leicht, Wahlen zu gewinnen, indem man Rentner:innen viel verspricht und junge Menschen vergisst."

Neben all den Sorgen ums Hier und Jetzt gibt es allerdings noch Themen, über die Friedrich Merz im Wahlkampf sehr, sehr selten gesprochen hat: die Sorgen und Herausforderungen junger Menschen.

Für sie stellt sich die Frage, ob Friedrich Merz ein Rentner-Kanzler wird. Und damit ist ausdrücklich nicht sein Alter gemeint, sondern das seiner Zielgruppe.

Deutschland ist ein altes Land – für wen macht Friedrich Merz Politik?

Fast 60 Prozent aller Wähler:innen sind über 50 Jahre alt, mehr als 40 Prozent über 60. Anders ausgedrückt: Nur 13,3 Prozent sind jünger als 30. Es ist ziemlich leicht, in Deutschland Wahlen zu gewinnen, indem man (Fast-)Rentner:innen viel verspricht und junge Menschen vergisst.

Bei der CDU/CSU ist genau das im Wahlkampf passiert. Man hörte nichts zur Klimakrise, dem einzigen Problem, das ähnlich groß wie die Angst vor den Kriegsfantasien Russlands in Europa ist.

Es war wenig zu lesen, wie Azubis, Studierende oder junge Menschen finanziell entlastet werden sollen – dabei hat die Gen Z das dringender nötig als der von der Union so oft erwähnte fleißige Mittelstand.

Noch fehlen die Konzepte, die wirklich dauerhaft sicherstellen, dass Kranken- und Pflegesysteme nicht doch in zwei, drei Jahrzehnten implodieren.

Und von einer echten Digitalisierung fehlt weiterhin jede Spur. Als Schlagwort stand sie in fast jedem Wahlprogramm. Doch vom Reden hat sich noch kein Faxgerät selbst abgeschafft.

Ich habe es vor drei Monaten schon einmal geschrieben und wiederhole es nun gerne:

Deutschland ist ein derart starkes Land, dass wir in der Lage sind, all diese Dinge anzugehen. Ganz egal, ob der Kanzler oder die Kanzlerin schwarz, grün oder rot ist. Hauptsache, sie ist nicht blau.

Wir müssen uns nun nur gemeinsam aus der Spirale der Miesepetrigkeit, des Zögerns und des Pöbelns befreien. Und an die Zukunft denken. An die Zukunft der jungen Menschen, die schlicht und einfach Angst haben, dass ihr Land gegen die Wand fährt.

Was junge Menschen brauchen, sind progressive Ideen der Politik für eine langfristig erfolgreiche Zukunft. Und nicht einen Kanzler der Rentner:innen, der an Ideen von gestern glaubt und parallel unsere Gesellschaft mit populistischen Thesen von vorgestern noch weiter spaltet.

Der Auftrag an Friedrich Merz ist daher: Er muss ein Kanzler für alle werden – auch für die jungen Menschen. Und dafür reicht die Grundsatzhoffnung "Sobald die Wirtschaft wieder besser läuft, erledigt sich schon alles andere" nicht aus.

Die Millionen Menschen, die wegen seines Abstimmungsverhaltens mit der AfD in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind, haben gezeigt: Junge Menschen sind sensibilisiert und politisiert wie lange nicht mehr. Und sie werden, gemeinsam mit der Opposition im Deutschen Bundestag, ganz genau hinschauen, für wen der neue Kanzler Politik macht. Und für wen nicht.

Watch out, Friedrich Merz!

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