Das Klatschen für die Menschen in Pflegeberufen ist längst verhallt. Wirklich etwas gebracht hat es natürlich nicht, aber eine nette Geste war es trotzdem. Eine Geste, die sich nun, da die Corona-Pandemie nicht länger das Hauptthema am Abendessenstisch, im Aufzug oder beim Spaziergang mit dem Hund ist, nicht direkt in eine große Reform übersetzen ließ.
Das Pflegepersonal ist systemrelevant. Ebenso wie die Verkäuferin bei Aldi an der Kasse oder die Erzieherin in der Kita. Systemrelevanz bedeutet aber noch immer nicht, dass die, die das System am Laufen halten, von ihrem Einsatz gut leben können.
Das nervt. Vor allem natürlich die Betroffenen selbst. Aber eigentlich auch alle anderen: Schließlich ist die Suche nach einem Platz im Kindergarten oder einem guten Pflegeheim ähnlich mühselig wie die nach einer bezahlbaren Wohnung in Berlin.
Weil sie durch ihre Arbeitsbedingungen an der Belastungsgrenze kratzen, war das Pflegepersonal der Charité und der Vivantes-Kliniken in Berlin nun einen knappen Monat auf der Straße, um zu streiken. Es hat sich gelohnt: Wie der "Tagesspiegel" berichtet, haben sich die Gewerkschaft Verdi und der Vorstand von Vivantes auf die Eckpunkte eines Tarifvertrages geeinigt.
Ein großes Thema der Streikenden: der Personalschlüssel auf den Stationen. Denn oft müssen sich zu wenig Pflegekräfte um zu viele Patienten kümmern. Verdi und Vivantes sollen sich nun auf einen festen Personalschlüssel auf den Stationen geeinigt haben, der die von der Regierung eingeführte Mindestbesetzung übersteigt. Die Kliniken gehen nun davon aus, dass es 1500 neue Beschäftigte bräuchte. Viele davon müssten außerdem examinierte Pflegekräfte sein.
Und genau diese sind rar. Im Bereich der Altenpflege besteht laut einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft seit mindestens zehn Jahren ein Fachkräftemangel. In den Kliniken sieht es nicht besser aus.
Wie sich die Pflege in Zukunft entwickeln soll und was die Politik gegen den "Pflexit", also gegen die berufliche Umorientierung von Pflegekräften, tun muss, sind nur zwei der Themen, mit denen sich der deutsche Pflegetag in dieser Oktoberwoche beschäftigt. Anlässlich des Kongresses erklärt Sylvia Bühler, Mitglied im verdi-Bundesvorstand:
Auch in der Altenpflege seien Personalvorgaben nötig, ebenso muss aus Sicht von Bühler das Problem der unzureichenden Bezahlung in der stationären und ambulanten Pflege angegangen werden.
"Eine Veranstaltung, die den Fokus auf die Zukunft der Pflegeberufe legt, ist aktuell wichtiger denn je", sagt Kordula Schulz-Asche, die pflegepolitische Sprecherin der Grünen. Sie wird auf dem Pflegetag sprechen. Was wichtig wäre, um den Pflegeberuf wieder attraktiver zu gestalten? Aus Sicht von Schulz-Asche bräuchte es vielfältige Maßnahmen. Sie erklärt:
Aus Sicht der Grünen darf keine weitere Zeit verloren werden, da sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege andauernd verschärften.
Michael Hennrich, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit der Union, erklärt, die Regierung habe in der vergangenen Legislaturperiode bereits vieles auf den Weg gebracht. Konkret sei das:
Aus Sicht von Verdi ist das Gesetz für eine tarifliche Bezahlung in der Altenpflege missbrauchsanfällig. Bühler erklärt: "Falls kommerzielle Betreiber weiterhin keine fairen Löhne zahlen, muss hier schleunigst nachgebessert werden. Bessere Arbeitsbedingungen durch bedarfsgerechte Personalvorgaben sind ein wichtiges Mittel, die Flucht aus den Berufen zu stoppen." Die zentralen Aufgaben der Gesundheitspolitik sind aus Verdi-Sicht: genug Personal, angemessene Bezahlung und auskömmliche Finanzierung. "Daran messen wir die künftige Bundesregierung", fasst Bühler zusammen.
CDU-Politiker Hennrich geht davon aus, dass die angeschobenen Reformen der vergangenen Legislatur ihre Wirkung entfalten und vielen Menschen Besserung bringen werden. "So greifen etwa die Regelungen für eine verpflichtende Bezahlung nach Tarif in Pflegeeinrichtungen erst im nächsten Jahr", meint er.
Warum eine Veränderung und Verbesserung im Bereich der Pflege ein langwieriger Prozess ist, erklärt Heike Baehrens, die pflegepolitische Sprecherin der SPD, mit der Komplexität der Zuständigkeiten. "Dazu gehören die Bundespolitik, aber auch Länder und Kommunen. Mitzubestimmen haben auch Pflegekassen, Betreiber von Pflegeeinrichtungen oder die Sozialämter, die einspringen, wenn Pflegebedürftige nicht selbst für ihre Pflegekosten aufkommen können", sagt Baehrens. Bedeutet: Jeder hat ein Wörtchen mitzureden und wie das dann immer so ist – es kann dauern. Baehrens ergänzt:
SPD-Politikerin Baehrens hofft deshalb darauf, dass eine neue Koalition der Pflege "neuen Anschub" bringen wird. Sie sagt: "Dazu gehören Reformen für eine nachhaltigere und bessere Finanzierung der Pflege, mehr Personal und die bedarfsorientierte Unterstützung für betroffene Familien." Das sieht auch ihre Grünen-Kollegin Schulz-Asche so. Sie meint:
Um dem Fachkräftemangel entgegenzukommen, müssten junge Menschen motiviert werden, eine Ausbildung in einem Pflegeberuf zu machen. Doch wie? Wenn es nach Hennrich geht, könnten ausreichend Personal, eine faire Entlohnung und gute Ausbildung dazu beitragen, das Berufsfeld wieder attraktiver zu machen. Davon gehen auch seine beiden Kolleginnen von SPD und Grünen aus. Sie gehen allerdings auch beide davon aus, dass es zusätzlich zu Geld, Freizeit und fairen Arbeitsbedingungen außerdem die Chance auf Weiterbildung und Karriere bräuchte.
Aus Sicht von Schulz-Asche müsste die deutsche "Qualifizierungssemantik" an das europäische Niveau angepasst werden. Sie meint: "Es ist elementar, dass die Ausbildung entsprechend der jeweiligen Qualifikation dazu befähigt, eigenverantwortlich zu arbeiten und zum Beispiel heilkundliche Tätigkeiten zu übernehmen." SPD-Politikerin Baehrens sieht auch in der Nutzung technischer Hilfsmittel und der voranschreitenden Digitalisierung Möglichkeiten für die Verbesserung des Pflegeprozesses.
Insgesamt bleibt für die neue Bundesregierung also viel zu tun, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Herausforderungen zu meistern, die auch der demografische Wandel mit sich bringen wird – spätestens dann, wenn Generation Babyboom in ein entsprechendes Alter kommt.