Der letzte Skandal war einer zu viel: Boris Johnson ist als britischer Premier zurückgetreten.Bild: imago images / imago images
Analyse
Boris Johnson ist der Skandalpremier in Europa. Er hat eine Reihe von Fehltritten hinter sich. Er wurde schon x-Mal beim Lügen erwischt, ehe er sich für diese entschuldigte. Die jüngste Affäre kostete ihn nun den Kopf. Er ist am Donnerstag, 7. Juli, zurückgetreten. Den Posten als Regierungschef will er nur noch lange behalten, bis jemand neues gefunden wurde.
Vorher ist ein Minister nach dem anderen von seinem Posten zurückgetreten. Erst der Schatzkanzler Rishi Sunak und der Gesundheitsminister Sajid Javid, dann folgten der Minister für Wales, Simon Hart, und der Minister für Nordirland, Brandon Lewis. Den Wohnungsbauminister Michael Gove hat Johnson außerdem gefeuert. Insgesamt sind mehr als 50 Minister und andere Regierungsvertreter aus Protest gegen Johnson gegangen.
Der Auslöser für den Trubel: Johnson hat den Abgeordneten Chris Pincher auf einen hohen Fraktionsposten im Unterhaus befördert. Und das, obwohl er wusste, dass dieser in einem Club zwei Männer sexuell belästigt hatte.
Sajid Javid (l.) und Rishi Sunak sind nicht länger Boris Johnsons Gefolgsleute.Bild: dpa / Toby Melville
Im Juni entging Johnson durch ein Misstrauensvotum noch seiner Absetzung. Die Mehrheit seiner konservativen Tory-Partei sprach ihm damals ihr Vertrauen aus. Von den 359 Abgeordneten votierten allerdings auch 148 gegen ihn. Eine gespaltene Partei.
Offensichtlich, meint Johann Dvořák, hatte Johnson in seiner Partei keine Mehrheit mehr. Dvořák lehrt an der Universität Wien und sein Spezialgebiet ist Großbritannien. Was er nun erwarte, sei allerdings ein großes Schauspiel um die Nachfolge des Pannenpremiers. Denn: "Die Tories sind in sich zersplittert und es wird ihnen nicht reichen, sich nur von Johnson zu distanzieren."
Nicht eingelöste Wahlversprechen
Der britische Premierminister ist mächtig. Viel mächtiger, als der deutsche Bundeskanzler, oder der Österreichische. Doch Macht alleine sei nicht genug, meint Dvořák. Denn Johnson habe es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, seine Wahlversprechen einzulösen, zudem habe er Negativschlagzeilen gelandet. Das könne dazu geführt haben, dass Johnson bei seinen eigenen Leuten eingebüßt habe.
"Der britische Premier hat eine unvergleichbare Machtfülle", sagt Johann Dvořák. Denn anders als Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Deutschland muss sich Johnson nicht mit den Ministerpräsidenten der Länder oder Koalitionspartnern rumschlagen. Die Regionen haben keinen Einfluss auf die Besetzung der Regierung. Und die Partei von Johnson regiert, dank Mehrheitswahlrecht, alleine.
"Der Premier hat die absolute Macht bei der Benennung seiner Minister. Die einzige Voraussetzung ist, dass sie Mitglied des Unterhauses sein müssen", sagt Dvořák. Zudem gebe es eine strikte Kabinettsdisziplin, die es Ministern nicht möglich mache, sich zu beschweren. "Wenn sie zurücktreten, können sie danach im Unterhaus quengeln", mein Dvořák.
Suella Braverman (rechts) hat sich als künftige Premierministerin ins Gespräch gebracht.Bild: ap / Kirsty Wigglesworth
Unklar ist, wer den Posten Johnsons wirklich übernehmen könnte. Hier hat sich Chefjustiziarin Suella Braverman angeboten. Sie gehört zu einer Gruppe von Kabinettsmitgliedern, die zwar nicht zurückgetreten sind, aber Johnson den Rücktritt nahelegen.
Aber: "Das bloße Distanzieren von Johnson wird nicht reichen", meint der Experte. Dass Johnson keines seiner Wahlversprechen eingelöst habe, hinge auch an der Torie-Partei fest. Damals versprach Johnson den Norden des Landes zu stärken – und natürlich, dass durch den Brexit alles besser würde. Beides ist nicht eingetreten.
Machtkonzentration bei den Tories
Bei den Tories herrschte bislang ein gewisses Machtvakuum um Boris Johnson. Dvořák sagt: "Viele Abgeordneten der Tories im Unterhaus verdanken ihre Position dem unter Johnson erreichten Wahlsieg. Er hat im Unterhaus keine geeigneten Konkurrenten." Im Vergleich mit dem Premier seien die anderen Mitglieder seiner Partei blass und zudem untereinander zerstritten.
Boris Johnson bei einer Rede im britischen Unterhaus.Bild: dpa / Jessica Taylor
Es handele sich bei den Abgeordneten der Tories primär um Menschen, die mit und durch Boris Johnson groß geworden seien – die alten konservativen Gentlemen, die die Tories einmal ausgemacht hätten, seien kaum mehr vorhanden. "Die Abgeordneten wissen zwar, welcher Klasse sie angehören, haben aber die Qualitäten der alten Gentlemen nicht bewahrt", sagt der Großbritannienexperte. Das heißt: Champagnerparties gibt es noch, nicht aber die vielen Talente, die die Tories früher einmal vereinigten.
Neuwahlen keine wirkliche Option
Dass die Briten verfrüht ein neues Parlament wählen, dürfte für die Tories keine Option sein. Bei der Kommunalwahl im Mai mussten sie nämlich massive Rückschläge einstecken und verloren Hunderte von Sitzen in Lokalparlamenten im Land. Die Wahlsieger von 2019 müssten also um den erneuten Sieg und die damit verbundene Regierung bangen. Viele Konservative dürften ihren Sitz im Parlament verlieren.
Und auch wenn es auf der anderen Seite mit der Labour-Partei keine ernstzunehmende Opposition gebe – denn auch der Oppositionsführer hat sich wohl mittlerweile mit dem Brexit abgefunden – heiße das nicht, dass die Tories stark wären, meint Dvořák.
Insgesamt bleibe nun abzuwarten, wer alles seinen Namen in den Hut werfen wird – und wie das Schauspiel um den Posten ausfällt.
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