Juan Merchan, der Richter im Schweigegeld-Prozess gegen Donald Trump, meinte es diesmal sehr ernst. Sollte der Ex-Präsident noch einmal gegen die von ihm verfügte "gag order" – ein Verbot, Zeugen und Angehörige des Gerichts zu verleumden und zu bedrohen – verstoßen, so der Richter am vergangenen Montag, dann habe er gar keine andere Wahl, als Trump ins Gefängnis werfen zu lassen.
Im schlimmsten Fall könnte die Haft 30 Tage dauern. Bisher ist der Ex-Präsident mit Geldbußen in der Höhe von ein paar tausend Dollar davongekommen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Trump erneut gegen die "gag order" verstoßen wird, ist groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass Richter Merchan seinen Worten Taten folgen lassen muss, ebenfalls. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein ehemaliger amerikanischer Präsident in den Knast wandert – und sei es nur für ein paar Tage – realistisch geworden. Die Folgen sind unabsehbar.
Denkbar ist eine Wiederholung der Krawalle vom 6. Januar 2021, ja gar, dass sich diese ausweiten zu Szenen, wie sie der Regisseur Alex Garland in seinem Film "Civil War" schildert. Dabei handelt es sich um einen Road-Trip-Movie der besonderen Art: Die USA befinden sich seit Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg, in dem unklar ist, wer gegen wen und aus welchen Motiven kämpft. Eine Gruppe von fünf Journalisten befindet sich auf dem Weg nach Washington, um den amtierenden Präsidenten zu interviewen.
Sie erleben eine apokalyptische Szene nach der andern. Menschen werden gefoltert und wahllos umgebracht. Die Brutalität ist außergewöhnlich. "Garlands Vision beschränkt sich einzig darauf, zu schildern, wie Gebäude und menschliche Körper zerstört werden", fasst der Filmkritiker der "New York Times" den Inhalt zusammen.
Trotz der wirren Handlung ist "Civil War" ein Kassenerfolg, nicht nur in den USA, auch bei uns. Regisseur Garland hat mit seinem dystopischen Werk den Zeitgeist getroffen, und zwar quer durch die politischen Gruppierungen.
Umfragen bei Kinobesuchern zeigen, dass sich Konservative und Progressive gleichermaßen angesprochen fühlen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Hass und politische Gewalt haben in den USA mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das an die Stimmung zur Mitte des 19. Jahrhunderts erinnert.
Grundsätzlich sind beide Extreme des politischen Spektrums für dieses Hassklima verantwortlich. Auch die Vertreter der Antifa sind keine Sonntagsschüler. Primär sind es jedoch die Rechtsextremen, die Gewalt säen. Richter, die Mitglieder des Mobs verurteilen, die das Kapitol gestürmt haben, werden mit Todesdrohungen eingedeckt. Trump feiert diese rechtmäßig verurteilten Chaoten als "Helden" und "Patrioten" und stellt ihnen eine Begnadigung in Aussicht, sollte er wieder gewählt werden.
Barbara Walter, Politologin an der University of California in San Diego, schildert in ihrem vor Jahresfrist erschienen Buch "How Civil Wars Start", wie und aus welchen Gründen Bürgerkriege ausbrechen. Sie kommt dabei zum Schluss, dass die USA nicht mehr weit davon entfernt sind. "Es gibt den naiven Glauben, dass wir zu gut für diese Dinge geworden sind. Wir sind es nicht", erklärt sie gegenüber der "New York Times".
Ein neuer amerikanischer Bürgerkrieg ist ein Thema, das lange vor allem die Rechtsextremen bearbeitet haben. Vom Ausgang des Vietnamkriegs enttäuschte Veteranen gründeten in den Achtziger- und Neunzigerjahren Milizen und träumten von einem gewaltsamen Umsturz.
Höhepunkt war das Attentat von Oklahoma City im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen starben. Ausgeführt wurde dieser Terrorakt von Timothy McVeigh, einem Einzeltäter, der jedoch enge Verbindungen in die rechtsextreme Szene unterhalten hatte und von deren Ideologie beeinflusst war. McVeigh wurde zum Tode verurteilt und 2007 hingerichtet.
Mit seinen Reden von "Rache" und "Vergeltung" hat Trump erreicht, dass ein Bürgerkrieg nicht mehr als Geschwätz ewiggestriger Dummköpfen abgetan werden kann. Mehrere Umfragen zeigen, dass rund die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner überzeugt sind, dass die Demokratie in ernster Gefahr ist. Die Politologin Jess Morales Rocketto erklärt daher gegenüber der "New York Times": "Die Menschen glauben, dass wir kurz vor einem Bürgerkrieg stehen. Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sie sich nicht mehr sicher fühlen."
Die Milizen des letzten Jahrhunderts hatten kaum Verbindungen ins Ausland. Die Rechtsextremisten der Gegenwart hingegen sind international vernetzt. Das zeigt die Historikerin und Journalistin Anne Applebaum in ihm jüngsten Beitrag in "The Atlantic" auf.
Die russische, die chinesische und die Propaganda von anderen autoritären Regimen werden zunehmen weltweit koordiniert. Verschwörungstheorien wie etwa die Mär von amerikanischen biochemischen Waffen-Labors in der Ukraine werden gezielt verbreitet – und für bare Münze genommen. Rund ein Viertel der Amerikaner glaubt daran, ebenso an die absurde These, die Ukraine werde von Nazis regiert.
Wladimir Putin, Xi Jinping und andere Diktatoren haben erkannt, dass Demokratie und Rechtsstaat eine existenzielle Bedrohung für ihr Regime darstellen. Daher unternehmen sie alles, um sie zu diskreditieren.
Anders als die Kommunisten zur Zeit der UdSSR stellen sie dabei der liberalen Weltordnung keine Alternative gegenüber. Vielmehr lautet ihre Botschaft heute:
Der russische Propagandasender RT und das chinesische Gegenstück China Global Television Network arbeiten nicht zur zusammen, sie beliefern mittlerweile auch ihnen wohlgesinnte Medien in Lateinamerika und Afrika. Vor allem jedoch haben sie auch bei der amerikanischen MAGA-Meute angedockt.
"Mitglieder des amerikanischen politischen Spektrums sind mehr als bloß ein passiver Empfänger der autoritären Erzählungen aus Russland und China und ihren Gesinnungsgenossen", stellt Applebaum fest. "Sie sind zu aktiven Teilnehmern geworden. Wie die Anführer dieser Länder will die MAGA-Rechte die Amerikaner davon überzeugen, dass ihre Demokratie degeneriert ist, ihre Wahlen unrechtmäßig sind und ihre Zivilisation im Sterben liegt."
Applebaum kommt daher zu einem ernüchternden Fazit: