Wenn dich einer der schlimmsten Verbrecher auf dem Planeten in den höchsten Tönen lobt, solltest du deine Prioritäten überdenken, oder?
Wladimir Putin hat diese Woche den Starlink-Chef als "herausragenden Menschen" bezeichnet. Elon Musk sei "ein aktiver, talentierter Geschäftsmann", ließ der russische Kleptokrat bei einem Auftritt in Wladiwostok verlauten.
Zu einem diametral anderen Urteil kommt die renommierte US-Historikerin, Schriftstellerin und Russland-Kennerin Anne Applebaum. Sie hält zu Musk fest:
Bekanntlich haben Putin und andere Kreml-Funktionäre der Ukraine und dem Westen wiederholt mit der nuklearen Eskalation gedroht. Die russischen Propagandisten und ihre Helfer treffen damit insbesondere bei rechten Demokratiefeinden und linken "Friedenstauben" einen Nerv.
Auch Musk soll nach geheimen Gesprächen mit russischen Diplomaten (oder gar mit Putin selbst) eine diffuse Angst vor dem Dritten Weltkrieg befallen haben. Tatsächlich lassen die neusten Äußerungen des Techmilliardärs zu dem von China bedrohten Taiwan aber vermuten, dass seine Sorgen eher egoistischer Natur sind. Das Geschäft geht vor.
Kürzlich ist die vom US-Schriftsteller Walter Isaacson verfasste Biografie über Elon Musk erschienen – und der Autor musste sie bereits korrigieren. Und zwar in einem besonders brisanten Punkt: Im Buch heißt es, Musk habe seinen Satelliten-Kommunikations-Dienst Starlink auf russisch-besetztem Gebiet ausschalten lassen, um einen ukrainischen Angriff auf die Schwarzmeerflotte Putins zu verunmöglichen.
Dies stimme nicht, protestierte Musk umgehend, nachdem die "Washington Post" einen Auszug aus der Biografie vorab veröffentlicht und damit einen weltweiten Shitstorm gegen ihn ausgelöst hatte. Und tatsächlich krebste kurz darauf der Verfasser selbst zurück. Es habe zwar eine dringende Anfrage von ukrainischen Regierungsbehörden gegeben, die Starlink-Netzabdeckung bis nach Sewastopol zu aktivieren. Also auf die von Russland besetzte ukrainische Halbinsel Krim.
Musk habe sich aber dagegen entschieden, weil er laut Isaacson "wahrscheinlich zu Recht dachte, dass dies einen großen Krieg auslösen würde". Da war sie wieder, die diffuse Angst vor Putins Atombombe und einem Weltkrieg.
Nach dieser Darstellung und den derzeit verfügbaren Informationen hat Musk den ukrainischen Raketenangriff also nicht aktiv gestoppt, sondern durch Unterlassung verhindert. An den tragischen Folgen – nämlich der Fortsetzung des russischen Raketenterrors gegen die ukrainische Zivilbevölkerung – änderte das nichts. Zumindest vorläufig nicht.
Das russische Eskalations-Narrativ, das seit der Invasion im Februar 2022 kursiert, wurde schon wiederholt entkräftet. Zuletzt am Dienstag dieser Woche. Da gab es einen erfolgreichen Raketenangriff der ukrainischen Streitkräfte auf einen russischen Marine-Stützpunkt auf der Krim.
Anne Applebaum brachte es auf X, ehemals Twitter, auf den Punkt:
Was nach dem Raketenangriff und den brennenden russischen Militäranlagen ausblieb, waren Anzeichen für eine massive, militärische Eskalation seitens Putin.
Als Putin im Oktober 2022 die formelle Annexion von Teilen der Ostukraine erklärt hatte, deutete er an, dass ein Angriff auf das völkerrechtswidrig angeeignete Territorium als Angriff auf Russland behandelt würde. Dies war so zu verstehen, dass der Kreml mit einem Atomschlag reagieren könnte.
Da war sie wieder, die diffuse Angst. Und damit zurück auf den Boden der Tatsachen ...
Tatsächlich sei es seit dem von Isaacson beschriebenen Vorfall in Sewastopol zu mehreren Angriffen auf russische Militärschiffe gekommen, rufen Beobachter in Erinnerung. Darunter ein Angriff mit Seedrohnen im Oktober 2022, der ebenfalls keine massive, russische Reaktion hervorrief.
Die Ukraine habe das Territorium weiterhin angegriffen und sogar einen Teil davon von Russland zurückerobert, ohne die von Putin angedrohte, nukleare Reaktion auszulösen, hält "Business Insider" in einem aktuellen Bericht fest. Selbst ukrainische Angriffe auf russisches Staatsgebiet hätten keine massive Eskalation ausgelöst.
Für Kritiker gehört Musk deshalb zu den erfolgreichsten Zielen russischer Propaganda und Panikmache. Nicholas Grossman, Professor für internationale Beziehungen an der University of Illinois, konstatierte via X:
In den letzten Tagen hat sich Musk erneut zu Starlink im Ukraine-Krieg geäußert, aber damit nicht zu einer Klärung der offenen Fragen beigetragen. Vielmehr dürften seine widersprüchlichen Angaben jene kritische Stimmen bestärken, die eine offizielle US-Untersuchung fordern.
Musk versuchte nun, der Biden-Regierung die Schuld am Starlink-Debakel in die Schuhe zu schieben. Die US-Sanktionen gegen Russland hätten dazu geführt, dass die Satellitenverbindungen in der Nähe der Krim nicht ohne Erlaubnis des US-Präsidenten für eine ukrainische Militäroperation eingeschaltet werden durften, erklärte er auf dem "All-In Summit" diese Woche in Los Angeles.
Und dann sorgte der Starlink-Chef mit Pro-China-Äußerungen für neue Irritationen. Während der im Internet übertragenen Talkrunde behauptete er, Taiwan sei "ein integraler Bestandteil Chinas". Der amerikanische Techmilliardär unterstützte also ein Narrativ, das allein Peking nützt.
Taiwan stehe "nicht zum Verkauf", erwiderte der Außenminister des Inselstaates, Joseph Wu, in der Nacht auf Donnerstag in einem X-Posting. Und er erinnerte Musk daran, dass Chinas Regierung X blockieren lasse, wie auch andere große westliche Social-Media-Plattformen und Medien.
Vielleicht halte Musk das X-Verbot für eine gute Politik, so wie das Abschalten von Starlink, um den Gegenschlag der Ukraine gegen Russland zu vereiteln, spottete Wu.
Dies sei nicht das erste Mal, dass Musk Taiwan verärgert habe, hält die Nachrichtenagentur Reuters fest und erinnert daran, dass der amerikanische Unternehmer eine große Tesla-Fabrik in Shanghai betreibt. Im vergangenen Oktober habe Musk angedeutet, dass die Spannungen zwischen China und Taiwan gelöst werden könnten, indem Taiwan den Chinesen eine gewisse Kontrolle über die Insel einräume.
Und wir erinnern uns an Musks "Schwurbeleien", wonach die Ukraine ja die von russischen Truppen besetzte ukrainische Halbinsel Krim abtreten könnte. Ein aus ukrainischer Sicht absurder Vorschlag: Warum sollte man ausgerechnet dem Nachbarn, der die Zivilbevölkerung terrorisiert, Kinder verschleppen lässt und mit der Vernichtung droht, einen Teil des eigenen Staatsgebietes abtreten?
Zudem hätte dies gefährlichen Präzedenzcharakter für die ganze Welt: Denn damit würde an alle Despoten die Botschaft gesendet, dass sich militärische Überfälle und Landraub eben doch lohnen.
Und damit zurück in die Ukraine...
Die ukrainische Tageszeitung "The Kyiv Independent" veröffentlichte diese Woche einen aufschlussreichen Artikel zum "tödlichen Drohnen-Wettrüsten" mit Russland.
Darin heißt es:
Dann werden in der lesenswerten Reportage warnende Töne angeschlagen: Das ukrainische Militär und die staatliche Verteidigungsindustrie täten nicht genug, um die heimische Drohnen-Industrie zu unterstützen.
Das alarmierende Fazit basiert auch auf Gesprächen, die die Journalisten an der Front führten. Sie haben aber auch mit führenden ukrainischen Herstellern geredet.
Die Verantwortung für den ukrainischen Erfolg im Drohnen-Krieg liege weitgehend bei Freiwilligen und Privatunternehmen, konstatiert der Bericht. Allerdings hätten die Akteure einen harten Kampf vor sich, "um mit Russlands zentralisierter Militärmaschinerie mithalten zu können".
Unabhängig vom ukrainischen Verteidigungsministerium würden die Drohnen privater Hersteller direkt von den kämpfenden Einheiten an der Front gekauft, heißt es. Dies werde durch freiwillige Spendenaktionen ermöglicht. Speziell erwähnt wird die Adam Tactical Group, eine ukrainische Spezialeinheit, die den Einsatz kostengünstiger Quadrocopter als improvisierte Präzisionsschlagwaffen vorantreibe.
Die weitreichende Rolle unbemannter Luftfahrzeuge (UAVs) auf beiden Seiten des russischen Krieges gegen die Ukraine reiche von der einfachen Aufklärung bis hin zu Langstreckenangriffen tief in den Rücken des Feindes.
Die Journalisten haben mit einem 52-jährigen Drohnentechniker der Adam Group namens Vitalii gesprochen. Und dieser Experte für das neuartige Kriegsgerät findet deutliche Worte: Es sei China, das ihn am meisten beunruhige.
Der chinesische Hersteller DJI – der nicht nur den weltweiten zivilen Drohnenmarkt dominiere, sondern auch die im Krieg am häufigsten eingesetzten Fluggeräte herstelle – gebe zwar an, den Verkauf sowohl in die Ukraine als auch nach Russland eingestellt zu haben. Dennoch habe eine Untersuchung von Politico im Juli ergeben, dass Drohnen im Wert von über 100 Millionen Dollar bereits direkt von China nach Russland geflogen wurden, ein Großteil davon über private Unternehmen, die mit beiden Staaten verbunden waren.
Mehr noch als wegen des Hardware-Ungleichgewichts befürchte Vitalii, dass Peking bald die riesige Flotte von DJI-Drohnen der Ukraine deaktivieren könnte, indem es die für ihren Betrieb erforderlichen Konten sperre.