Seitdem öffentlich ist, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Einbürgerung vereinfachen möchte, kocht die Debatte um Geflüchtete wieder hoch. Gleichzeitig wächst die Zahl der Menschen, die den gefährlichen Weg über die Balkanroute oder das Mittelmeer Richtung Europa antreten, wieder stark an.
Mit der Einwanderung wächst der Unmut in der Bevölkerung. Gerade beim gemütlichen Beisammensein in der Weihnachtszeit mit der Familie kann das zu Diskussionen führen. Noch immer schwirren wüste Mythen über Geflüchtete in Deutschland umher. Und manchmal weiß man einfach nicht, wie man darauf reagieren soll.
Watson hat diese Mythen einem Faktencheck unterzogen. So könnt ihr diesen beim Weihnachtsfest mit Fakten begegnen.
Bis Ende 2021 waren laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) weltweit über 89 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon leben nur knapp acht Prozent in Europa.
Die meisten Menschen flüchten innerhalb ihrer Heimatländer oder suchen in afrikanischen oder asiatischen Ländern Schutz. Mehr als 53 Millionen Menschen befanden sich Ende 2021 auf der Flucht in ihren eigenen Heimatländern. Und von jenen, die ihre Heimatländer verließen, flohen 72 Prozent ins unmittelbare Nachbarland.
Übrigens: Das Land, das die meisten Geflüchteten aufnimmt, ist die Türkei. Ende 2021 waren das 3,8 Millionen Menschen. Deutschland liegt im internationalen Vergleich auf Platz 5 der Aufnahmeländer, allerdings nur, was die absoluten Zahlen angeht. Wenn man die Zahl der Geflüchteten mit der Einwohnerzahl in Relation setzt, zeichnet sich ein ganz anderes Bild ab.
Im Libanon ist heute jede:r achte Einwohner:in ein:e Geflüchtete:r. Deutschland müsste etwa zehn Millionen Menschen aufnehmen, um ein solches Verhältnis zu erreichen.
Tatsächlich besitzen die meisten Geflüchteten Smartphones – und ja, hin und wieder tragen Menschen auf der Flucht auch Markenkleidung. Dass sie deswegen nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen können, ist allerdings sehr weit hergeholt.
In den meisten Herkunftsländern gelten Smartphones nicht als Luxusobjekt, sondern sind oft das einzige elektronische Gerät, das eine Person besitzt. Der Grund ist schon in den frühen 2010er Jahren zu suchen: Während des Arabischen Frühlings konnten sich die Menschen so vor Militärattacken warnen und sich zu Demonstrationen verabreden.
Gleichzeitig ist das Handy die einzige Fluchthilfe (Karten) und letzte Kontaktmöglichkeit zur Familie. Auch deshalb ist es oft sehr traumatisierend für Menschen auf der Flucht, wenn ihre Handys von Grenzbeamt:innen zerstört werden – wie es beispielsweise in Polen passiert.
Und was die Kleidung angeht: Erstens sind nicht alle Menschen auf der Flucht arm. Fluchtursachen sind in den allermeisten Fällen Krieg und/oder politische Verfolgung. Und gleichzeitig bedeutet Markenkleidung nicht, dass sich Menschen diese irgendwann als Statussymbol gekauft haben. Auch auf gespendeter Kleidung können Markennamen wie Adidas, Nike und Co. stehen.
Abgesehen davon, dass diese Begriffe menschenverachtend sind, ist diese Behauptung schlicht falsch. 2021 kamen laut UNHCR 69 Prozent aller Geflüchteter aus nur fünf Ländern: Syrien, Venezuela, Afghanistan, dem Südsudan und Myanmar. Länder, in denen Kriege toben, Terrororganisationen oder Warlords die Bevölkerung tyrannisieren oder ethnische Minderheiten systematisch verfolgt, gefoltert und/oder ermordet werden. Auch politische Verfolgung ist ein Grund zur Flucht.
Niemand begibt sich leichtsinnig auf die gefährliche Reise, etwa nach Europa. Zu viele Menschen sterben auf dem Weg oder werden etwa in libyschen Zwangslagern vergewaltigt und misshandelt. Weil man "die Hand aufhalten will", geht man diese Risiken nicht ein. Selbst Regierungsmitglieder wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) verbreiten diesen Mythos.
Um diese Reise anzutreten, muss also entweder das eigene Leben oder das Leben der Familie in Gefahr sein.
Auch diese Behauptung ist falsch.
Zurzeit beträgt der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende noch 449 Euro. 2023 löst das Bürgergeld Hartz IV ab und damit steigt auch der Regelsatz auf 502 Euro. Alleinstehende Asylsuchende bekommen derzeit höchstens 367 Euro vom Staat. Anerkannte Geflüchtete haben in Deutschland die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen wie Deutsche.
Zuallererst: Der Schutz von Menschenleben und die Wahrung der Menschenwürde – damit auch der Geflüchtetenschutz – dürfen keine Kosten-Nutzen-Frage sein. Tatsächlich ist der Schutz von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, vertragliche Verpflichtung – gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention. Zudem hat jeder Mensch ein Grundrecht auf Asyl.
Menschen, die seit 2015 in Deutschland Schutz suchen, sind nicht selten deutlich besser gebildet als die Gesamtbevölkerung ihrer Herkunftsländer. 17 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss, 35 Prozent haben eine weiterführende Schule abgeschlossen.
Dann gibt es aber auch die andere Seite: Ein Viertel hat keinen Schulabschluss.
Das heißt aber nicht, dass Menschen deshalb nicht arbeiten oder im Land integriert sind. Laut UNHCR gingen 2020 etwa ein Drittel der Geflüchteten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Beschäftigung ist meist ein guter Katalysator und Indikator für Integration.
Das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland gibt es einen eklatanten Fachkräftemangel. Deutschland braucht Zuwanderung.
Denn die deutsche Bevölkerung schrumpft und schrumpft. Etwa im Jahr 2030 werden jährlich rund doppelt so viele Beschäftigte in Rente gehen, wie Berufseinsteiger:innen nachrücken. Dann könnten uns rund sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen. Laut dem Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung wird die deutsche Bevölkerung mithilfe von Zuwanderung noch bis 2024 leicht anwachsen, danach, so heißt es in der Analyse des Instituts, dürfte sich der Trend langsam umkehren. Heißt: Es sterben mehr alte Menschen, als dass junge Menschen geboren werden oder einwandern.
Die Lücke, laut Berlin Institut: Mehr als 420.000.
Auf Demonstrationen gegen Einwanderung ist immer wieder zu hören, dass sich Menschen nicht mehr raustrauen. "Wir haben Angst um unsere Mädchen", wird auch oft gerufen. Tatsächlich ist es so: 2021 wurden in Deutschland 1.892.003 Tatverdächtige erfasst. Der Anteil der Zuwander:innen ist dabei auch recht hoch: Zwölf Prozent. Doch allein an dieser Zahl kann man die Aussage "Geflüchtete sind kriminell" nicht festmachen.
Denn: Etwa die Hälfte der Verstöße dieser Tatverdächtigen liegt im Bereich der ausländerrechtlichen Verstöße. Also etwa illegale Einreise oder Aufenthalt.
Rund sieben Prozent sind wegen anderer Straftaten verdächtigt. Und auch diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Ob jemand straffällig wird, hängt dann weniger von der nationalen Herkunft und Kultur ab als viele denken – sondern eher vom Geschlecht, der (Un)Sicherheit in der Bleibeperspektive oder auch dem Anzeigeverhalten der Geschädigten. Straftaten werden, laut UNHCR, aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens doppelt so häufig zur Anzeige gebracht, wenn sie von Menschen begangen werden, die als fremd wahrgenommen werden.
2021 ist im Übrigen die Kriminalität gesunken – gleichzeitig sind auch immer seltener Zuwander:innen unter den Tatverdächtigen – und das obwohl seit 2021 wieder mehr Menschen nach Deutschland kommen.
Und was das Thema sexuelle Übergriffe angeht: Die meisten Vergewaltigungen finden im Bekannten- und Familienkreis statt.