Mit dem Nahostkrieg ist ein weiterer großer Brandherd in der Welt entflammt. Während die USA und ihre Verbündeten Israel zur Hilfe eilen, lehnt sich wohl einer im Kreml in seinem Chefsessel zurück und beobachtet das Chaos mit einem Lächeln. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin kommt der brutale Ausbruch dieses tief sitzenden Konflikts wie gerufen.
Denn die Ukraine teilt nun die Schlagzeilen mit Israel, auch die internationale Unterstützung. Doch es geht noch weiter: Der Kreml-Chef weiß offenbar den Nahostkonflikt auch zu seinen Gunsten in Afrika zu nutzen. Denn Russland macht laut Sahel-Experte Ulf Laessing ordentlich Stimmung gegen Frankreich und den Westen – mithilfe der brutalen Kämpfe zwischen Israel und der Hamas.
Seit dem Ausbruch des jüngsten Konflikts zwischen Israel und der Hamas versuchen pro-russische Influencer:innen in Afrika anti-westliche Stimmung zu machen, sagt Laessing auf watson-Anfrage. Er ist Leiter des Regionalprogramm Sahel für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Laut ihm behaupten die Influencer:innen, dass der Westen angeblich einseitig Israel unterstütze und keine Sympathien für Palästinenser:innen zeige.
"So wurde beispielsweise Frankreichs Entscheidung, pro-palästinensische Proteste zu verbieten, in Tweets auf Französisch und Englisch als 'islamophob' und rassistisch bezeichnet", führt er aus. Andere Posts wie etwa von dem Influencer Kémi Séba gingen noch weiter: Séba erklärte seine Unterstützung für die Hamas und Hisbollah und posierte auf einem Foto mit dem Hisbollah-Vertreter Sayed Ammar Al-Moussawi. Seine Begründung lautet: Die "Kolonisierten" seien keine Terroristen.
Der Beniner mit französischem Pass, Kémi Séba, gehört der Bewegung Panafrikanismus an. Diese vertritt die Überzeugung, dass Menschen afrikanischer Abstammung gemeinsame Interessen haben und sich zusammenschließen sollten. Séba gilt als eine bekannte Figur des antikolonialen Widerstands im frankophonen Afrika.
Laut Laessing geben die pro-russischen Influencer:innen die "großen Themen" vor und Aktivist:innen vor Ort kopieren diese dann weiter. Damit ergebe sich schnell ein Schneeballeffekt. Der Informationskrieg ist in vollem Gange.
Die beiden wichtigsten pro-russischen Influencer:innen auf Social Media für Afrika seien Nathalie Yamb, eine Schweizer-Kamerunerin, und eben Kémi Séba. "Beide dementieren, für Russland zu arbeiten. Sie nennen sich offiziell Pan-Afrikanisten, die für ein Afrika ohne koloniale Bevormundung kämpfen", sagt der Sahel-Experte. In der Realität lasse sich aber eine Beziehung zu Russland nachweisen.
Er führt aus:
Zudem preisen sie laut Laessing auch offen Russland als vermeintlich glaubwürdige Alternative zu dem "neokolonialem Westen" an. Beide seien mehrfach in Russland bei staatlichen Events aufgetreten, wie dem Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi. Für Laessing gebe es demnach keine Zweifel, dass sie von Russland unterstützt werden.
Und sie nutzen jetzt die Gunst der Stunde. Denn: Laut Laessing gibt es viel Sympathie für Palästinenser:innen in den überwiegend moslemisch dominierten Sahelstaaten.
Das wird häufig mit "moslemischer Solidarität" begründet, meint Laessing. Dahinter stecke auch zum Teil Antisemitismus wie in arabischen Ländern. Zudem haben Sahelstaaten – von Tschad und Burkina Faso abgesehen – auch kaum Beziehungen zu Israel. Laessing zufolge sind die Kenntnisse vom Nahostkonflikt in diesen Ländern eher rudimentär und von Vorurteilen geprägt.
Als am 7. Oktober Hamas-Terroristen brutal in die Häuser von Israelis eindrangen und ein Blutbad anrichteten, weckte das keine große Reaktion in der Region, meint Laessing. Er zweifelt, dass sich viele Menschen im Sahel dafür interessieren. Der Nahostkonflikt sei weit weg und wird durch die "moslemische" Brille gesehen.
Offenbar eine große Chance für Putin, seine Macht in der Region weiter zu festigen und auszubauen.
Laessing zufolge hat Russland bereits Mali, Burkina Faso und die Zentralafrikanische Regierung auf seine Seite gezogen. Jetzt sei Moskau dabei, mithilfe seiner Verbündeten Mali und Burkina Faso um die Putschisten in Niger zu werben, sagt er. Der russische Botschafter habe die Junta-Führung in Niger bereits getroffen und dem Vernehmen nach Stipendien für Russland-Studienaufenthalte und militärische Unterstützung angeboten.
"Russland nutzt ein weitverbreitetes anti-französisches Sentiment aus, um sich als neuer, vermeintlich verlässlicherer Partner als der Westen anzubieten", meint der Experte. Europa und Deutschland haben bisher noch keine Strategie gefunden, um Russlands häufig falsches Spiel zu enttarnen. Denn: Außer Militärhilfe und Desinformationskampagnen habe Russland wenig zu bieten.
"Russische Vertreter haben damit Erfolg, dass sie häufig die richtigen Worte finden, um mit afrikanischen Gesprächspartnern Kontakte zu knüpfen. Dabei helfen die Desinformationskampagnen, die auf den Vorteilen gegenüber Frankreich und dem Westen aufbauen", sagt Laessing. Sollte Russland Niger auf seine Seite ziehen, hätte dies fatale Folgen für Europa.
Moskau könnte auf Niger Druck ausüben, um die durch das Sahelland laufende Migrationsroute zum Mittelmeer zu öffnen, warnt der Experte. Die Vorgängerregierungen hatte die Transitroute für Migrant:innen aus Afrika nach Libyen auf Druck der EU geschlossen.