Sahra Wagenknecht ist der Puma-Panzer der deutschen Politik – das sagt zumindest der Politikwissenschaftler Michael Koß gegenüber watson mit Blick auf die Frau, die ihre eigene Partei aktuell in Atem hält. Wagenknecht habe einen einschüchternden Vorführeffekt, aber in echten Auseinandersetzungen falle sie verlässlich irgendwann aus und die Instandsetzung dauere ewig.
Seit Jahren lebt Wagenknecht im Clinch mit Teilen ihrer Partei. In ihrem Buch "Die Selbstgerechten" hatte die LinkenPolitikerin 2021 mit der gesamten Linken Bubble abgerechnet. Der Vorwurf: Identitätspolitik schlägt im linken Milieu den Arbeitskampf. Ihre Partei fühlte sich in weiten Teilen dadurch pikiert. Auch nach dem Buch ging die augenscheinliche Entfremdung von Wagenknecht und weiten Teilen der Linken weiter.
So weit, dass die Linkenspitze Sahra Wagenknecht loswerden will.
Die beiden Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan wollen, dass Wagenknecht ihr Bundestagsmandat zurückgibt. Und zwar, weil Wagenknecht öffentlich darüber nachdenkt, eine eigene Partei zu gründen – und so die Spekulationen über eine Spaltung der Linken immer weiter anfeuert.
Würde Wagenknecht das tun und ihr Mandat behalten – und womöglich noch die:den ein:e oder andere:n Genossen mitnehmen –, könnte die Linkspartei ihren Fraktionsstatus verlieren. Und damit auch Geld aus der Fraktionsfinanzierung und viele Möglichkeiten im Parlament – zum Beispiel das Recht, Anträge zu stellen.
"Ich werde leidenschaftlich dagegen kämpfen, dass es ehemaligen Linken gelingt, uns auszuschalten", erklärt Gregor Gysi mit Blick auf das Kuddelmuddel um Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht. So drückt er es gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland aus. Mit "ehemalige Linken" meint er unter anderem Wagenknecht.
Und mit "uns ausschalten"? Damit spielt Gysi auf die Spekulationen an, Wagenknecht könnte Teile ihrer Anhänger:innen innerhalb der Linken direkt in zur möglichen neuen Partei mitnehmen. Aber wäre eine Wagenknecht-Partei der Sargnagel für die Linke?
Die Linke, meint Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin, sollte sich um sich selbst kümmern. Die Herausforderung für die Partei, sei zu zeigen, wofür sie steht – und mit diesen Positionen zu überzeugen. Einer Wagenknecht-Partei wiederum räumt der Politikwissenschaftler keine großen Chancen ein. Er glaubt nicht einmal daran, dass die Politikerin Ernst machen wird.
Neugebauer sagt, durch die kommende Wahlrechtsreform hätte eine neue Wagenknecht-Partei kaum eine Möglichkeit ins Parlament einzuziehen. Denn mit der Reform soll die Grundmandatsklausel wegfallen. Das bedeutet: Scheitert eine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde, zieht sie unter keinen Umständen ins Parlament ein.
Der einzige Grund, weshalb Wagenknecht sich trotzdem entscheiden könnte, eine eigene Partei zu gründen, sei der Plan, eine Massenbewegung zu schaffen. Mit "Aufstehen" habe die Politikerin aber bereits gezeigt, dass sie dazu nicht in der Lage ist.
Der Politikwissenschaftler Michael Koß von der Leuphana Universität in Lüneburg geht noch einen Schritt weiter: "Letztlich ist der Teich für Sahra Wagenknecht schon ziemlich leergefischt". Denn die AfD bediene ähnliche Positionen.
Aus diesem Grund läge in einer Wagenknecht-Partei auch keine Chance, den Rechtsruck, den Umfragen aktuell prognostizieren, zu bremsen. "Ist es kein Rechtsruck mehr, wenn man Angst vor Migration von links schürt?", fragt Koß.
Damit meint er, dass auch Wagenknecht mit ihrer Politik fremdenfeindliche Ressentiments bedient – auch wenn ihre politischen Ziele noch immer im linken Spektrum zu verorten sind.
Der Parteienforscher Benjamin Höhne widerspricht in diesem Punkt. Auch er gesteht der AfD zwar genug Flexibilität zu, auch soziale Themen stärker zu betonen – eine Wagenknecht-Partei könnte aber "soziale Gerechtigkeit und autoritäre Politikvorstellungen miteinander verbinden".
Gleichzeitig könnte die Linke ein Problem bekommen: Denn sollte es zur Gründung einer Partei kommen, müssten sich die Anhänger:innen Wagenknechts positionieren. Höhne sagt:
Aktuell, meint der Parteienforscher, stehe die Linke an einem kritischen Punkt, die Überlebenschance sei schwer zu beziffern. Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder findet noch deutlichere Worte: Sollte Wagenknecht eine Partei gründen – wovon er nicht ausgeht – wäre das der "Todesstoß" für die Linkspartei.
Denn Wagenknecht, meint Schroeder, würde mit der Gründung mindestens ein Drittel der aktuellen Wählerschaft der Linken mitnehmen – während die Partei kaum Wähler:innen von anderen Parteien locken kann. Auf der anderen Seite könnten aber auch Wähler:innen aus dem Linken-Spektrum wieder abwandern, sollte eine potenzielle Wagenknecht-Partei sich nicht von den Anhänger:innen der AfD abgrenzen – oder gar Politik für diese machen.
Der promovierte Politikwissenschaftler und Autor Robert Lorenz sieht nicht zwingend einen Untergang der Linken. Er meint, durch diesen Cut könnten neue Kräfte freigesetzt werden. Die Linke müsste an dieser möglichen Neugründung nicht zerbrechen – sondern könnte stattdessen weniger zerstritten wirken.
Die Linke könnte also auch davon profitieren, sich von ihrer Querulantin zu trennen. Denn auch heute ist die Linke in manchen Bundesländern stark – und das ohne Wagenknecht. Ein Beispiel dafür: Bremen.
Politikwissenschaftler Michael Koß sagt:
Die Linken müssen also ackern, um erfolgreich zu sein. Und sie müssen aufhören, sich selbst zu zerfleischen. Die Partei kann es sich außerdem nicht länger leisten, meint der Politikwissenschaftler Schroeder, sich "am Nasenring durch die Manege zerren zu lassen." Und genau das mache Wagenknecht, indem sie immer wieder öffentlich die Partei und ihre Legitimation infrage stelle.
Im Grunde sehe es momentan für beide Seiten schlecht aus, meint Schroeder. "Sowohl für die Linkspartei als auch für Frau Wagenknecht." Womöglich also wäre ein lauter Knall genau das, was die Partei nun brauchen könnte.