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Zentralasien rüstet auf, aber nicht nur mit Russland-Waffen: Was dahintersteckt

In Zentralasien investieren die Länder immer mehr ins Militär.
In Zentralasien investieren die Länder immer mehr ins Militär.bild / Getty/ArroyanArt; Imago images/Pond5
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Zentralasien rüstet auf, aber nicht nur mit Russland-Waffen: Was dahintersteckt

31.07.2024, 19:2131.07.2024, 19:42
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Gefühlt steht die halbe Welt gerade in Flammen. Kein Land, das nicht durch eine Krise, einen Krieg oder die Folgen der Klimakatastrophe betroffen ist.

Vor der Haustür Europas führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine; seit dem brutalen Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel, eskaliert der Nahost-Krieg; in den USA will ein verurteilter Straftäter zurück ins Weiße Haus; weltweit geschehen Putsche, Proteste und die Inflation treibt die Preise in die Höhe, während rechtsradikale Populist:innen an Sympathie gewinnen.

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Seit mehr als zwei Jahren wehrt sich die Ukraine gegen die russische Invasion.Bild: imago images / Vyacheslav Madiyevskyy

In Zeiten, in denen Jahrhundertereignisse, spitz gesagt, alle drei Wochen geschehen und die Weltordnung aus den Fugen gerät, rückt der Sicherheitsgedanke in den Vordergrund. Die weltweiten Militärausgaben erreichten 2023 einen Höchststand, zeigt der Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri.

Die Welt ist im Umbruch – und das geht auch nicht an einer Region vorbei, die oft aus dem Blickfeld gerät: Zentralasien. Dort steigen die Ausgaben für Waffen sprunghaft an, was einige Expert:innen mit Sorgen verfolgen.

Grenzspannungen und Angst vor regionalen Konflikten in Zentralasien

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind die zentralasiatischen Staaten bis heute eng mit Russland verflochten. Die Länder teilen das sowjetische Erbe, die Sicherheitskooperation, den autoritären Regierungsstil und die Furcht vor "Aufständen der Bevölkerung gegen die Regime". Der russische Präsident Wladimir Putin hegt enge Beziehungen zu den Staaten Zentralasiens.

Dazu gehören Turkmenistan, Kirgisistan, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan – Länder, die in den vergangenen Jahren aufrüsten angesichts von Grenzspannungen und der Angst vor regionalen Konflikten. Davor warnt ein Bericht von "Voice of America" (VOA), dem offiziellen staatlichen Auslandssender der USA.

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Die russische Invasion der Ukraine geht nicht spurlos an der Region vorbei. Kasachstan geht seither auf Distanz zum Kreml, unterstützt die ukrainische Bevölkerung vor Ort mit sogenannten "Jurten der Unbesiegbarkeit". Putins Propagandist:innen senden verbale Drohungen an das kasachische Volk, das sich der Gefahr bewusst ist: "Wir könnten die nächsten sein."

Aber auch andere Konflikte im postsowjetischen Raum seien Gründe zur Aufrüstung der Streitkräfte in Zentralasien; etwa die Spannung zwischen Armenien und Aserbaidschan, der Grenzkonflikt zwischen Kirgisistan und Tadschikistan sowie die Instabilität des Nachbarlandes Afghanistan seit der Taliban-Machtübernahme.

Es rumort in der Region. Gleichzeitig investieren die zentralasiatischen Länder zunehmend ins Militär. Mehr als drei Jahrzehnte lang war laut VOA Russland der wichtigste Waffenlieferant, nun steigen auch andere Länder wie die Türkei, China und die USA in den Markt ein.

Zentralasien: Ausgaben für die Verteidigung steigen sprunghaft an

Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts beliefen sich die Militärausgaben Kasachstans, Kirgisistans und Tadschikistans 2023 auf 1,8 Milliarden Dollar.

Die Militärausgaben Kasachstans sind laut VOA im Vergleich zum Vorjahr um 8,8 Prozent gestiegen. Usbekistan, das seinen Militärhaushalt nicht offenlegt, habe Berichten zufolge im vergangenen Jahr zusätzliche 260 Millionen Dollar für sein Verteidigungsbudget bereitgestellt.

KAZAN, RUSSIA - NOVEMBER 8, 2021: Servicemen of the Armed Forces of Kazakhstan attend the opening of the Unbreakable Brotherhood 2021 military drills held by the CSTO Peacekeeping Forces at a training ...
Kasachstan erhöht seine Ausgaben für das Militär.Bild: imago images / Yegor Aleyev

Präsident Schawkat Mirzijojew habe angekündigt, dass Usbekistan bis 2030 über eine modernisierte Armee mit High-Tech-Waffen verfügen werde. In Turkmenistan weise Präsident Serdar Berdimuhamedow das Verteidigungsministerium an, die militärische Bereitschaft zu erhöhen.

Svenja Petersen, Expertin für die ehemalige Sowjetunion, sagt gegenüber VOA, dass das Wettrüsten zwischen Kirgisistan und Tadschikistan besonders besorgniserregend sei.

Grenzstreit zwischen Kirgisistan und Tadschikistan besorgt Expertin

"Während die kirgisischen und tadschikischen Führer über die Notwendigkeit gesprochen haben, Frieden und Sicherheit entlang der Grenze zu fördern, haben sich beide Länder auf neue Kämpfe eingestellt", führt Petersen aus.

In einem Kommentar von Vecherni Bischkek, einer regierungsfreundlichen kirgisischen Nachrichtenwebsite, heißt es Anfang 2023 laut VOA: "Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges ist zwar gering, aber Konfrontationen [zwischen den Streitkräften der Region] sind unvermeidlich."

Die Aufrüstung sei zum Teil auch eine Frage des Prestiges, zitiert VOA den zentralasiatischen Experten Peter Leonard. Er führt aus:

"Autoritäre Führer stellen gern glänzende und teure Waffen zur Schau. Wir sehen das in Turkmenistan, wo Beamte bei jährlichen Militärparaden ihre neuen Waffen und Fahrzeuge aus China, Europa und anderen Ländern zur Schau stellen. Wir sehen diesen Trend in ganz Zentralasien."
Bishkek, Kyrgyzstan - May 9, 2022: Kyrgyzstan army forces marching during a military parade on Victory Day xkwx army, kyrgyzstan, marching, military, parade, victory day, uniform, war, soldier, camouf ...
Militärparaden sind in Zentralasien beliebt, wie hier in Kirgisistan am Tag des Sieges am 9. Mai 2023.Bild: imago images / Pond5

Man wolle nicht mehr als "schwaches Land" wahrgenommen werden, sondern militärische Stärke zeigen und sich als "furchterregender Gegner" präsentieren. Leonard sagt, dass die Militarisierung die politische Stabilität der zentralasiatischen Staaten aber wohl nicht stärken werde.

Von einer Flut an Waffen in die Region würde Zentralasien-Experte Edward Lemon dennoch nicht sprechen. Die Länder seien bestrebt, auch andere Waffenlieferanten zu erschließen neben Russland, führt der Experte von der "Oxus Society for Central Asian Affairs" auf watson-Anfrage aus.

Die Militärausgaben sind laut Lemon aus mehreren Gründen in Zentralasien angestiegen:

  • Die Länder erhöhen ihre Ausgaben, da die Ausrüstung aus der Sowjetzeit veraltet ist und man die Verteidigungskapazitäten modernisieren will.
  • Externe Sicherheitsfragen, wie der Rückzug aus Afghanistan und die russische Invasion in der Ukraine, tragen ebenfalls zur Modernisierung des Militärs bei.
  • Die Spannungen zwischen Tadschikistan und Kirgisistan wegen der Grenze, die in den vergangenen Jahren zweimal zu Konflikten führten, haben die beiden Länder zum Kauf von Drohnen veranlasst.

Was man aber auch sehen sollte: "Insgesamt hat die Zusammenarbeit innerhalb der Region in den vergangenen Jahren zugenommen", sagt Lemon. Dazu gehören ein neuer Verteidigungspakt zwischen Usbekistan und Kasachstan sowie gemeinsame Militärübungen, an denen mehrere zentralasiatische Streitkräfte beteiligt sind.

Während andere Expert:innen betonen, dass das Wettrüsten zwischen Kirgisistan und Tadschikistan zu einem militärischen Konflikt führen könnte, ist Lemon weniger alarmiert: "Es findet nicht wirklich ein Wettrüsten statt."

Autoritäre Regierungsführung und Korruption bedrohen Stabilität

Leonard führt laut VOA aus: "Paradoxerweise hat die Verstärkung der Streitkräfte in diesen Ländern die Spannungen nicht verschärft, sondern zu einem anderen Ergebnis geführt, nämlich zu einem viel herzlicheren und praktischeren Dialog über den Grenzverlauf."

Insgesamt sei die Gefahr eines zwischenstaatlichen Konflikts in Zentralasien weiterhin gering, sagt Lemon. "Kirgisistan und Tadschikistan sind die einzigen beiden Länder, die gegeneinander gekämpft haben, und sie machen nun Fortschritte bei den Grenzverhandlungen."

Im Allgemeinen haben sich die Beziehungen zwischen den Staaten verbessert, seit Schawkat Mirzijojew 2016 in Usbekistan an die Macht kam, meint Lemon. "Die größere Bedrohung für die Stabilität geht von den zentralasiatischen Republiken aus, wo autoritäre Regierungsführung, Korruption und ethnische Diskriminierung zu Missständen geführt haben, die gelegentlich in Gewalt mündeten."

ALMATY, KAZAKHSTAN - JANUARY 5, 2022: People rally outside the burning mayors office. Protests are spreading across Kazakhstan over the rising fuel prices protesters broke into the Almaty mayors offic ...
Anfang 2022 kam es tagelang zu schweren Protesten in Kasachstan nach massiv gestiegenen Gaspreisen. Bild: imago images / Yerlan Dzhumayev

Diese Faktoren treiben auch einige Zentralasiat:innen dazu, sich am Terrorismus zu beteiligen. Doch im Allgemeinen ist die Region laut Lemon im Vergleich zu den Nachbarregionen seit der Unabhängigkeit bemerkenswert stabil.

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