Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Das sind die Namen der Menschen, die am 19. Februar 2020 innerhalb von sechs Minuten erschossen wurden. Sechs weitere Personen wurden verletzt. Der Täter: Tobias R., Rechtsextremist.
Nach der Bluttat kehrt er zurück in sein Elternhaus, erschießt erst seine Mutter, dann sich selbst. Rathjen hinterließ ein Manifest, das seine rechtsextreme Gesinnung eindrücklich verdeutlicht. Noch heute terrorisiert sein Vater die Hinterbliebenen und Überlebenden.
Rechtsradikalismus in der Mitte der Gesellschaft. Der Täter war Mitglied im Schützenverein. Nie auffällig, meint der Vorsitzende. Nie ausfällig gegenüber Mitgliedern mit Migrationsgeschichte. Normale Gespräche möglich. Dass der Täter schon damals rechtsextremes Gedankengut und Verschwörungstheorien im Internet verbreitet hat, hätte ihm der Vorsitzende nicht zugetraut.
Das Massaker in Hanau ist kein Einzelfall. Seit den 1990er Jahren wurden mindestens 113 Menschen von Rechtsextremisten getötet – die Amadeu-Antonio-Stiftung geht sogar von 213 Opfern aus. Bereits die Große Koalition unter Angela Merkel hat es sich zur Aufgabe gemacht, rechte Gewalt genauer in den Blick zu nehmen.
Die Ampelkoalition will das geschnürte Maßnahmenpaket weiter ausbauen, das haben sich die Koalitionäre fest vorgenommen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Bekämpfung von Rechtsextremismus früh in ihrer Amtszeit zur Chefinnen-Sache erklärt. Auch das im Dezember beschlossene Demokratiefördergesetz soll zivilgesellschaftliches Engagement mehr unterstützen. Es tut sich also was, könnte man sagen.
Wie wird unsere Gesellschaft fit gegen Rechts? Was sich tatsächlich nach Hanau verändert hat, und wo noch Luft nach oben ist, darüber hat watson mit Initiativen gesprochen, die in dem Bereich arbeiten.
Das Bundesinnenministerium verweist nach einer Anfrage von watson auf den 2020 vorgestellten Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus und den 2022 vorgestellten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus.
Aber reicht das?
Es reicht noch lange nicht, meint Eva Berendsen von der Bildungsstätte Anne Frank. Für sie ist klar: Das rassistische Attentat von Hanau, der antisemitische Anschlag auf eine Synagoge in Halle und der Mord an Walter Lübcke gehören zusammen. Teile einer langen Kette von rassistisch motivierter Hassgewalt in Deutschland. Sie sagt:
Die erst im Dezember durchgeführten Razzien in der Reichsbürgerszene hätten außerdem gezeigt: Der Nährboden für rechten Terror besteht weiter. "Im Zuge der Coronapandemie und der Radikalisierungen in der verschwörungsideologischen Szene hat sich die Lage eher noch verschärft", sagt Berendsen.
Für sie ist klar: Wir alle müssen wachsamer sein. Berendsen sagt: "Anti-Rassismus muss überall stattfinden – am Familientisch, auf Schulhöfen, in der U-Bahn und in den Sicherheitsbehörden." Wie genau sie sich das vorstellt? Bund und Länder müssten flächendeckend mehr in Bildungsprojekte investieren – "es fehlt an einer langfristigen finanziellen Absicherung der Demokratieprojekte in Deutschland, das wäre ein wichtiger Schritt", erklärt sie. Das Demokratiefördergesetz der Ampel reiche hier nicht aus.
Ähnlich beschreibt es auch Yunus Özak vom mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus – für demokratische Kultur (MBT) in Hessen. Wegducken helfe nicht, sagt er. Es sei immer wichtig, rechten, rassistischen und antisemitischen Äußerungen zu widersprechen – passiere das nicht, fühlten sich Rechte gestärkt. Aber wie genau sollten sich Zeugen von Rassismus verhalten?
Özak sagt: "Wichtig ist, dass man Betroffene von Rassismus nicht allein lässt. Rassismus geht alle an, nicht nur diejenigen, die betroffen sind." In der Praxis sei es hilfreich, sich Verbündete zu suchen. Ein:e einzeln:e Antifaschist:in werde in einer Dorfgemeinschaft allein oft ausgeschlossen. Es sei außerdem angsteinflößend, als einzige:r einer betroffenen Person zur Hilfe zu kommen. Leichter sei das deshalb in der Gruppe.
Özak stellt außerdem klar: Es reicht nicht, nur auf privater Ebene zu widersprechen. Rassismus findet sich nicht nur auf dem heimischen Bolzplatz oder in der Kneipe, sondern auch bei der Jobsuche, auf der Arbeit oder in der Schule.
Und das Problem reicht noch tiefer. Nicht nur in der Mitte der Gesellschaft ist rechtes Gedankengut bis heute verhaftet – auch innerhalb der Polizei. Sie hat in Hessen erwiesenermaßen Probleme mit Rechtsextremen innerhalb mancher Einheiten. Und auch in anderen Bundesländern fallen immer wieder rechte Zellen auf – gerade erst sind volksverhetzende Chats von Polizeischüler:innen in Sachsen-Anhalt ans Licht gekommen.
Eine Frankfurter Eliteeinheit musste 2021 aufgelöst werden – Teile der SEK-Einheit waren in Hanau im Einsatz. "Der Kampf gegen Rechtsextremismus muss auch in den Sicherheitsbehörden selbst intensiver geführt werden", macht Eva Berendsen deutlich.
Das allein reiche aber nicht aus. Oft seien Polizeibeamt:innen nicht in der Lage, antisemitische oder rassistische Codes zu erkennen. Sie müssten aus Sicht von Berendsen besser geschult werden; andernfalls bringe es nicht viel, die Repressionen zu verstärken.
In Hanau hat das Attentat tiefe Wunden hinterlassen. Menschen mit Migrationserfahrungen hätten eine deutliche Erschütterung ihres Sicherheitsgefühls erlebt. Gleichzeitig, sagt Berendsen, habe sich durch die aktive Gedenkkultur auch die Sichtbarkeit antirassistischer Positionen erhöht. Die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden leisteten Aufklärungsarbeit und fordern weiterhin Aufklärung ein.
Etwa im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags. Berendsen nennt in diesem Zusammenhang auch die Initiative "19. Februar Hanau", die mit Blogeinträgen weiter über das Attentat und die Folgen aufklärt. Die Arbeit in den sozialen Medien sei wichtig. Berendsen sagt:
Die Vernetzung der Betroffenen von Halle und Hanau habe zu einem wichtigen Schub der Solidarisierung mit und unter Opfern von Antisemitismus und Rassismus geführt. Aus Sicht von Özak ist die größere Sichtbarkeit ein guter Anfang. Die Sichtweisen der Betroffenen müssten außerdem viel mehr in die politische Arbeit eingebracht werden.
Diese Sichtbarkeit und die Erinnerungskultur habe in der Gesellschaft eine höhere Sensibilität für die Gefahren rechter Gewalt entwickelt, meint der Experte. Aber es bleibt nach wie vor viel zu tun.
Kurzfristig sei es wichtig, die Anliegen der Betroffenen ernst zu nehmen. Özak sagt:
Wie Berendsen fordert auch er langfristigere Finanzierungen für Unterstützungseinrichtungen. Menschen, die von rassistischer Gewalt betroffen sind, oder dagegen aufbegehren, bräuchten einen gut ausgestatteten Anlaufpunkt. Kein Verständnis hat Özak dafür, dass aktuell hunderte Rechtsextreme, die mit Haftbefehl gesucht werden, untergetaucht sind.
"Die beste Unterstützung für etwaige Betroffene ist es, die Gefahr rechten Terrors ernst zu nehmen und zukünftige Anschläge zu verhindern", sagt er. Daher müsse die Politik alle rechtlichen Mittel nutzen, um gegen die extreme Rechte vorzugehen.