Vor einigen Jahren hat Mark Zuckerberg angefangen, sein öffentliches Auftreten zu verändern. Er ließ seine Haare länger wachsen, tauschte Badelatschen und Informatiker-Core gegen Oversize-Shirts und Goldketten, veröffentlichte Videos von sich beim Kampfsport. Mark Zuckerberg ist einer geworden, der seine Freunde "Bro" nennt.
Zum ungefähr selben Zeitraum ist Zuckerberg, der 2004 als Harvard-Student mit Facebook den globalen Siegeszug von Social Media begonnen hat, auch selbstbewusster aufgetreten. Weniger entschuldigend. Bestimmter.
Meta, wie der Gesamtkonzern mittlerweile heißt, zu dem neben Facebook Instagram, Whatsapp und Threads gehören, kehrte davon ab, sein Engagement für die Aufrechterhaltung der Demokratie zu betonen. Viel wichtiger wurde Redefreiheit, "free expression", in der US-amerikanischen Auffassung: am liebsten uneingeschränkt.
Am Dienstag gab Mark Zuckerberg in einem Video die länger schwelende Kehrtwende bei Meta offiziell bekannt. In den USA sollen das Faktencheck-Programm eingestellt, die Richtlinien zur Moderation von Inhalten überarbeitet, bei Falschbehauptungen weniger stark eingegriffen werden. Stattdessen sollen User, "wie bei X", selbst Bewertungen von Äußerungen abgeben, sogenannte "Community Notes".
Das führe dazu, dass es "mehr schlechte Dinge" geben würde, sagte Zuckerberg, dafür werde man weniger Menschen zu Unrecht sanktionieren. Wichtig: Für Deutschland gibt es bislang keine konkreten Pläne, die Änderungen umzusetzen.
Rhetorisch ähnelte das dem kulturkämpferischen Sprech mancher Republikaner. "Legacy media", traditionelle Medien, würden Inhalte zensieren, Faktenchecker seien "politically biased". Der Unternehmenssitz soll vom liberalen Kalifornien ins konservative Texas verlagert werden, kurz davor wurde Joel Kaplan, ehemaliger Mitarbeiter des Ex-Präsidenten George W. Bush, neuer Politikchef bei Meta. Was verspricht sich Mark Zuckerberg davon? Das Kalkül ist klar: Eine Anbiederung an die neue amerikanische Regierung.
Zuckerberg bestreitet damit den Weg, den Elon Musk schon vor ihm gegangen ist. Auch Musk galt einst als progressiver Tech-Visionär aus dem Silicon Valley und hat sich mittlerweile eng an den designierten US-Präsidenten Donald Trump geschmiegt. X, das Musk 2023 als Twitter gekauft hatte, wurde nach der Übernahme schnell zu einem Moloch aus Hassrede und rechtem Populismus. Droht den Meta-Plattformen jetzt dasselbe Schicksal?
Das hänge erstens davon ab, ob Meta sich weiterhin an EU-Recht hält und zweitens, welche Nutzungsmuster man selbst pflegt, sagt Martin Emmer, Kommunikationswissenschaftler an der FU Berlin mit dem Schwerpunkt Mediennutzung. "Zum Beispiel, wie stark man sich auf die Algorithmen hinter den Plattformen verlässt. Die können in Zukunft mehr problematische Inhalte in unsere Feeds spülen."
Grundsätzlich unterscheiden sich Instagram und X in ihrer Nutzeroberfläche und der Nutzerschaft. Emmer sagt: X wird vor allem von gesellschaftlichen Akteur:innen als Debattenraum genutzt, Instagram hingegen in bestimmten Altersgruppen, universell – sowohl für Informationszwecke als auch den sozialen Austausch.
Was die enorme Bedeutung der automatischen Ausspielung der Inhalte angeht, haben sich die Plattformen in den letzten Jahren aber angeglichen, sagt Emmer und erklärt: "Das Risiko, ungewollt mit extremistischen, illegalen oder Propaganda-Inhalten in Kontakt zu kommen, kann dadurch individuell zunehmen." Bei X könne man sich in der Regel auf Konflikt einstellen, bei Instagram nicht: "Das Risiko für eine eher beiläufige Beeinflussung von Menschen etwa durch extremistische Inhalte ist dort größer."
Anruf bei Thorsten Thiel, Professor für Demokratieförderung und Digitalpolitik an der Universität Erfurt. Welche Auswirkungen haben die Änderungen auf Deutschland? Er halte es für möglich, sagt Thiel, dass Meta den finanziell potenten Heimatmarkt der USA von dem europäischen Geschäft trennen könnte. In der EU unterliegt Meta den Auflagen des Digital Services Act (DSA), das Online-Plattformen in Bezug auf Transparenz und der Moderation von Inhalten in Verantwortung nimmt. Folglich dürften die Änderungen den deutschen Markt erst einmal nicht betreffen.
"Ich vermute, dass man das Experiment erstmal nur in den USA versucht", sagt Thiel. Aus den Erfahrungen könne man Rückschlüsse für den europäischen Markt ziehen, auch im Hinblick auf die Regulierung.
Der britische "Economist" verkündete im vergangenen Jahr auf seiner Titelseite: "The end of the social network". Die These des Textes: Das, was früher als Social Media firmierte, gliedert sich gerade in einen sozialen und einen medialen Teil auf.
Während das Geheimnis der Plattformen früher darin bestand, diese Ebenen – persönliche wie massenmediale Kommunikation – kurzzuschließen, werden diese wieder getrennt. Apps wie BeReal versprechen einen Austausch im unmittelbaren sozialen Umfeld, bei Tiktok gibt es eine klare Teilung zwischen Produzent:innen und Konsument:innen.
Instagram war vielleicht die letzte Plattform, die beide Ebenen noch im Ansatz miteinander verknüpft hatte. Instagram galt lange als unpolitisch, man konnte mit wortwörtlichen Freunden in Kontakt bleiben oder Lebensstile bewerben. Jetzt, wo Zuckerberg die letzten Leitplanken eines geordneten Miteinanders bei Meta gesprengt hat, verblasst auch diese einst naive Hoffnung in Social Media.
"Was wir sehen werden, ist: Netzwerke werden weniger Orte der Begegnung mit anderen, sondern Begegnung mit Menschen, die ich kenne", sagt Thorsten Thiel. "Öffentliche Räume werden abnehmen." Die Wahrscheinlichkeit, dass ein System errichtet wird, in dem starke Anreize gesetzt werden, damit es nicht zu einem Wechsel der Sichtweisen kommt, sei mittlerweile deutlich höher geworden.
Die Umwälzung bei Meta hat Donald Trump als persönlichen Erfolg verbucht. Seit Jahren hatte er gegen den Konzern gewettert, Meta unterdrücke konservative Ansichten. Trump hatte gedroht, Zuckerberg zu verhaften, sollte Meta in den Wahlkampf eingreifen. Auf die Frage, ob er glaube, dass Zuckerberg direkt auf die Drohungen reagiert habe, sagte Trump: "Wahrscheinlich."
Mit Zuckerbergs Anbiederung drängt sich auch immer stärker der Begriff einer Tech-Oligarchie auf, die sich um den künftigen US-Präsidenten schart. Neben Musk verfolgt auch Amazon-Gründer Jeff Bezos ein freundschaftliches Verhältnis zu Trump, wenige Tage vor der US-Wahl hatte er als Eigentümer der "Washington Post" die Veröffentlichung einer bereits verfassten Wahlempfehlung für Kamala Harris unterbunden.
"Bei der ersten Trump-Präsidentschaft war die Nähe dieser Akteure zum liberalen Establishment noch höher, sie agierten vorsichtiger", sagt Thiel. "Bei der gesamten zweiten Präsidentschaft dürfte die Art von stillem Abkommen, dass sie sich von der Macht fernhalten, weniger handlungsleitend sein."
Donald Trump nagt an den Grundpfeilern der liberalen Demokratie und kann sich dabei der Werkzeuge einer hörigen Tech-Elite bedienen. Nicht nur in den USA und in Deutschland, auf der ganzen Welt haben sich rechtspopulistische Kräfte die Funktionslogiken von Social Media zunutze gemacht.
"Ohne eine resiliente Nutzerschaft, die ein hohes Maß an Medienkompetenz hat und sich ihrer Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger bewusst ist, wird es zukünftig nicht gehen", sagt Martin Emmer.
Die Entwicklungen müssten ein letzter Weckruf für die Politik sein, der Vermittlung von Medienkompetenz und bürgerschaftlichen Kompetenzen in Schulen und politischer Bildung höchste Priorität einzuräumen. "Der Ansatz, problematische Inhalte durch Moderation auf den Plattformen von den Menschen fernzuhalten, ist offensichtlich gescheitert."