Die deutsche Demokratie kränkelt aktuell. Sie muss gepampert werden, das haben nun offensichtlich auch mehrere hunderttausend Bürger:innen erkannt. Beschützt gegen rechts. Gegen Kräfte, die das politische System, in dem wir leben, aushebeln wollen. Beschützt auch gegen die AfD.
Seit dem Geheimtreffen in Potsdam ist viel passiert. Zur Erinnerung: Dort saßen AfD-Politiker:innen sowie (Neu) Rechte Ideolog:innen beisammen und schmiedeten Deportationspläne für alle, die nicht biodeutsch oder "assimiliert" sind. Menschenmassen versammeln sich in allen Städten – ob groß, ob klein – und machen deutlich: Sie sind das Volk. Nicht die AfD und ihre Anhängerschaft, die seit Jahren propagieren, die "schweigende Mehrheit" zu vertreten.
Trotz all dem Massenprotest erfährt die AfD nur kleine Dämpfer. Aber: Bei der Bundestagswahl-Wiederholung in Berlin konnte sie deutlich zulegen. Auch die wegen Terrorverdachts im Knast sitzende AfD-Direktkandidatin Birgit Malsack-Winkemann hat 9,7 Prozent der Erststimmen ihres Wahlkreises erhalten.
Doch viele, so macht es den Anschein, haben mittlerweile Hoffnung, dass der AfD doch noch der Rang abgelaufen werden könnte. Der Silberschweif: Die neuen Parteien von Sahra Wagenknecht und Hans-Georg Maaßen.
Ein Zahn, den Parteienforscher Benjamin Höhne schnell zieht. Der Politikwissenschaftler von der Uni Trier sagt auf Anfrage von watson: "Eine Chance für die Demokratie sind beide Parteiformationen nicht."
Nachdem Wagenknecht ihrer Ex-Partei, der Linken, das Leben über die Jahre immer schwerer gemacht hat und die Differenzen nicht mehr zu kitten waren, hat sie mittlerweile mit ihrer Ausgründung Ernst gemacht. Bündnis Sahra Wagenknecht heißt die neue Partei, deren Europawahl-Programm sich an den Kernpunkten orientiert:
Parteienforscher Höhne geht davon aus, dass das Regieren in Zukunft schwieriger werden könnte. Denn auch BSW schlage populistische Töne an – als Koalitionspartnerin ist es daher bislang unwahrscheinlich. Vonseiten der Union hat die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) einer möglichen Koalition bereits eine Absage erteilt.
Den ersten Parteitag haben die Newcomer:innen bereits abgehalten. Wagenknecht ist damit auf jeden Fall einen großen Schritt vor dem zweiten Silberschweif: Maaßen.
Der frühere Verfassungsschutzchef hat mittlerweile auch eine Partei gegründet. Die Werteunion, die bislang eine Gliederung innerhalb der Unionsparteien war, ist damit jetzt unabhängig von den Christdemokrat:innen. Die Gründungsversammlung fand laut Angaben der dpa am dritten Februarwochenende auf einem Schiff auf dem Rhein nahe Remagen statt. Dort sollen wohl auch ein Programm und eine Satzung beschlossen werden. Maaßen will wohl an die Spitze der neuen Partei treten.
Niederlassen soll sich die Werteunion in einer von Maaßen ausgemachten Lücke zwischen Union und AfD. Mittlerweile wird Maaßen selbst vom Inlandsgeheimdienst wegen des Verdachts auf rechtsextremes Gedankengut beobachtet.
Für die neue Partei von Maaßen sieht Parteienforscher Höhne keinerlei Bedarf im Parteienspektrum. Er sagt: "Dort befinden sich schon CDU/CSU, die Freien Wähler und die AfD."
Maaßen hat laut "mdr" schon im Januar angekündigt, bereits bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen antreten zu wollen. Also Anfang September; nicht viel Vorbereitungszeit. Die neue Partei soll zudem im Gegensatz zur CDU gesprächsbereit in alle politische Richtungen sein – also auch in Richtung AfD.
Die Erwartungshaltung an die Parteigründungen lautet: Sie sollen die vom Verfassungsschutz als Prüffall eingestufte in Teilen rechtsextreme AfD schwächen. Maaßen und vor allem Wagenknecht könnten versprengte Protest-Wähler:innen auffangen, heißt es.
Und die Umfragewerte sprechen für Wagenknecht. In Sachsen-Anhalt wären nach aktuellen Erhebungen beispielsweise nur noch die CDU, die AfD und BSW im Landtag vertreten. Auch eine Umfrage zur Bundestagswahl legt nahe, dass BSW zumindest über die fünf-Prozent-Hürde klettern könnte – anders als FDP und Linke.
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, erklärte im Podcast "The Pioneer Briefing" bereits im Herbst 2023, dass von diesen Umfrageergebnissen nicht zwingend auf das Wähler:innen-Potenzial geschlossen werden könne. Er sagte damals, Menschen gäben auf die Frage, ob sie eine Partei wählen würden, gern vorschnell ihre Zustimmung. Der Forsa-Chef interpretiert dies eher als "ein Indikator für den Unmut über andere Parteien".
Auch Höhne schiebt der Hoffnung einen Riegel vor. Von der Maaßen-Partei erwartet der Experte keine großen Sprünge. Vielmehr könnten die Schnittmengen mit Union und Freien Wählern dazu führen, dass am Ende die nötigen Stimmen für eine Mehrheit fehlen. Anders sehe das beim Bündnis Sahra Wagenknecht aus.
Hier geht Höhne von einem größeren Wähler:innen-Potenzial aus. "Vorausgesetzt es gelingt, eine kampagnenfähige Organisation aufzubauen", räumt er ein. Bislang sei noch nicht sicher, ob das Wagenknecht und ihren Anhänger:innen gelingen wird.
Die letzte Organisation, die die Ex-Linke gegründet hat, ist nach einem kurzen Mobilisierungsschub im Sande verlaufen. Nach kurzer Zeit war von der "Aufstehen-Bewegung" keine Rede mehr. Das Potenzial der Wagenknechtler:innen bestehe vor allem darin, der AfD Stimmen abnehmen zu können, meint Höhne.
Anders als für eine Maaßen-Partei gebe es für BSW nämlich tatsächlich eine Lücke. Oder eher: BSW könnte sich eine Lücke schaffen. Höhne sagt dazu: "Das BSW will den Links-Rechts-Antagonismus durch seinen Populismus sprengen." Damit meint der Parteienforscher den "linkskonservatismus", für den BSW mit seinen Grundwerten steht. Eine Positionierung, die wie ein weiter Gegensatz wirkt – und den es so bislang nicht gab. Linke Parteien vertraten bislang progressive Positionen.
Unter Wagenknecht könnte er Realität werden: Klassenfragen, statt Identitätspolitik. So zumindest stellen sie und ihre Bündnispartner:innen die Ausrichtung der Partei dar. Soziale Politik, pazifistische Friedenspolitik im Sinne von "Waffenlieferungen? Nein Danke" und ein geregelter und beschränkter Markt. Im Gegenzug eine strenge Einwanderungs- und Asylpolitik. Von links-rechts-Denken will Wagenknecht nichts wissen, erklärte sie auf der Gründungs-Pressekonferenz.
Aber auch wenn das Potenzial da ist, rechnet Höhne nicht damit, dass die Neuen im Parteienspektrum der AfD den Rang ablaufen können. Genauso wenig sei damit zu rechnen, dass die Wagenknecht-Partei aus dem Stand in die Thüringer Regierung eintreten könnte. Höhne sagt dazu: "Keine Parteiorganisationserfahrungen. Fehlende Mitstreiter und Finanzen. Geringes Wähler:innenpotenzial." Ein deutliches Nein.