Die Finanzhilfe der Schweizer Nationalbank für die Credit Suisse (CS) lässt nicht nur in Wirtschaftskreisen die Alarmglocken schrillen. Einer der ersten Gedanken, auch von Menschen, die sich sonst wenig für Wirtschaft interessieren: genau wie damals die UBS! Wie damals 2008, als die Großbank beispiellos durch den Staat gerettet werden musste.
Sowohl die UBS wie die CS sind beides Flaggschiffe des Schweizer Finanzplatzes, ein Kollaps wäre fatal. Die Großbanken gelten daher immer noch als "too big to fail" und fordern ein staatliches Eingreifen, wenn der Untergang droht. Trotzdem ist die Situation der CS nicht dieselbe wie während der Finanzkrise 2008. Ein Vergleich.
Etwa 50 Milliarden bezieht die Credit Suisse von der Schweizer Nationalbank (SNB) als Darlehen. Sie bezahlt dafür einen Zinssatz in bislang unbekannter Höhe und hinterlegt der Nationalbank Hypotheken und Wertschriften als Sicherheit.
50 Milliarden ist eine nur schwer vorstellbare Summe – immerhin 6.5 Prozent aller Güter und Dienstleistungen, welche die gesamte Schweiz in einem Jahr produziert (das BIP). Oder, wie es das Portal "Inside Paradeplatz" formuliert: drei Gotthardtunnel.
Die Summe erinnert an das Geld, das im Herbst 2008 für die Rettung der UBS aufgewendet wurde. Damals erhielt die zweite große Bank der Schweiz 54 Milliarden Dollar von der SNB und 6 Milliarden vom Bund.
Fazit: Der Zuschuss beläuft sich auf eine durchaus vergleichbare Summe.
Weil die UBS "too big to fail" war, wurde sie nicht nur von der Nationalbank, sondern auch vom Bund und damit mit Steuergeldern gerettet. Die Eidgenossenschaft wurde so quasi über Nacht Aktionärin bei der UBS.
Seit der Finanzkrise hat sich vieles geändert: Das "Too-Big-To-Fail"-Regime wurde aufgebaut. Das Ziel: Nie wieder sollte es dazu kommen, dass Banken zwangsläufig durch den Staat gerettet werden müssen, dass sie es sich dadurch leisten können, zu hohe Risiken einzugehen und dass allfällige Verluste von der Allgemeinheit getragen werden müssen.
Das Regime schrieb vor, dass die systemrelevanten Großbanken strikteren Kapitalregeln unterliegen. Dabei wurde insbesondere die Vorgabe an die sogenannte "leverage ratio" verschärft. Sie bezeichnet das Verhältnis zwischen dem Eigenkapital einer Bank und ihren Schulden; die Banken mussten als Folge bei ihren Eigenmitteln aufstocken.
Auch die CS hat sich nach der Finanzkrise massiv verändert. Hat die risikoanfällige und überdimensionierte Sparte "Investmentbanking" abgestoßen und will sich jetzt auf ihr Kerngeschäft, das Verwalten von Vermögen in der Schweiz, konzentrieren. Und auch sie hat die Anforderungen an eine höhere Eigenkapitalquote (zwangsweise) erfüllt.
Das heißt aber nicht, dass es keine systemrelevanten Banken mehr gibt. Aufgrund ihrer Größe und Vernetzung im Finanzmarkt sind gewisse Banken aber nach wie vor "too big to fail": neben der CS und der UBS sind dies auch die Postfinance, die Raiffeisenbank und die Zürcher Kantonalbank. Das entsprechende Regime wurde aber aufgebaut, um für solche Banken das Risiko eines Kollapses ultimativ zu minimieren.
Fazit: Wie viele andere Banken musste sich auch die CS nach dem UBS-Debakel an die neuen Standards halten. Diese wurden nach der Finanzkrise verschärft. Die CS hat heute eine entsprechend höhere Eigenkapitalquote als es sie damals die UBS hatte.
Trotzdem werden nun schon wieder die Verluste einer in Schieflage geratenen Großbank von der Allgemeinheit getragen – oder? Nicht ganz, denn, erstens: Für die Rettung wird nicht direkt Steuergeld aufgewendet. Im Gegensatz zur UBS-Rettung hat der Staat (noch) keine Hilfe geleistet. Ja, die Nationalbankgelder sind zwar in dem Sinne Volksvermögen, das der Eidgenossenschaft gehört. Die SNB ist aber politisch unabhängig und hantiert nicht mit Steuergeldern.
Und zweitens lässt sich über den Begriff "Rettung" streiten. Die Nationalbank hat auch in diesem – ungewöhnlichen – Fall im Prinzip nichts anderes gemacht als das, wofür sie da ist: für Finanzstabilität sorgen und eine Bank mit Liquidität ausstatten. Gemäß dem Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz hatte sie keine andere Wahl – eben weil die CS nach wie vor als "too big to fail" gilt.
Ob der Staat selbst doch noch eingreift, wird sich zeigen. Es hängt davon ab, ob die massive Liquiditätsspritze auch über die nächsten Tage und Wochen Wirkung zeigt und die Lage sich beruhigt. Im Falle eines Kollapses würden wohl gewisse Notfallpläne, welche die Banken als Vorschrift bereithalten müssen, zum Zuge kommen.
Das Bereithalten eines solchen Plans wurde nach der Finanzkrise neu vorgeschrieben. Im Kern geht es dabei darum, das Schweizgeschäft abzutrennen und so zu verhindern, dass weitere Schweizer Finanzinstitute in Mitleidenschaft geraten. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen: mit Teilverkäufen von Geschäftsbereichen, der Abspaltung des systemrelevanten Teils, der Wandlung von Obligationen in Eigenkapital – oder gar eine Übernahme durch eine andere Bank oder den Staat.
Das Problem bei diesen "Too big to fail"-Notfallplänen: Ihnen fehlt der Praxistest. Konkret weiß man also nicht, wie eine solche Abwicklung einer Großbank in Realität aussehen würde – und ob nicht doch allfällige Steuergelder investiert würden. Auch der Schweizer Bundesrat äußert sich dazu noch nicht: Zwar tagte das Gremium am Donnerstag außerordentlich zum Thema CS. Am Abend ließ er allerdings mitteilen, dass über den Inhalt der Sitzung noch nicht informiert werde.
In Politkreisen äußert man sich gemischt über eine allfällige staatliche Rettung. So meint mit Beat Walti zum Beispiel gar ein FDP-Politiker: "Eine eigentliche Bankenrettung durch die SNB oder den Staat würde ich für unser liberales System als schädlich erachten."
Fazit: 2008 stand es außer Frage, dass die UBS nicht nur von der Nationalbank, sondern auch mit Steuergeldern gerettet würde. Die CS hat bislang "lediglich" einen Kredit von der SNB erhalten.
Zwar geht beiden Rettungsaktionen der Kollaps einer US-Bank voraus: Im Falle der UBS war es Lehman Brothers, letzte Woche war es die Silicon Valley Bank.
Aber in den vorangehenden Gründen für ihre missliche Lage unterscheiden sich die beiden Großbanken. Keine Frage – sowohl die Banker bei der UBS 2008 als auch bei der CS haben ziemlich lange ziemlich vieles falsch gemacht. Die Situation, in der sie sich zum Zeitpunkt der Rettung durch die Nationalbank befanden, war in hohem Masse selbstverschuldet, zumindest in der langen Frist.
Wir erinnern uns: Die UBS hatte in den Jahren vor der Finanzkrise ihre Investmentbank massiv vergrößert, weil sie die Konkurrenz in den USA mit den Großen wie JP Morgan oder Goldman Sachs aufnehmen wollte. In diesem Zuge stieg die UBS (zwar relativ spät) fatalerweise auch ins Geschäft mit verbrieften Finanzprodukten ein.
Als die Immobilienkrise ausbrach, verloren diese Produkte – viele davon basierten auf Hypothekenkrediten – massiv an Wert. Weil die Banken eine massive Menge an solchen Produkten in ihren Büchern hatten, führte die Immobilienkrise, ausgelöst durch den Konkurs der US-Bank Lehman Brothers, zu einer Bankenkrise, die schließlich eine Finanzkrise auslöste.
Den derzeitigen Problemen der CS geht eine Reihe von hausgemachten Skandalen und Krisen voraus – seien es Milliardenverluste mit Investitionen (beim Hedge-Fund Archegos oder beim Lieferkettenfinanzierer Greensill), das Auffliegen der Überwachung von Kadermitgliedern oder Peinlichkeiten wie das Brechen von Corona-Regeln durch den eigenen Präsidenten. Als Folge davon liefen der CS die Kunden in Scharen davon. Trotz neuen Investoren und der Ankündigung ihrer Umstrukturierungspläne konnte die Bank diese Entwicklung bis heute nicht stoppen.
Fazit: Der Beinahe-Kollaps der UBS geschah zur Zeit einer globalen Bankenkrise, in der rund um die Großbank auch viele weitere praktisch pleite waren. Bei der CS ist das nicht so: Zwar sind ihre Probleme hausgemacht. In den letzten Tagen geriet sie aber in einen Strudel mit Spekulationen besonders an der Börse, der ausgelöst wurde durch das Finanzierungsproblem einer eher kleineren US-Bank, der Silicon Valley Bank. Mit deren Kollaps hatte die CS aber nichts zu tun.
Trotzdem sind die Wogen bei den Banken noch nicht geglättet: Der Zusammensturz der SVB hat das Vertrauen in sämtliche Banken angeknackst. Das äußerste sich auch im Absturz vieler Bankaktien, welche Sorgen um eine nächste Bankenkrise auslösten. Die Credit Suisse trifft dies aber besonders hart, da es bereits vorher schlecht stand um das Vertrauen in sie.
Beiden Rettungen geht der Kollaps einer US-Bank voraus. Dieser hat zwar vor allem im Fall der CS direkt nichts mit der Schweizer Bank zu tun – er zeigte aber die oben beschriebenen systemischen Schwächen beider Großbanken schonungslos auf.
Die Zusammenbrüche lösten in beiden Fällen eine Vertrauenskrise aus. Bei der UBS waren es aber vor allem die Banken, die einander kurzfristig nicht mehr vertrauten. Das zeigte sich am Interbankenmarkt, auf dem sich die Finanzinstitute kurzfristig und über Nacht Kredite leihen. Als klar wurde, dass alle auf einer großen Menge an Ramschpapieren sitzen, trocknete dieser Interbankenmarkt plötzlich aus; die Banken konnten sich nicht mehr mit genügend Liquidität versorgen, um kurzfristige Schulden zu bedienen.
Bei der CS hingegen gab es ein solches Liquiditätsproblem nicht. Aber der Abzug der Kundeneinlagen zeigt, dass auch sie in eine massive Vertrauenskrise geschlittert ist. Die Aussage eines saudischen Investors, man würde keinen Cent mehr in die Bank investieren, brachte das Fass am Mittwoch zum Überlaufen – der CS-Aktienkurs war zeitweise auf ein Rekordtief von 1.55 Franken abgestürzt.
Am Donnerstag zeigte die Finanzhilfe bereits Wirkung: Die Aktie gewann insgesamt um etwa 20 Prozent dazu.
Fazit: Dem Absturz der UBS ging hochriskantes Wirtschaften voraus. Das war bei der CS unmittelbar nicht der Fall, trotzdem stand sie im Auge eines Sturms, den sie direkt nicht auslöste. Sie kämpft derzeit gegen den anhaltenden Vertrauensverlust ihrer Kunden und hofft, mit dem Darlehen der Nationalbank – immerhin Hüterin der stabilsten Währung der Welt – diesem Verlust entgegenzuwirken und die Kundenabzüge ein für alle Mal zu stoppen.
Nach dem Zusammensturz von Lehman Brothers "erkrankten" große Teile der Bilanz der UBS: Durch das faktische Einfrieren des Interbankenmarktes versiegten ihre liquiden Mittel. Und durch den rasanten Wertverlust der amerikanischen Ramschpapiere schmolzen gleichzeitig die Aktivposten.
Auch wenn ihr das die Märkte bislang nicht abnehmen, gilt die CS eigentlich als solide finanziert. Mit dem Vertrauen ihrer Kunden verlor sie aber das wohl wichtigste Asset einer Bank und dadurch schließlich auch Teile ihres Kapitals – die Kundengelder. In dem Sinne leidet die Bilanz der CS unter einem kontinuierlichen Schmelzen ihrer Einlagen – und damit auch ihrer Liquidität.
Entsprechend werden die Milliarden, die die CS von der Nationalbank kriegt, nicht für dasselbe gebraucht wie damals bei der UBS. 2008 kaufte die Nationalbank mit den 54 Milliarden der UBS ihre Ramschpapiere ab und befreite sie so von ihren größten Risiken. Die 6 Milliarden Franken vom Bund hingegen wurden zur Wiederherstellung der Eigenmittel der Bank genutzt.
Bei der CS hingegen geht es wohl mehr um ein "Durchatmen", also um ein Finanzpolster für den Fall, dass die Einlagen auf ein untragbar tiefes Niveau rasseln. Wo genau dieses im Moment steht, ist allerdings unklar. Daneben geht es auch um ein Signal der Sicherheit, das die Kundinnen und Kunden beruhigen und darauf hinweisen soll, dass das nötige Geld da wäre, würde man es abheben wollen.
Fazit: Im Gegensatz zur UBS hat die Credit Suisse keine Ramschpapiere in ihren Bilanzen und ist entsprechend "gesünder" aufgestellt. Fließen ihr aber weiter die Kundengelder davon, würde auch sie wortwörtlich pleitegehen.