"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Dieser Satz hängt dem heutigen Bundesfinanzminister und Parteichef der Freien Demokraten (FDP), Christian Lindner, immer noch nach. 2017 brach er mit den Worten krachend die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen ab.
Von 2013 bis 2017 war die FDP aus dem Bundestag verschwunden, hatte nach 64 Jahren Parlamentszugehörigkeit erstmals die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft. Ein Schock.
Gerade zurück wollte Lindner dann trotzdem nicht mitregieren im Kabinett Merkel IV. Es wurde eine sogenannte GroKo aus CDU/CSU und SPD, wie die meiste Zeit unter der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dabei hatten die Liberalen ihr Ergebnis in der Bundestagswahl 2017 gegenüber 2013 mit 10,7 Prozent (2013: 4,8 Prozent) mehr als verdoppelt. Sie waren wieder da.
2021 dann der erneute Versuch, eine Koalition unter anderem mit den Grünen zustande zu bekommen. Nach langem Ringen war es vollbracht: die Ampelregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) stand. Doch es dauerte nur wenige Monate, bis Unmut in den Koalitionsreihen laut wurde, vor allem die FDP rieb sich geräuschvoll an den Grünen. Erwartbar, scheiterten doch die Verhandlungen 2017 unter Grünen-Beteiligung.
Anfang dieses Jahres stellten die Liberalen dann sogar innerhalb der Partei die Koalition so sehr infrage, dass eine Abstimmung über den Verbleib in der Regierung durchgeführt wurde. Das Ergebnis: knapp. Nur 52 Prozent stimmten dafür. Wobei sich auch nur rund jedes dritte Parteimitglied an der Abstimmung beteiligte. Hinzukommt: Die FDP verliert seit ihrem erneuten Eintritt in die Regierung zunehmend an Zustimmung. Sie könnte sogar, je nach Umfrageinstitut, erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wie zuletzt 2013, wenn die Bundestagswahl im März 2024 wäre.
Der Lieblings-Koalitionspartner der FDP wäre zweifelsohne die Union. Daraus macht die One-Man-Show um Christian Lindner auch keinen Hehl. "Ich bin fest davon überzeugt, dass eine bürgerliche Koalition aus CDU, CSU und FDP in der Lage wäre, die Probleme des Landes nicht nur gemeinsam richtig zu analysieren, sondern tatsächlich auch gemeinsam Lösungen zu finden", sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kürzlich der "Bild am Sonntag".
Djir-Sarai wollte auf keinen Fall ein zweiter Regierungssprecher sein, wie er bei seiner Wahl in das Amt 2022 betonte. Spoiler: Die Gefahr besteht nun wirklich nicht. Viel eher wirkt er mittlerweile wie ein Oppositionssprecher.
Zwar mögen die Schnittmengen der Liberalen mit den Unionsparteien größer sein als mit Grünen und SPD, doch auf dieser Grundlage immer und immer wieder die Koalition infrage zu stellen, kommt einem Misstrauensvotum gegen die Ampel gleich.
Was wiederum vermutlich wichtige Stimmen kosten würde, schätzt Parteienforscher Sebastian Höhne für watson ein. So wäre demnach der tatsächliche Gang in die Opposition für die FDP "hochriskant".
Ein erneutes Verfehlen der Fünf-Prozent-Hürde sieht auch Höhne als realistisch an, "angesichts ihrer derzeitigen demoskopischen Zustimmungswerte". Auch das würde selbstredend eine erhebliche Schwächung der Liberalen mit sich bringen, schließlich ginge Personal verloren und auch Finanzmittel würden gestrichen. "Im Grunde wäre es existenzbedrohend", urteilt Höhne.
Scheitern die Freien Demokraten letztlich an ihrem Anführer Christian Lindner, der die One-Man-Show scheinbar perfektioniert hat?
Immerhin steht er seit mehr als zehn Jahren an der Spitze der Liberalen, hat sie maßgeblich beeinflusst und zu dem gemacht, was sie heute sind. Doch um ihn herum ist es still. Lediglich einem potenziellen Nachfolger hat der Parteichef ab und an etwas Rampenlicht gelassen, um sich zu positionieren: FDP-Vize Johannes Vogel.
Um zu verstehen, wie ein regelrechter Personenkult um Lindner in seiner Partei entstehen konnte, muss ein Blick in die jüngere Vergangenheit der Liberalen geworfen werden.
2009 war der heutige Parteivorsitzende noch Generalsekretär der FDP. Guido Westerwelle gab nach dem krachenden Scheitern der Partei in sieben der 14 Landtagswahlen 2011 den Vorsitz an Philipp Rösler ab – unter anderem auf Drängen von Lindner. Vorausgegangen war ein Rattenschwanz an Verfehlungen der Freien Demokraten die Jahre zuvor.
Das hatte unter anderem zur Folge, dass die Partei 2013 trotz hoffnungsvoll stimmenden Umfragewerten einen Sturz unter die Fünf-Prozent-Hürde hinnehmen musste. Bis auf Lindner zog sich daraufhin die gesamte Führungsriege aus ihren Ämtern zurück. Die Nachfolge des Vorsitzes war also schnell geklärt. Das einzige bekannte Gesicht neben Lindner, das blieb: der damalige Vorsitzende der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag Wolfgang Kubicki.
Die Zustimmungswerte verbesserten sich in den folgenden Jahren allerdings nur schleppend. Ab 2016 profitierten die Freien Demokraten vor allem von der innenpolitischen Stimmung rund um die Geflüchtetenwende und später von der Radikalisierung der AfD, was eine klare Abgrenzung von den Rechtspopulist:innen ermöglichte. 2017 war sie wieder in neun Landesparlamenten und drei Landesregierungen vertreten.
Die Trendwende der FDP gelang Lindner vor allem durch den Personenkult, den er etablierte, und der der Partei einen dynamischeren Anstrich verlieh. Untermalt wurde das zugleich mit dem neuen Farbkonzept: statt blau-gelb setzte er fortan auf gelb-magenta-blau. Und auf das Thema Bildung. Ganz nach dem Motto: "Altbewährtes neu lackiert", wie "Das Erste" 2017 titelte.
Nun, elf Jahre nach seinem Amtsantritt als Parteichef, steht Lindner wahrscheinlich auf dem Peak seiner politischen Karriere, spricht auch immer wieder von dem "Danach". So liebäugelt der Finanzminister etwa damit, ein Buch zu schreiben, und damit, das Imkern zu lernen. Doch wer tritt in seine Fußstapfen?
Bis Johannes Vogel sucht man danach in den Reihen der Partei vergebens. Und selbst um ihn ist es vor der vergangenen Bundestagswahl ruhig geworden. Wurde er noch 2017 als Duo mit dem Parteichef inszeniert, ist Vogel 2021 in keiner Einstellung des Wahlwerbespots zu sehen.
"Noch ist die Zeit nicht vorbei, ein Tableau an möglichen Nachfolgenden des Parteivorsitzenden aufzubauen", sagt Politik-Experte Höhne. Die Partei sei nach wie vor auf Lindner ausgerichtet. Dem würden immer noch die Verdienste nach 2013 gedankt. "Lindner ist ein Machtpolitiker, der von sich überzeugt ist, die FDP richtig zu führen."
Doch er müsste auch immer wieder liefern, sagt Höhne. "Diesbezüglich sieht es mit Blick auf die Europawahl im Juni und die drei Landtagswahlen im Herbst jedoch eher düster aus."