Die Menschen im Iran gehen für Freiheit und die Einhaltung der universellen Menschenrechte auf die Straße. Das Regime reagiert mit brutaler Gewalt, knüppelt und schießt mit scharfer Munition, tötet und inhaftiert diese Menschen.
Was kann Deutschland tun, um den Menschen im Iran zu helfen? Was muss auf europäischer Ebene getan werden? Und was kann die Gesellschaft beitragen?
Einige Tage nach Beginn der landesweiten Proteste hat Annalena Baerbock neue Sanktionen gegenüber dem Iran gefordert. Bis sich die EU zu einer gemeinsamen Linie einigen konnte, hat es knapp drei Wochen gedauert.
Mit Sanktionen kennt der iranische Staat sich aus.
Seit 1979 haben die USA das Land mit Sanktionen belegt, Gelder eingefroren und Vertretern des Regimes die Einreise untersagt. Eine Reaktion auf die Stürmung der US-Botschaft in Teheran: Mehr als ein Jahr lang wurden US-Amerikaner:innen dort als Geiseln gehalten.
Dass der Iran geübt darin ist, Sanktionen zu umgehen, ist für Rechtsanwalt Viktor Winkler durchaus plausibel. Häufig seien die Bürger:innen die Leidtragenden, nicht aber die Machthabenden. Der Sanktionsexperte sagt im Gespräch mit watson: "Die Erfahrungen, gerade im Iran, zeigen über die Jahre sehr wenig politische Wirkung und dabei viel, vielleicht zu viel, Schaden in der Zivilbevölkerung."
Die bestehenden Maßnahmen hätten eine deutlich ökonomische Zielrichtung: Verknüpft mit der Hoffnung, dass "damit der Widerstand in der Bevölkerung gegen das Regime wächst". Neue Sanktionen, die auf die Staatsführung zielen und die Zivilbevölkerung nicht oder nur wenig träfen, hält er für möglich und angebracht.
Doch Winkler sieht auch Hürden. Selbst wenn sich die EU auf neue Sanktionen einigen sollte, hätte der Iran Ausweichmöglichkeiten:
Daher müsste zunächst der Weg über die Vereinten Nationen gehen, aber: "Da sehe ich aktuell wegen der Ukraine-Krise wenig Hoffnung."
Winkler ist überzeugt: Russland und womöglich China würden als strategische Partner des Regimes UN-Resolutionen mit ihrem Veto blockieren.
Dennoch lohne sich eine Verschärfung bestehender Maßnahmen, meint Sanktionsexperte Christian von Soest. Er arbeitet am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien und sagt im Gespräch mit watson: "Aufgrund der bisherigen Sanktionspraxis des Westens und Deutschlands ist es fast schon zwingend, mit Sanktionen auf die staatliche Gewalt im Iran zu antworten." Eine Verschärfung wäre aus deutscher und europäischer Perspektive folgerichtig, meint von Soest.
So könnten die Maßnahmen aus seiner Sicht aussehen:
Für Protestforscherin Rosa Burç sind pauschale Sanktionen nicht zielführend. Die Wissenschaftlerin arbeitet am Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin. Gegenüber watson sagt sie: "Es öffnen sich immer Kanäle für die Machthabenden, um Sanktionen zu umgehen oder gar für eigene Propagandazwecke zu nutzen."
Länder wie China, Russland oder die Türkei würden ihren Handel mit dem Iran verstärken. "Durch Sanktionen werden also auch Allianzen unter Autokraten gestärkt", meint die Expertin.
Und sie nennt noch einen Grund gegen wirtschaftliche Sanktionen: Der ökonomisch geschwächten Unter- und Mittelschicht bliebe "schlichtweg weder die Zeit noch die Kraft, Aktivismus zu betreiben." Burç fügt an: "Die Verarmung der iranischen Gesellschaft bedeutet auch für das Regime, dass es Proteste weniger fürchten muss."
Sie führt aus:
Auch im Bereich der Atomverhandlungen mit dem Iran sollte Deutschland die Gesprächskanäle offenhalten, meint Politikwissenschaftler Jannis Grimm von der Freien Uni Berlin im Gespräch mit watson. Die Vereinbarungen aus dem Jahr 2015 liegen auf Eis, seitdem sie der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 einseitig aufkündigte. Seitdem fühlt sich der Iran nicht an die vereinbarten Punkte gebunden, die dem Land den Weg zur Atombombe versperren sollen.
Atomverhandlungen und Sanktionen sollten von deutscher Seite aus nicht miteinander gekoppelt betrachtet werden, meint Grimm. "Im Zweifel manövriert sich Deutschland in eine Position, aus der es nicht mehr zurücktreten kann."
Kritiker:innen des iranischen Regimes fordern sogar, diplomatische Beziehungen einzufrieren – etwa den deutschen Botschafter abzuziehen. Doch Außenministerin Baerbock möchte die Deutsche Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran nicht schließen. Denn: Dadurch ließe sich am ehesten den akut bedrohten Menschen über eine Visavergabe helfen. Das sagte sie in einem Instagram-Gespräch, zu dem die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal geladen hatte.
"Wenn die Bundesregierung von Menschenrechten spricht, dann muss sie im gleichen Atemzug auch über ihre Asylpolitik sprechen", sagt Rosa Burç. Das iranische Regime gehe immer gewaltvoller gegen die Protestierenden vor. Es herrsche eine humanitäre Notsituation. "Orte des Asyls, auch wenn es eine Botschaft ist, sind aktuell mehr als notwendig."
Weiter sagt sie:
Als konkrete Maßnahmen nennt Burç: vereinfachte Aufnahmeprogramme, gelockerte Visabestimmungen und bundesweite Abschiebestopps.
Zuletzt hatte ein Abschiebe-Fall im bayerischen Passau für Schlagzeilen gesorgt. In letzter Minute wurde die Abschiebung des iranischen Mannes gestoppt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte einen Abschiebestopp gefordert. In der Praxis müssten es die Bundesländer umsetzen.
Da ist die einhellige Meinung aller Expert:innen, mit denen watson gesprochen hat: Sichtbarkeit schaffen ist fundamental.
Die Brutalität, mit der das Regime vorgeht, "muss überall thematisiert werden", sagt Burç.
Sie fügt an:
Das iranische Regime hat gegen solche Maßnahmen eine Internetblockade verhängt.
"Umso wichtiger ist es, hier in Deutschland mit ununterbrochenem Informationsfluss dagegenzuhalten", sagt Burç. Durch eine Browser-Erweiterung können Menschen hier, Iraner:innen etwa einen anonymen Zugang ins freie Internet ermöglichen.
Das ist deshalb wichtig, weil sonst der Informationsfluss abreißen könnte. Medien können nur sehr schwer aus dem Iran berichten. Ausländische Journalist:innen bekommen keine Einreiseerlaubnis. Inländische Reporter:innen werden eingeschüchtert – oder schlimmer, wie Beispiele zeigen: Die Journalistin, die den Todesfall von Jina Mahsa Amini bekannt machte, wurde etwa verhaftet. Informationen und Bilder, die das brutale Vorgehen des Staates belegen, sollen das Land nicht verlassen.