Erneut sorgt CDU-Chef Friedrich Merz für Furore. Im ZDF-Sommerinterview äußert er sich zur Nähe der AfD. Dabei schließe Merz offenbar eine Kooperation mit der Alternative für Deutschland auf kommunaler Ebene nicht aus.
Mit dieser Aussage empört er diesmal nicht nur die Konkurrenz, sondern auch parteiinterne Politiker:innen. Allgemein reißt die Kritik an der Union nicht ab. Immer wieder leisten sich CDU und CSU Fehltritte – Tritte, mit denen sie regelrecht auf ihre selbsternannte Brandmauer eintreten. Sie betonen, sich von der AfD zu distanzieren, doch auf kommunaler Ebene ist die Nähe zu der rechtspopulistischen Partei längst Realität.
So gibt es etwa in den ostdeutschen Bundesländern schon heute diverse Ortsparlamente, in denen AfD und CDU zusammenarbeiten. Die Frage kommt auf, wie weit die christliche Volkspartei nach rechts abbiegt. Autorin und Journalistin Annika Brockschmidt äußert sich auf watson-Anfrage besorgt. Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen wie der religiösen Rechten in den Vereinigten Staaten.
Laut ihr ist die Rhetorik der CDU und CSU in den vergangenen Monaten regelrecht eskaliert. "Offen davon zu sprechen, einen 'Kulturkampf' ausfechten zu wollen, bedient nicht nur die Sprache von Rechtsaußen, sondern stilisiert sich als 'respektable' Variante derselben Inhalte", meint Brockschmidt.
Sie sagt:
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die "Bild am Sonntag" liegt die AfD nur noch vier Prozent hinter der Union, die auf 26 Prozent kommt. Auch in den USA verspricht eine konservative, rechte Agenda wohl Wahlstimmen.
Brockschmidt hat sich in ihrem Buch "Amerikas Gotteskrieger" tiefgründig mit der religiösen Rechte in den USA beschäftigt sowie mit der Maga-Bewegung um Donald Trump. Maga steht für Trumps Wahlmotto "Make America Great Again". Umso "besorgniserregender" empfindet die Autorin die Nähe von namhaften CSU-Vertreter:innen zu Floridas Gouverneur Ron DeSantis.
Zum Hintergrund: Im Mai trafen sich der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und andere CSU-Größen mit dem rechten Hardliner DeSantis in Florida. Dafür hagelte es reichlich an Kritik.
Scheuer hingegen sah offenbar kein Problem in dem Treffen. Auf Twitter schreibt er von einer "linken Erregungskultur". Davon, dass es wichtig sei, "konservative Politik zu machen und darüber im Gespräch zu sein." Man müsse nicht alles teilen, was DeSantis macht.
Es sei realitätsfern zu glauben, meint Scheuer im Gespräch mit "t-online", dass er nun nach dem Gespräch DeSantis' Politik 1:1 übernehmen wolle. Dennoch: Der CSU-Politiker teile die Analysen von DeSantis. "Das mag einige schockieren. Aber dazu stehe ich", sagt Scheuer mit Blick auf die Ansichten des Republikaners etwa zur Geschlechteranpassung.
Laut Brockschmidt regiert DeSantis in Florida autoritär: Er beschneidet die Wissenschafts- und Lehrfreiheit an Universitäten und Schulen massiv, schränkt Rechte von LGBTQIA+-Personen – vor allem von trans* Personen – ein und sanktioniert Firmen, die sich seiner ideologischen Ausrichtung nicht anschließen. Als Beispiel etwa der Freizeitpark "Disney World".
"Dass so jemand in der CSU als Vorbild gesehen wird – sogar seine anti-LGBTQ-Politik ausdrücklich loben – ist gefährlich", meint sie. Doch auch weitere Fehltritte der Union sorgten für Empörung.
Um einige zu nennen:
Auch in den USA schießen sich die rechtspopulistischen Maga-Politiker:innen auf etwa LGBTQIA+-Rechte und Migrant:innen ein. Könnte Deutschland demnach eine eigene "Make Germany Great Again"-Bewegung erleben? Auch dank der Union?
Brockschmidt gibt Entwarnung: "Es gibt nach wie vor elementare Unterschiede in der Ausrichtung und Rhetorik, und natürlich im Aufbau." Auch gebe es momentan keine Politik-Figur, die dem Personenkult von Trump auch nur entfernt nahekomme.
"Wir erleben dennoch eine Enthemmung von Teilen des deutschen Konservatismus, der bereit ist, gewisse Linien zu übertreten, die vor ein paar Jahren noch als gesellschaftlich tabu galten", meint die Brockschmidt.
Laut ihr ist Merz mit seinen Aussagen darauf versessen, AfD-Wähler:innen "zurückzuholen". Allerdings sei diese Strategie zum Scheitern verurteilt – das zeigten sämtliche politikwissenschaftliche Studien. "Stattdessen werden rechtsextreme Positionen weiter gesellschaftlich legitimiert", sagt die Autorin.
Sie führt aus:
Als Beispiel nennt sie etwa die "anti-trans moralische Panik", die Aufregung über Drag-Queen-Lesungen. Aber auch das funktioniere nur, weil es auf bereits existierende Ressentiments aufbaue, erklärt Brockschmidt. Also, auf bereits bestehende Vorurteile und Abneigungen zu bestimmten Themen oder Menschen.
Als Autorin beschäftigt sich Brockschmidt auch mit dem einflussreichen, christlichen Nationalismus in den USA – der mit der Maga-Bewegung Hand in Hand geht. Auch Deutschland ist ihr zufolge nicht immun gegen "weißen, christlichen Nationalismus".
Allerdings sehe der in Deutschland anders aus als in den USA: In den Vereinigten Staaten ziehe er seine vermeintliche Legitimation aus einer ahistorischen Version der Gründungsgeschichte, die mit der historischen Realität nichts zu tun habe.
"Das funktioniert bei der deutschen Geschichte nicht – deswegen wird hierzulande christlicher Nationalismus eher codiert: als 'Verteidigung westlicher Werte' und 'des christlichen Abendlandes'", meint Brockschmidt.
Doch Elemente derselben Ideologie, beispielsweise was die Ablehnung von LGBTQIA+-Personen und reproduktiver Rechte von Schwangeren angeht, finden sich laut ihr auch hierzulande – eben auch innerhalb der Union.
So war etwa der Aufschrei groß in den Reihen der christlichen Politiker:innen, als die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche 2022 erlaubt wurde. Sprich, sie lehnten es ab, dass Ärzt:innen auf ihrer Website Abtreibungen anbieten und darüber aufklären dürfen.