Die Preise für Lebensmittel sind in Deutschland nach wie vor hoch – obwohl die Energiepreise langsam sinken, ist die Inflation noch immer stark zu spüren. Seit Wochen kämpfen Gewerkschaften deshalb für Lohnanpassungen, damit ihre Mitglieder keine Reallohnverluste hinnehmen müssen. Immer wieder kommt es zu Streiks, beispielsweise im Bahnverkehr.
Manche Kritiker:innen dieses Arbeitskampfes drohen mit der Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation weiter anfachen würde – andere Expert:innen für Makroökonomie hingegen halten diese Erzählung für falsch. Bei einem Forum des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung haben sie sich über mögliche Auswege aus der Krise ausgetauscht. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war dort anwesend.
Für die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, ist klar, Schuld an dem Dilemma ist die Wirtschaftspolitik der vergangenen 30 Jahre. Die liberale Marktwirtschaft habe die Krise zwar nicht allein verursacht – aber eben verschlimmert. Die Frage, die sich nun gestellt werden müsse: Wie sieht ein neues Verhältnis von Staat und Markt aus?
Wenn es nach Fahimi geht, ist die Antwort darauf: Wir müssen mit neoliberalen Dogmen brechen. "Ich spreche nicht von der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien", stellt sie klar. Vielmehr gehe es der DGB-Chefin um verbindliche Verträge, die auch die Arbeitenden schützen. Als Beispiel zieht sie den Inflation Reduction Act (IRA) aus den USA heran.
Auch in Deutschland muss die Neuausrichtung Hand in Hand gehen mit grünen Investitionen und den Arbeitnehmenden, meint Fahimi. Aus diesem Grund fordert sie, dass sowohl die Energiepreisbremse bleiben müsse – damit die Menschen sich keine Sorgen, um ihre Strom- und Gasrechnungen machen müssen. Sie fordert aber auch einen Industriestrompreis. Und zwar so lange, bis grüner Strom günstig und flächendeckend verfügbar ist.
Klar müsse aber auch sein: Blinde Hilfe ohne Gegenforderungen bringe nichts. "Wir brauchen eine gemeinsame Wette auf die Zukunft", sagte Fahimi. Und das bedeute, dass die staatliche Unterstützung für Unternehmen an Bedingungen geknüpft sein müsse. Zum Beispiel, dass Unternehmen dem Standort treu bleiben.
Einer Einschätzung, der sich auch Wirtschaftsminister Robert Habeck anschließt. Ja, es brauche einen Industriestrompreis, meint er. Und ja, die Unternehmen sollten dafür ihrem Standort treu sein. Insgesamt würden die Preise aber in den kommenden Monaten wieder deutlich heruntergehen, ist Habeck überzeugt.
Die Lehre, die aus der Krise gezogen werden müsse: Es braucht ein transformative Angebotspolitik. "Ein zurück in die 80er-Jahre darf es nicht geben", sagte Habeck. Klassische Mittel der Angebotspolitik sind zum Beispiel niedrige Unternehmenssteuern oder auch Abschreibemöglichkeiten. Was Habeck mit Transformation meint?
Er nennt unter anderem eine neue Marktordnung: Lücken im Kartellrecht wurden durch ein neues Wettbewerbsrecht geschlossen. Auch die digitalen Märkte will Habeck weiter einschränken. Wichtig sei zudem der Ausbau der Infrastruktur: Sowohl der digitalen, als auch der Verkehrsinfrastruktur. Außerdem nennt Habeck die Senkung bürokratischer Hürden und ein modernes Einwanderungsgesetz, sowie eine neue Form der Investitionen.
Er sei kein Fan von Gießkannenpolitik, aber auch in Zeiten der Inflation müssten Investitionen möglich sein. Aus diesem Grund brauche es ein Investitionsnetzwerk für Industrien, die Neues wagen. Damit gemeint: Industrien, die ökologisch wirtschaften wollen. Klar sei auch: Das Geld, das der Staat in diesen Sektor steckt, muss irgendwann an den Fiskus zurücklaufen. Ob das nun über spezielle Sonderabgaben oder die regulären Steuern laufen soll, darauf möchte sich der Wirtschaftsminister nicht festlegen.
Deutlicher wird die Ökonomin Isabella Weber von der Universität Massachusetts Amherst. Sie betonte: Was es braucht, ist eine Übergewinnsteuer. Und zwar schon heute. Weber hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Sebastian Dullien vom IMK bereits im Februar 2022 eine Gaspreisbremse ins Gespräch gebracht, die schließlich in diesem Frühjahr als Energiepreisbremse in Kraft getreten ist.
Für Weber ist klar: Der Staat muss in dieser Situation möglichst schnell reagieren. Und, darauf zumindest lassen die von ihr erhobenen Daten aus den USA schließen, Treiber der Inflation sind die Preisschocks in den Schlüsselsektoren. Denn hier hat die Teuerung Auswirkungen auf das ganze System.
Weber hat die drei wichtigsten Sektoren identifiziert:
Zwar seien die Daten bisher nur für die USA erhoben worden – Weber geht aber davon aus, dass in Deutschland die gleichen Sektoren ausschlaggebend sind. Und sie geht auch davon aus: Die Inflation ist nicht nur Produkt des Krieges und der damit verbunden hohen Preise. Sondern sie ist auch gemacht durch Profitmaximierung der Unternehmen.
Aus diesem Grund fordert Weber die Übergewinnsteuer. Es sei an der Zeit, meint sie, über Inflation neu nachzudenken. Denn in der aktuellen Situation handele es sich nicht um eine Lohn-Preisspirale. Und insofern müsse auf diese Teuerung auch anders reagiert werden.
Um die Inflation und die damit verbundenen Auswirkungen in den Griff zu bekommen, hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Jahr die konzertierte Aktion ausgerufen. Teil dieses Gremiums war auch Ökonom Sebastian Dullien. Aus seiner Sicht war die gemeinsame Herangehensweise erfolgreich.
Doch trotz Maßnahmenpakete wie 9-Euro-Ticket, Tankrabatt und Energiepreisbremse seien bis heute ärmere Haushalte am stärksten von der Teuerung betroffen. Aus diesem Grund sei es auch gut, dass Gewerkschaften aktuell gegen die Reallohnverluste kämpften. Und auch wenn die konzertierte Aktion in weiten Teilen erfolgreich war: Aus Sicht von Dullien wäre es wichtig gewesen, dass die Unternehmen eine Selbstverpflichtung abgegeben hätten.
Denn die Gewinnmaximierung könnte einem schnellen Rückgang der Inflation entgegenstehen. Eine Übergewinnsteuer, meint der Experte, sei zwar nicht ganz einfach. Ein Dauerzustand müsse die Inflation aber nicht bleiben.