Seit der Jahrtausendwende sind in Deutschland 32.139 Menschen am Konsum von Drogen gestorben. In den vergangenen Jahren sind die Todeszahlen jährlich gestiegen, 2022 erreichten sie einen traurigen Höchststand von 1990 Menschen. Zehn Jahre vorher lag die Anzahl noch bei 944 Toten.
Die Toten, das sind nicht nur Menschen, die Opioidabhängig sind. Die vielleicht auf der Straße leben, in der Öffentlichkeit Heroin nehmen oder Crack rauchen. Das sind auch die alleinerziehenden Mütter, die Crystal Meth konsumieren, um ihren stressigen Alltag bewältigen zu können. Oder die Feiernden, die auf Raves und in Clubs Kokain, MDMA oder Ketamin gemischt mit Alkohol oder anderen Drogen konsumieren.
Drogen sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Klar ist, die meisten Todesopfer fordern aber nach wie vor Opioide – etwa Heroin, Oxycodon oder Fentanyl – vor allem in Verbindung mit Mischkonsum oder wegen ihrer Langzeitfolgen, etwa Organversagen.
Seit 1998 wird in der Bundesrepublik am 21. Juli den Verstorbenen gedacht.
"Für mich sind die Zahlen der Menschen, die an den Folgen ihres Drogenkonsums sterben, schockierend und alarmierend", erklärt der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, auf watson-Anfrage. Er räumt ein, dass die Aussagekraft der erhobenen Daten zwar begrenzt sei – denn nicht in allen Bundesländern wären die Erfassungsmethoden dieselben – trotzdem: Die Kurve zeigt nach oben.
Wie der Drogenbeauftragte das Problem angehen und die vielen Tode verhindern möchte? "Es ist wichtig, dass wir jetzt alte Denkmuster in der Sucht- und Drogenpolitik aufbrechen: weg von Strafe, hin zu Schutz und Hilfe!", fordert Blienert. Die Verbotspolitik der vergangenen Jahrzehnte, ist er sicher, hat ihr Ziel deutlich verfehlt.
Einen Schritt, um Drogenkonsum sicherer zu machen, sind Bundesregierung und Parlament bereits gegangen: Drug Checking wird erlaubt. Das bedeutet, dass Konsument:innen ihre illegalen Substanzen, wie MDMA, Kokain oder Heroin, auf ihre Zusammensetzung überprüfen lassen können. Hohe Dosierungen oder auch gesundheitskritische Verunreinigungen können damit erkannt und ein möglicher Notfall vermieden werden.
Ein Vorstoß, der gerade im Bereich der akzeptierenden Drogenarbeit und bei Suchtexpert:innen gut ankommt. Viele Akteur:innen sprechen sich bereits seit den 90er-Jahren für eine solche Neuregelung aus. Bei vielen Menschen gebe es noch heute einen unreflektierten Umgang mit Stoffen, heißt es vom Verein eve&rave für Drogenprävention und Technokultur.
Hier könne Drug Checking helfen. Denn erfahren die Konsument:innen kurz vor dem Konsum, dass in ihrer Pille oder ihrem Pulver etwas drin ist, das dort nicht sein sollte, beeindrucke sie das. Produzent:innen müssten dann außerdem mehr Sorgfalt walten lassen. "Wenn einmal bekannt ist, dass eine Pille 'übel' ist, wird diese nicht mehr gekauft", heißt es weiter. Das funktioniere allerdings nur bei Produkten mit Wiedererkennungswert, wie beispielsweise Ecstasy-Pillen oder LSD-Pappen.
Erst im Juni wurde Ecstasy in den Mittelpunkt der bundesweiten Berichterstattung katapultiert. Konkret ging es dabei um zwei junge Mädchen, die nach dem Konsum einer Pille gestorben sind. "Blue Punisher" dürfte seither vielen Menschen ein Begriff sein – wichtig zu erwähnen: Bei illegalen Substanzen gibt es so etwas wie ein Reinheitsgebot oder Designpatente nicht. Das heißt: Der eine blauer Punisher muss dem anderen nicht gleichen.
Was laut eve&rave auch zur Wahrheit gehört: "Überdosierte Pillen sind heutzutage – und auch schon länger – eher die Regel als die Ausnahme." Das liegt aber nicht daran, dass die Produzent:innen ihre Kund:innen umbringen wollen. Schuld an der hohen Dosierung sei die niederländische Drogenpolitik: Dort ist eine Pille erlaubt, egal wie stark sie ist. Das bedeutet: Hochdosierte Ecstasy-Pillen beinhalten mehr als eine Konsumeinheit. eve&rave sagt dazu:
Ist in der eigenen Stadt noch keine Möglichkeit, die eigenen Substanzen testen zu lassen – oder keine Zeit – gibt es außerdem mehrere Webseiten, die Warnungen zu bestimmten Substanzen herausgeben, die sie getestet haben. Aber auch generelle Informationen zu den jeweiligen Substanzen. Denn auch das ist klar: Zu einem sichereren Konsum braucht es Informationen.
Viele Akteur:innen im Bereich der Sucht- und Drogenhilfe sind sich einig, dass der Schlüssel im Umgang mit Drogenkonsument:innen im Präventionsangebot liegen muss.
Bei der Suchtprävention wird etwa in Erfahrung gebracht, warum Menschen konsumieren. Ob sie Probierkonsument:innen sind, oder Süchte entwickeln. Und es geht oft darum, wie mit stressigen Situationen ohne Drogen umgegangen werden kann. Dazu braucht es mehr Aufklärung.
In einem früheren Gespräch mit watson erklärte Anke Timm von der Berliner Fachstelle für Suchtprävention: "Wir brauchen eine Förderung von Konsumkompetenz, damit Menschen lernen, gesunde und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen."
Auch der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert fordert diese Debatte. Er stellt klar:
Worum es nun also gehen müsse, sei ein Diskurs über Drogenkonsum, Suchthilfe und Prävention. Hilfsangebote müssten schneller bei den Betroffenen ankommen. "Das Thema Sucht gehört in den Ministerien und Senaten auf die Leitungsebene", meint Blienert.
Es brauche sowohl kompetente Ansprechpartner:innen, als auch ein "flächendeckendes, ausreichend finanziertes Suchthilfe- und Präventionsnetz vor Ort." Einsparungen im Bereich Suchtberatung und Anlaufstellen müssten außerdem zum Tabu werden.
Der Bundesverband JES, die Abkürzung steht für Junkies, Ehemalige und Substituierte, fordert darüber hinaus in der Zeitschrift "Drogenkurier", dass der Zugang zu Substitutionsprogrammen erleichtert werden müsste. Außerdem spricht sich der Verein für mehr Drogenkonsumräume aus.
Das sind Orte, an denen Menschen ihre Drogen mit sauberen Bestecken konsumieren können, ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung zu haben. Sie haben dort außerdem sozialen Kontakt und können Informationen zu den Substanzen oder auch Suchtberatung bekommen. Bisher gibt es dieses Angebot eher selten. 2022 waren es gerade einmal 29 Räume bundesweit.
In der Drogenpolitik gibt es also noch einiges zu tun, damit der Konsum – der ohnehin stattfindet – sicherer wird. Und vielleicht die:der ein:e oder andere Konsument:in den Weg aus der Sucht findet.