Politik
Analyse

Femizid in Deutschland: Warum Fußfesseln und Symbolpolitik nicht reichen

Abuse victim being threatened Copyright: xAntonioGuillemx Panthermedia27069935 ,model released, Symbolfoto
Gefahr für Frauen geht häufig von Personen aus, die sie gut kennen. Das macht Gewalt noch belastender.Bild: imago images / AntonioGuillem
Analyse

Wenn Frausein im Tod endet: Warum Femizide kein Einzelfall sind

Die Innenministerkonferenz (IMK) berät erstmals prominent über Femizide. Doch um Tötungsdelikte von Männern an Frauen zu verhindern, braucht es mehr als Symbolpolitik.
13.06.2025, 18:5713.06.2025, 21:01
Mehr «Politik»

Gewalt an Frauen ist Realität. Jede Frau kennt Situationen, in denen sie sich unsicher fühlt. Jede dritte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt, etwa jede vierte mindestens einmal durch ihren aktuellen oder früheren Partner.

Jede Form hinterlässt tiefe Spuren.

Im schlimmsten Fall kann sie im Tod enden. Dann spricht man von Femizid. Wie das aussehen kann, zeigt ein Fall von Mitte Mai: Eine Mutter von sieben Kindern soll in Varel von ihrem getrennt lebenden Mann mit dem Auto überfahren worden sein, sie starb noch vor Ort.

Allein im Jahr 2023 sind laut BKA 155 Frauen in Deutschland durch ihren (Ex-)Partner getötet worden. Doch noch immer fehlt eine bundeseinheitliche Definition vom Femizid, die jeweiligen Tatmotive werden nicht in der Statistik erfasst. Trans*Frauen tauchen in der Statistik nicht auf. Die Dunkelziffer dürfte nicht nur deshalb höher sein.

ILLUSTRATION - 01.07.2023, Berlin: Eine Frau sitzt vor zerbrochenen Tellern, die auf dem Boden einer Wohnung liegen.(Gestellte Szene) (zu dpa: «Landtag debattiert über Schutz von Frauen vor Gewalt») F ...
Viele Frauen mit Gewalterfahrungen stehen vor den Trümmern ihres Lebens.Bild: dpa / Fabian Sommer

Hinter den Daten stecken echte Lebensgeschichten. Geschichten von Leid, von Trauma. Oder eben Geschichten vom Tod. Umso dringlicher, dass das Thema bei der Innenministerkonferenz diese Woche eine Bühne fand. Expert:innen sind sich einig: Es muss sich etwas ändern, besser gestern als heute. Denn in Deutschland ist der Schutz von Frauen vor Femizid kläglich. Und Spanien könnte ein Teil der Lösung sein.

Femizide bei der Innenministerkonferenz: Keine "Familiensache" mehr

Femizide und Gewalt an Frauen resultieren meist aus vermeintlichen Besitzansprüchen, die (Ex-)Partner, Väter oder Brüder gegenüber Frauen und Mädchen hegen. Besonders dramatisch: Viele Frauen ahnen, dass ihnen etwas Schlimmes droht. Doch häufig kann nicht genug getan werden, weil Strukturen sowie gesellschaftliche und rechtliche Grundlagen fehlen.

Dass die Innenministerkonferenz das Thema Femizide prominent diskutierte, bewertet der Dach- und Koordinierungsverband Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) deshalb als "überfälligen und sehr begrüßenswerten Schritt".

Der FHK-Verband ist nah dran an den Lebensrealitäten der Frauen, unterstützt Frauenhäuser und Fachberatungsstellen in Deutschland fachlich, vertritt sie politisch. Gegenüber watson lässt er zur IMK verlauten: "Damit wird das Thema endlich aus der Sphäre vermeintlicher 'Familiensachen' herausgehoben und als sicherheitspolitisch relevant anerkannt." Diese Verschiebung sei entscheidend, weil sie die gesellschaftliche und staatliche Verantwortung für den Schutz von Frauen vor tödlicher Gewalt unterstreiche.

Femizide: Maßnahmen wie Fußfesseln sind gut, reichen aber nicht aus

Ulrich Mäurer (SPD), Innensenator in Bremen, ist dieses Jahr Ausrichter der Konferenz. Er hatte das Thema auf die Agenda gesetzt. "Die Anzahl der Tötungsdelikte ist einfach erschreckend", sagte Mäurer dem rbb. "Es vergeht fast kein Tag, wo nicht eine Frau umgebracht wird in dieser Republik."

Doch was hilft gegen Femizide?

Ein vorherrschender Vorschlag im Kampf dagegen: elektronische Fußfesseln. Als funktionierendes Beispiel nennt der Innensenator das System in Spanien. "Und es ist einfach eine Schande, dass wir so lange gebraucht haben, um diesen Weg nachzuverfolgen", sagt er.

11.06.2025, Bremen, Bremerhaven: Alexander Dobrindt (CSU,M), Bundesminister des Innern, und die Innenministerinnen und Minister der L�nder beim Empfang zur Innenministerkonferenz (IMK) im Klimahaus. S ...
Femizide sind erstmals prominent Thema bei der Innenministerkonferenz.Bild: dpa / Sina Schuldt

Im spanischen Modell könne eine Frau, die gefährdet ist, durch einen Sensor immer erkennen, wo die Person ist, von der eine Gefahr ausgeht. Sie könne dann diese Orte meiden oder die Polizei informieren.

Dorothee Dienstbühl, Professorin für Kriminalistik an der Hochschule der Polizei in Brandenburg, sieht in der Fußfessel ein potenziell lebensrettendes Instrument – wenn es richtig eingesetzt wird. "Ja, sie kann Leben retten", sagt sie im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vor allem in akuten Bedrohungslagen, wenn eine Frau sich versteckt und der Täter sich nähert, könne das System Alarm schlagen.

Technik könne also helfen – aber nur im Einzelfall. Um präventiv zu handeln, brauche es bundesweit einheitliche Standards zur Einschätzung sogenannter Hochrisikofälle sowie klare rechtliche Grundlagen für richterliche Anordnungen.

Trotz dieser Potenziale warnen Expert:innen davor, sich zu sehr auf technische Lösungen zu verlassen.

Laut Sabine Patricia Maier, Akademische Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie an der Universität Tübingen, ist das Potenzial von Fußfesseln oder ähnlichen Maßnahmen "sehr begrenzt", wie sie gegenüber watson betont.

Damit bezieht sie sich auf einen aktuellen Bericht ihrer Kollegen Jörg Kinzig und Florian Rebmann, wonach der Fußfessel-Einsatz ohne präzise Gefahrenprognose, zentrale Fallkoordination und eine solide technische wie personelle Infrastruktur eher Symbol als Schutz sei.

06.03.2025, Belgien, Brüssel: Rote Schuhe stehen als Protestaktion gegen Femizid auf dem Jean-Rey-Platz. Foto: Marius Burgelman/Belga/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Brüssel: Rote Schuhe stehen als Protestaktion gegen Femizid auf dem Jean-Rey-Platz.Bild: Belga / Marius Burgelman

Besonders problematisch ist demnach, dass viele Femizide aus dem unmittelbaren Zusammenleben heraus verübt werden – also in Situationen, in denen eine Fußfessel oft gar nicht rechtzeitig angeordnet wird. Sie sind also nur ein Teil der Lösung.

"Täterkultur" als Problem bei Femiziden in Deutschland

Spanien ist laut Dienstbühl nicht nur technisch, sondern vor allem gesellschaftlich ein Vorbild. "Wenn dort eine Frau getötet wird, ist das keine Randnotiz – es ist die erste Nachricht in den Abendnachrichten", sagt sie. Im Parlament werde bei jedem Femizid eine Schweigeminute abgehalten.

In Deutschland dagegen dominiere noch immer ein Denken, das Täter schützt und Frauen Verantwortung zuschiebt. "Wir haben eine Täterkultur", sagt Dienstbühl. Viel zu oft werde die Schuld umgelenkt: Warum bist du zurückgegangen? Warum hast du ihn überhaupt gedatet?

Solche Einstellungen sind laut Studien auch bei jungen Männern verbreitet. Für Dienstbühl steht fest: "In dem Moment, in dem ein Mensch durch Gewalt eines anderen zu Schaden kommt, hat der Staat versagt." Die Schutzpflicht des Staates ergebe sich aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Und genau an dieser Verpflichtung müsse sich die Politik messen lassen.

Femizide bekämpfen – mit mehr als Symbolpolitik

Sabine Patricia Maier sagt hierzu: "Um Gewalt zu verhindern, braucht es nicht nur repressive, sondern auch präventive Maßnahmen, die beispielsweise (strukturelle) Abhängigkeiten in Beziehungen verringern, insbesondere aber auch an Geschlechterrollen und Männlichkeitsbildern ansetzen – sozial- und gleichstellungspolitische Maßnahmen."

Dieser Meinung ist auch der Verband Frauenhauskoordinierung e.V., wie er gegenüber watson verlauten lässt. Er betont zusätzlich die Notwendigkeit, Hilfeangebote bekannter zu machen und dauerhaft zu finanzieren. Als entscheidenden dritten Punkt nennt der Verband praktische Unterstützung beim Ausstieg aus der Gewaltbeziehung für betroffene Frauen. Auch hierbei sei das spanische Modell vorbildlich, das ihnen beispielsweise Jobs oder bezahlbaren Wohnraum vermittele.

Femizid als eigener Straftatbestand

Ein weiteres Problem: Femizid ist in Deutschland kein offiziell definierter oder einheitlich verwendeter Rechtsbegriff. Im Strafgesetzbuch (StGB) taucht der Begriff Femizid nicht auf.

ARCHIV - 15.11.2023, Niedersachsen, Hannover: Menschen nehmen an einer Demonstration gegen Femizide auf dem Goseriedeplatz in Hannover teil und stehen dabei hinter niedergelegten Blumen und Kerzen. (z ...
Hannover: Menschen nehmen an einer Demonstration gegen Femizide teil.Bild: dpa / Moritz Frankenberg

Auch wenn Tötungen aus Besitzanspruch oder im Zuge einer Trennung in Deutschland als Mord oder Totschlag strafbar sind, gelten sie strafrechtlich nicht automatisch als geschlechtsspezifische Gewalt. Eine entsprechende Motivation kann strafverschärfend wirken, wird in der gerichtlichen Praxis aber selten ausdrücklich benannt. Dadurch bleibt die strukturelle Dimension vieler dieser Taten oft unsichtbar.

Das zeigt sich auch in der Berichterstattung: Laut Dienstbühl käme kein spanisches Medium auf die Idee, Femizide als "Beziehungstat" zu bezeichnen.

"Die Anerkennung des Begriffs Femizid ist wichtig", heißt es vom FHK hierzu. Nur so könne man geschlechtsspezifische Gewalt umfassend abbilden und strukturelle Ursachen und gesellschaftliche Zusammenhänge von Gewalt gegen Frauen angemessen thematisieren und bekämpfen. Denn Frauen dürfen nicht sterben, weil sie Frauen sind.

Trump vergrault Urlauber: New York verliert Millionen Besucher
Das Paradies für Tourist:innen leidet unter einer seiner berühmtesten Bewohner:innen: New York City rechnet für 2025 mit rund zwei Millionen weniger internationalen Gästen. Ein Verlust, der ins Herz der Wirtschaft der Stadt trifft, die niemals schläft.

New York City – die Stadt der Superlative. Weltberühmt für ihren Central Park, den Broadway und den Times Square. Jahr für Jahr zieht es Millionen Menschen in die Metropole an der Ostküste der USA.

Zur Story