Die gesetzliche Rente macht vielen Sorgen. Ist sie in Gefahr? Bringt die Boomer-Unwucht das System ins Straucheln? Braucht es ein Umdenken, sind die Ansprüche unrealistisch, ist der Generationenvertrag passé? Fragen, die sich zum Schreckgespenst bündeln, das durchs gesamte politische Spektrum zieht und alte wie junge schauern lässt.
Neu ist das Gespenst nicht. Schon in den Achtzigern ging es um, als Politiker:innen vor den Folgen des demografischen Wandels warnten. Sie sahen das Rentensystem in Gefahr, eine steigende Lebenserwartung plus eine rückläufige Geburtenrate drohten es zu torpedieren, so die Annahme. CDU-Sozialpolitiker Norbert Blüm hielt eisern dagegen, betonte in seinen längst geflügelten Spruch: "Denn eins ist sicher: die Rente!" Er hielt am Generationenvertrag fest.
Heute stellt sich die Frage, ob er sich nicht geirrt hat, ob die Rente nicht doch in Gefahr ist; ob junge Menschen künftig mit Abstrichen rechnen müssen. Politiker:innen und Ökonom:innen poltern mit Vorschlägen durch Talkshows, Journalist:innen ziehen mit.
Doch die Ideen sind meist fragwürdig – und stiften Panik. Dabei gibt es Lösungen.
Auf den ersten Blick mögen die Sorgen auch berechtigt sein. Ab 2025 verlassen die Babyboomer allmählich den Arbeitsmarkt, bis 2036 werden 19,5 Millionen von ihnen das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben. Im selben Zeitraum sollen aber nur 12,5 Millionen neue Beschäftigte nachkommen. Eine besorgniserregende Lücke.
Schließlich funktioniert die gesetzliche Rentenversicherung über ein Umlageverfahren, heißt: Beiträge der heutigen Erwerbstätigen fließen in einen Topf (die Rentenversicherung) und dann an die heutigen Rentner:innen. Fehlen Menschen, fehlt es an Geld und die Alterssicherung bröckelt.
In mancher ökonomischen Echokammer dröhnt entsprechend der Ruf nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters. Je nach Stimmung, Tag oder Wetter mal auf 68, mal auf 69, mal auf 70 Jahre. Auch Journalist:innen fordern vereinzelt zumindest eine Anpassung an die Lebenserwartung, etwa Jana Gioia Baurmann in der "Zeit".
Was sie ausblenden: die Lebenserwartung unterscheidet sich je nach Einkommensschicht. Wer viel verdient, lebt länger. Genauso gilt, wer viel verdient, bekommt mehr. Lohnarbeiter:innen müssten sich in zermürbenden Jobs also länger kaputt arbeiten, mit einer ohnehin mageren Rente in Aussicht. Und die würde sogar noch weiter schrumpfen.
"Im Grunde läuft ein erhöhtes Renteneintrittsalter auf eine Kürzung hinaus", erklärt Johannes Geyer, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, gegenüber watson. Eigentlich logisch. Je höher die Erwerbszeit, desto kürzer die Zeit in Rente. Da dürfte es doch erfreuend sein, dass die CDU mittlerweile von derlei Vorhaben absieht, oder?
Nicht ganz. Heute pocht sie auf "freundlichere" Alternativen, etwa einer Aktivrente. Rentner:innen sollen ihr Geld durch steuerfreie Weiterarbeit aufstocken können. Gleichzeitig ist ein stabiles Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittslohns erstmal nur bis 2031 sicher. Eventuell wird in Zukunft aus dem "arbeiten können" ein "arbeiten müssen".
Sinkt das Rentenniveau, werden die Renten im Verhältnis zum Einkommen geringer, was die Lebensqualität künftiger Rentner:innen verschlechtert. Futter für finanzielle Unsicherheit und Existenzängste, besonders für Menschen im Niedriglohnsektor. Sie können ohnehin kaum mit einer Rente rechnen, die sie vor Altersarmut bewahrt. Aufstockerjobs sind hier meist zwingend nötig, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Um das Übel zumindest einzudämmen, müssten junge Menschen damit rechnen, "höhere Rentenbeiträge zu stemmen und sich eventuell materiell mehr einzuschränken", erklärt Geyer. Klingt alles erstmal nicht rosig. Dabei lassen sich die Folgen abfedern.
Materieller Verzicht durch höhere Beiträge sei zum Beispiel besser zu verkraften, wenn sich die Erwerbseinkommen gut entwickeln. "Höhere Beiträge sind einfacher zu stemmen, wenn das Einkommen entsprechend wächst." Das ist nicht so einfach – wie die Mindestlohndiskussion anschaulich zeigt. Im Prinzip braucht es dafür Wachstum, gute Qualifizierung und auch eine durchsetzungsstarke gewerkschaftliche Vertretung.
Dann wäre da noch eine Ausweitung des Versichertenkreises, etwa eine Bürger:innenrente. Beamt:innen könnten künftig ebenfalls einzahlen, sagt Geyer. Eine weitere Möglichkeit ist die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze.
Die liegt in Westdeutschland bei 7100 Euro und in Ostdeutschland bei 6700 Euro. Wer viel verdient, zahlt nicht darüber hinaus in die Rentenkasse. Höhere Einkommen könnten sich also stärker beteiligen. An Geld mangelt es hierzulande schließlich nicht. Es ist nur schlecht verteilt. Und wer viel hat, wird dann noch entsprechend durch die Obergrenzen geschützt. Auch mehr Zuwanderung wäre eine Antwort auf das Problem. "Mehr Beitragszahler durch Migration könnten ebenfalls den Topf auffüllen", sagt Geyer.
Ökonom Maurice Höfgen hat einen weiteren Vorschlag: die Töpfe ganz abschaffen. Stattdessen könne der Staat die Rentenversicherungsbeiträge durch höhere Sätze bei der Einkommenssteuer ersetzen und "eine gute Rente zu einer öffentlichen Garantieleistung des Staates machen, die über den Haushalt statt über die Rentenkasse läuft", schreibt er im "Jacobin". Wer mehr hat, müsse höhere Steuersätze bezahlen und andersherum.
Statt also über Vorhaben wie ein höheres Renteneintrittsalter oder Aktivrenten zu diskutieren, wäre es sinnvoller, mehr politischen Willen zu mobilisieren. Es wäre sinnvoller, mehr über Umverteilung zu sprechen und Forderungen nicht mehr nach unten zu richten. Dafür ist eine starke Arbeiterbewegung nötig, die ordentlich Druck macht. Umverteilt wird sowieso, nur sollte sich endlich die Flussrichtung ändern.