Mehrere prominente SPD-Politiker:innen – darunter Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und Außenpolitiker Ralf Stegner – stellen sich in einem jüngst veröffentlichten "Manifest" offen gegen die aktuelle Sicherheits- und Außenpolitik der Bundesregierung – und damit auch ihrer eigenen Parteispitze unter Vizekanzler Lars Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius.
In dem Papier, das der dpa vorliegt und zunächst vom "Stern" veröffentlicht wurde, fordert der sogenannte Friedensflügel der SPD eine Abkehr vom militärischen Kurs, um "nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen". Europa brauche Deeskalation und Vertrauen statt einer militärischen "Alarmrhetorik" und eines "Rüstungswettlaufs".
Unerwähnt bleibt allerdings, dass Putin bislang keinerlei Interesse an einem Waffenstillstand zeigt – ebenso wenig werden frühere, folgenlose Gesprächsversuche, etwa durch Olaf Scholz oder Donald Trump thematisiert .
Genau dafür kassieren die Autor:innen sowie die gesamte SPD nun üble Kritik.
Aus allen Parteien gab es am Mittwoch etwa auf X Gegenwind zum Manifest. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnete das Papier als "ungeheuerlich". Er unterstellte Mützenich, Stegner und Co., die Ukraine "der Vernichtungsabsicht Russlands ausliefern" zu wollen – "und uns mit". Russland wolle "nicht verhandeln und keinen Frieden", hob er heraus.
Im Vergleich zu seinem Parteikollegen und CDU-Arbeitnehmerchef Dennis Radtke hielt sich Kiesewetter aber sogar noch zurück. Radtke sprach in Sachen SPD und Russland von einer "Lernkurve wie bei einem Hirntoten". Er kritisierte ein "falsches Verständnis von Brandtscher Ostpolitik in der SPD", das nicht nur naiv sei, sondern auch die deutsche Sicherheit gefährde.
Grünen-Politikerin Ricarda Lang referierte auf einen Post von Ende Mai, in dem sie die Hoffnung äußerte, dass ihre Ehe "so stabil ist, wie die Moskau-Connetion in der SPD". Nach dem Manifest scherzte sie nun: "Glaube langsam, das war ein zu ambitioniertes Ziel."
Ihre Parteichefin Franziska Brantner machte ihrerseits auf die jüngsten Versuche des US-Präsidenten Donald Trump aufmerksam. Wer Trumps "glanzlose Historie an gescheiterten Gesprächen und Zugeständnissen mit Putin" verfolgt habe, müsste wissen, wie erfolgreich die im Manifest genannten Vorschläge sein könnten.
Zu den Trump-Putin-Calls sowie dem folgenlosen Telefonat des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz – immerhin SPD-Parteikollege der Manifest-Autor:innen – im November mit Putin, äußerten sich Mützenich, Stegner und Co. in ihrem Papier nicht.
Die FDP-Europaabgeordnete und Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte am Vormittag das "ohrenbetäubend dröhnende" Schweigen von SPD-Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil und SPD-Fraktionschef Matthias Miersch – Mützenichs Nachfolger.
Die SPD-Spitze müsse "sofort erklären, ob sie hinter der Außenpolitik der neuen Bundesregierung steht". Strack-Zimmermann forderte gar, dass Bundeskanzler Friedrich Merz ansonsten "bereits jetzt über die Vertrauensfrage im Bundestag nachdenken" müsse.
Die bereits zum Zeitpunkt des Posts kühne Forderung der FDP-Politikerin wird wohl kaum in die Tat umgesetzt. Am Mittag distanzierte sich Miersch dann gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" von dem Manifest. Das Papier sei ein legitimer Debattenbeitrag, "auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile".
Diplomatie bleibe, so Miersch "natürlich" oberstes Gebot. "Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote – auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."
Vor dem Hintergrund einer "Bedrohungslage" müsse Deutschland mit "klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren". Hinter diesem Kurs stehe die SPD-Fraktion.
Dennoch gebe es kein Zerwürfnis in der Partei, beteuerte Miersch. "Ich bin uns sicher, dass uns dieses Fundament weiter eint", erklärte er. "Da braut sich gar nichts zusammen."
(mit Material der dpa)