Sechs Männer und Frauen, die Gesandten des Europäischen Rechnungshofs in Luxemburg, reisten im vergangenen Jahr nach Nordrhein-Westfalen reisten. Ihre Aufgabe: Prüfen, wie es um die Digitalisierung der deutschen Schulen steht.
1,2 Milliarden Euro erhält die Bundesregierung von der EU, um ihre Schulen digital fit zu machen. Doch das Urteil der sechs Männer und Frauen aus Luxemburg war ernüchternd. Vielmehr noch: erschütternd.
"Die EU-Förderung für eine bessere Digitalisierung von Schulen hat nicht ihre volle Wirkung entfaltet", schreiben sie in ihrem Bericht aus dem vergangenen Jahr. Der liest sich wie ein schlechter Scherz:
Und tatsächlich: Teilweise konnten Lehrkräfte auf ihren Dienstgeräten nicht die Software installieren, die sie für den Unterricht benötigten, andere Geräte waren nicht mit denen der Schüler:innen kompatibel. Manche Lehrkräfte mussten weiter mit ihren privaten Laptops arbeiten, weil die neuen Geräte nicht für den Einsatz in der Schule geeignet waren.
Übersetzt bedeutet das also, die Fördergelder für deutsche Schulen sind schlichtweg versickert und das, obwohl Deutschlands Schulen diese mehr als nötig haben.
Ein weiterer Kritikpunkt des EU-Rechnungshofs: Die meisten Mitgliedsstaaten hatten mit den zusätzlichen Mitteln lediglich ihre bereits zugewiesenen nationalen Mittel an die Schulen ersetzt. In Deutschland floss ein Großteil dieser Gelder in den ersten Digitalpakt Schule. Der steht nun vor dem Aus. Doch trotz Startschwierigkeiten wird dringlichst eine Fortsetzung gefordert.
2018 wurde der Digitalpakt Schule von der damals schwarz-roten Bundesregierung mit ursprünglich fünf Milliarden Euro Fördermitteln beschlossen. Im Zuge der Corona-Pandemie wurden diese nochmal um 1,5 Milliarden Euro erhöht.
Umsonst, so scheint es. Hatte doch der Bundesrechnungshof 2022 ebenfalls in einem Bericht erhebliche Kritik am Digitalpakt Schule geübt. Sogar ein Ende des Programms nahegelegt.
Doch eigentlich war der Digitalpakt Schule von Anfang an als langfristiges Projekt ausgelegt. "Gemeinsam mit den Ländern werden wir einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen", heißt es immerhin im Koalitionsvertrag der Ampel.
2016 hatte die Europäische Kommission das Ziel vorgegeben, alle Schulen in der EU bis 2025 an das Gigabit-Internet anzuschließen. 2022 konnten das nur wenige Schulen vorweisen.
Im Mai dieses Jahres läuft der erste Digitalpakt aus. Eine Fortsetzung, wie sie für 2024 angekündigt war, gibt es vorerst nicht. Frühestens 2025. Der Vorwurf: eine Versorgungslücke von mindestens sieben Monaten könnte drohen. Dazu kommt noch der Sparkurs, den die Ampel für 2024 fahren muss.
"Der Bund muss mit seiner Anschlussfinanzierung, flankiert durch weitere Mittel der Länder, in möglichst gleicher Höhe an den ersten Digitalpakt Schule anschließen", fordert Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, auf watson-Anfrage. Nur so bleiben die Schulen digital weiterhin auf einem funktionierenden Stand, beziehungsweise würden die wenigen "zurückgebliebenen" diesen ebenfalls erreichen, sagt er.
Zwar habe der Digitalpakt Schule "sicher noch zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten", immerhin finanzierte er aber vielen Schulen eine Grundausstattung an Hard- und Software sowie digitaler Infrastruktur, betont Düll.
Doch Florian Fabricius, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, erzählt im Gespräch mit watson: "Es gibt immer noch Klassenzimmer, die wie bei meinem Vater vor 40 Jahren ausgestattet sind."
Düll wird nochmal deutlicher und kann sich wohl einen Seitenhieb gegen die Ampelregierung nicht verkneifen:
Der erste Digitalpakt Schule habe sich primär darauf fokussiert, Geräte anzuschaffen, sagt Florian Fabricius. Doch die Handhabung dieser sei vollkommen auf der Strecke geblieben. "Wir können nicht einfach Schülern Geräte in die Hand drücken und erwarten, dass sie damit umgehen können."
Der Schülervertreter warnt explizit davor, anzunehmen, dass es mit der Anschaffung der Geräte getan sei. "Digitalisierung ist eine kontinuierliche Ausgabe. Die Geräte müssen gewartet werden, es braucht Medienkompetenz – und vor allem die Infrastrukturen drumherum, mit entsprechendem Knowhow."
In eine ähnliche Kerbe schlägt die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Ria Schröder. Sie legt nahe: "Der Digitalpakt 2.0 darf kein Tablet-Reparatur-Programm werden, er muss besser werden als sein Vorgänger. Weniger Bürokratie, verbesserter Mittelabfluss und bedarfsgerechter Mitteleinsatz." Auch die Kommunen müssten stärker beteiligt werden.
Der Lehrervertreter Düll weist zudem auf den hohen bürokratischen Aufwand hin, den die Schulen bisher leisten mussten. "Jedes Bundesland und jede einzelne Schule musste in einem umständlichen Prozess auf vielen Seiten faktisch die Notwendigkeit der Digitalisierung an Schulen im 21. Jahrhundert nachweisen." Er fügt hinzu: "Der Digital-Bürokratismus des Bundes muss ein Ende haben."
Florian Fabricius fordert deshalb multiprofessionelle Teams. Es könne nicht sein, dass der Verwaltungsaufwand bei den Schulleiter:innen oder Lehrenden hängen bleibt.
Worauf es aber vor allem ankomme, sei eine definitive Zusage der Verlängerung. "Wir haben gerade eine riesige Unsicherheit. Die Kommunen brauchen Sicherheit", sagt der Schülervertreter.
Bildungspolitikerin Schröder weist darauf hin, dass es keine Versorgungslücke geben wird, denn viele Gelder seien nicht ausgegeben und noch bis Ende des Jahres nutzbar.
Florian Fabricius hingegen sieht trotzdem die Gefahr einer Versorgungslücke. Denn können die Schulen und Kommunen nicht langfristig planen, würden auch keine zukunftsfähigen Strategien entwickelt oder entsprechendes Fachpersonal bezahlt.
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erklärte 2023: "Angesichts der Größe der Herausforderung setze ich mich mit Nachdruck dafür ein, die Schulen in unserem Land mit dem Digitalpakt 2.0 noch zielgenauer und unbürokratischer bei der Digitalisierung zu unterstützen."
Eine Sprecherin des Bildungsministeriums sagt dazu auf Anfrage von watson:
Florian Fabricius betont im Gespräch: Klar sei, der Digitalpakt war der erste Aufschlag – und bei weitem nicht einwandfrei. Aber: "Wir warnen davor, den Digitalpakt in seine Einzelteile zu zerpflücken und ihn ausschließlich kritisch zu bewerten. Sonst haben wir am Ende gar keine Verbesserung in Sachen Digitalisierung. Das wäre fatal."