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Russland: Wettermanipulation könnte zur Waffe im Krieg werden

Brothers Parker, left, and Carver Cammans install cloud seeding equipment Saturday, Dec. 3, 2022, in Lyons, Colo. The technique to get clouds to produce more snow is being used more as the Rocky Mount ...
Installation einer Anlage zur Wolkenimpfung in den USA: Sie soll zu mehr Schneefall in den Rocky Mountains führen.Bild: AP / Brittany Peterson
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Wettermanipulation als geopolitische Gefahr: Wie Russland sie nutzen könnte

Russland setzt in seiner hybriden Kriegsführung auf ein breites Repertoire – von Cyberangriffen bis zu gezielten Sabotageakten. Die Beeinflussung von Wetter und Klima könnte in Zukunft ein gefährlicher Teil davon werden.
17.08.2025, 15:1417.08.2025, 15:14
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Russland hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass es die ganze Klaviatur der sogenannten hybriden Kriegsführung beherrscht: von Desinformationskampagnen über Cyberangriffe bis zu gezielten Sabotageakten. In dieser Grauzone zwischen Krieg und Frieden setzt der Kreml auf Methoden, die schwer nachzuweisen und noch schwerer zu sanktionieren sind.

Doch wie ist es mit der Beeinflussung des Wetters? Schließlich wäre das eine starke Waffe, um Gegner:innen gezielt zu schwächen.

Viele Staaten treiben (als zivil deklarierte) Projekte zur Wetter- oder Klimamanipulation voran: etwa China, die USA, Deutschland und Russland – mit dem Ziel, Dürren oder Hagel zu bekämpfen oder die Folgen der Erderwärmung abzumildern.

ACHTUNG: SPERRFRIST 16. JANUAR 20:00 UHR. ACHTUNG: DIESER BEITRAG DARF NICHT VOR DER SPERRFRIST, 16. JANUAR 20.00 UHR, VERÖFFENTLICHT WERDEN! EIN BRUCH DES EMBARGOS KÖNNTE DIE BERICHTERSTATTUNG ÜBER S ...
Nicht nur in Chile sieht man: Dürren nehmen weltweit zu.Bild: AP / Matias Basualdo

Diese Technologien könnten in einem geopolitischen Konflikt auch zweckentfremdet werden. Die Frage liegt daher nahe: Könnte Russland das Wetter zur Waffe machen? Was ist heute möglich?

Warum Wetter zum geopolitischen Faktor wird

Extreme Wetterlagen sind sicherheitspolitisch relevant: Dürren, Überschwemmungen oder Missernten können Staaten destabilisieren, Fluchtbewegungen auslösen und Konflikte verschärfen.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) führt die Folgen der Klimakrise mittlerweile als eine der größten geopolitischen Risiken auf – in einer Reihe mit einem aggressiv-expansiven Russland, den Ambitionen Chinas oder wachsender Cybergefahr.

Auch Eingriffe in Wetter und Klima sind demnach ein sicherheitsrelevantes Thema: "Geoengineering-Methoden zielen darauf ab, die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels (vorübergehend) abzumildern. Ihr Einsatz brächte jedoch neue klimatische und geopolitische Risiken mit sich, die der BND als sicherheitsrelevant einstuft", teilte der Dienst auf Anfrage von watson mit.

In der Nationalen Interdisziplinären Klimarisikoeinschätzung 2025 wird betont, dass solche Eingriffe – selbst bei friedlicher Absicht – internationale Spannungen verschärfen könnten.

Von Wolkenimpfung bis Stratosphären-Aerosole

Technisch lassen sich zwei Bereiche unterscheiden: Wettermodifikation und Geoengineering. "Das sind zwei getrennte Themen", erklärt Alan Robock, Klimaforscher an der Rutgers University und einer der führenden Experten auf diesem Gebiet im Gespräch mit watson. "Wettermodifikation meint Versuche, in einem begrenzten Gebiet Regen oder Schnee zu erzeugen, etwa durch Wolkenimpfung. Solche Programme gibt es weltweit, der Effekt ist aber höchstens minimal und wissenschaftlich schwer zu belegen."

Dass solche Verfahren angewendet werden, hat Russland wiederholt demonstriert. Vor wichtigen Feierlichkeiten in Moskau – darunter die Militärparaden am 9. Mai – setzt die russische Regierung seit Jahren gezielt Flugzeuge ein, um Wolken "abregnen" zu lassen. Dafür werden Substanzen wie Silberjodid oder flüssiger Stickstoff in Wolken injiziert, damit sich Niederschlag vorzeitig entlädt und die Parade bei trockenem Wetter stattfinden kann: Wettermodifikation.

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Mit Silberiodid kann man den Niederschlag erhöhen, so die Hoffnung.Bild: The Durango Herald / Jerry McBride

Anders ist es laut Robock bei Geoengineering, etwa Klima-Interventionen wie SRM, die darauf abzielen, die globale Erwärmung zu bremsen. "Technologien wie die Aufhellung von Meereswolken oder das Einbringen reflektierender Partikel in die Stratosphäre gibt es bislang nicht, sie könnten aber in ein bis zwei Jahrzehnten einsatzfähig sein", sagt Robock. Er stellt klar: "Es gibt derzeit keine Möglichkeit, das Klima gezielt in einer einzelnen Region zu steuern."

Selbst groß angelegte Eingriffe sind bislang nur theoretische Konzepte und in der Praxis weder ausreichend erprobt noch beherrschbar. Für aktuelle geopolitische Szenarien bleibt Wettermanipulation daher vor allem ein diskutiertes Risiko – nicht eine einsatzfähige Waffe.

Doch je weiter die Forschung fortschreitet, desto höher das Risiko einer politischen Zweckentfremdung.

Hybride Kriegsführung mit Wettereffekt – was Experten befürchten

Die Vorstellung, dass Russland solche Technologien als geostrategische Waffe einsetzen könnte, mag heute spekulativ wirken. Doch ein Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, wie schnell der Kreml neue Methoden in sein Repertoire integriert.

"Fast jedes Land ist für extreme Wetterlagen anfällig. Wenn man diese mit einer Technologie verbessern kann, kann man sie wahrscheinlich auch verschlechtern – etwa, indem man den Einsatzzeitpunkt umkehrt", sagte Dan Marks, Experte für Energiesicherheit am Rusi, in einem Interview mit der "Times". Ziel könnte sein, Ernten zu vernichten, die Trinkwasserversorgung zu stören oder logistische Ketten zu unterbrechen – ohne einen Schuss abzugeben.

Der britische Thinktank Royal United Services Institute (Rusi) hat mehr als 200 mutmaßliche russische Hybridoperationen in Europa zwischen 2014 und 2024 dokumentiert: von Brandanschlägen auf Munitionsdepots über die Sabotage von Energieanlagen bis hin zu GPS-Störungen im Luftverkehr.

Russlands Informationsapparat greift das Thema Wettermanipulation bereits propagandistisch auf. Nach einer schweren Sturmfront in der Schwarzmeerregion verbreiteten kremlnahe Medien und Telegram-Kanäle die unbelegte Behauptung, die USA hätten "Klimawaffen" gegen die Krim eingesetzt. Laut einer Analyse des Atlantic Council’s Digital Forensic Research Lab (DFRLab) wurden dabei bekannte Verschwörungsnarrative reaktiviert.

Solche Kampagnen können das Vertrauen in wissenschaftliche Klimaforschung untergraben – und zugleich als Ablenkung von eigenen Handlungen dienen.

Selbst wenn ein Staat tatsächlich versuchte, Wetter oder Klima gezielt zu manipulieren, wäre der Nachweis extrem schwierig. Klima- und Wettersysteme sind komplex, natürliche Schwankungen groß. Laut Rusi könnten viele Geoengineering-Methoden unter dem Deckmantel ziviler oder wissenschaftlicher Forschung getestet werden.

Gerade diese "plausible Abstreitbarkeit" mache die Technologie aus Sicht mancher Sicherheitsexpert:innen interessant.

Rechtliche Grauzonen: kaum Regelungen vorhanden

Völkerrechtlich gibt es zwar seit 1978 die UN-Konvention ENMOD (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques), die militärische Nutzung von Umwelt- und Wettermanipulation verbietet.

Doch das Abkommen ist vage formuliert, schwer zu überwachen und nicht auf moderne Geoengineering-Verfahren zugeschnitten. Zusätzlich existiert unter der Biodiversitätskonvention ein politisches Moratorium für großflächige SRM-Anwendungen, allerdings ohne rechtliche Bindung.

Laut Rusi reicht das russische wissenschaftliche Interesse an Solar-Geoengineering bis in die Sowjetzeit zurück. Moskau hatte lange eine aktive Stimme in der internationalen Forschungsgemeinschaft, bis es nach dem Überfall auf die Ukraine zunehmend isoliert wurde. Dass Russland an einer militärischen Nutzung arbeitet, ist nicht belegt – doch die Kombination aus wissenschaftlicher Expertise, politischer Risikobereitschaft und Erfahrung in hybriden Operationen gilt als Warnsignal.

Kurzfristig erwarten Expert:innen nicht, dass Russland das europäische Wetter gezielt beeinflussen kann. Wahrscheinlicher sei ein langsames Herantasten.

Rusi empfiehlt schon jetzt internationale "rote Linien": klare Verbote für den offensiven Einsatz von Geoengineering, gemeinsame Überwachungsmechanismen und den Aufbau von Frühwarnsystemen. Ebenso wichtig sei es, die Risiken in nationale Sicherheitsstrategien zu integrieren – ähnlich wie bei Cyberabwehr.

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