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AfD im Bundestag: Neue Strategie für Macht mit der CDU – Experte warnt

AfD leader Alice Weidel gestures in the German federal parliament, Bundestag, at the Reichstag building in Berlin, Tuesday, May 6, 2025. (AP Photo/Ebrahim Noroozi)
Die AfD-Chefin Alice Weidel widerspricht sich innerhalb weniger Sekunden selbst.Bild: AP / Ebrahim Noroozi
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AfD setzt auf Imagewechsel im Bundestag– doch ihr Ziel bleibt gefährlich

Die AfD gibt sich im Bundestag plötzlich gesitteter. Dahinter steckt kein Sinneswandel, sondern eine Strategie mit Risiko.
08.07.2025, 17:0908.07.2025, 17:09
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Die AfD-Fraktion im Bundestag ist bekannt für ihr ungesittetes, lautes Auftreten. Zwischenrufe, Beleidigungen, Buh-Rufe: Vieles daran erinnert mehr an unerzogene Kinder als an Politiker:innen. Eigentlich. Denn wer in diesen Wochen das Plenum des Bundestags beobachtet, könnte fast vergessen, dass dort eine Partei sitzt, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

Die AfD-Fraktion fällt im Bundestag aktuell weniger mit Provokationen, Störungen und Grenzüberschreitungen auf. Der Ton ist sachlicher, die Wortmeldungen abgestimmt, selbst bekannte Störer:innen wie Beatrix von Storch und Stephan Brandner halten sich im Vergleich zu vorher zurück.

Die Fraktionsführung erließ jüngst einen Verhaltenskodex: Nur noch thematisch zuständige Abgeordnete sollen Fragen stellen, Outfit-Kontrollen gehören offenbar ebenso dazu. Ziel sei laut einem Sprecher von Alice Weidel, "den Fokus klar darauf zu legen, die Regierung mit Sachargumenten zu stellen" – nicht mehr mit Parolen. Doch die Mäßigung ist reine Fassade und birgt Gefahren.

AfD: Taktik statt echte Wandlung

Für den Politikberater Johannes Hillje ist die Sache klar: "Es handelt sich um eine taktische Mäßigung, keinen politischen Kurswechsel." Gegenüber watson erklärt Hillje, dass die Partei damit gleich mehrere Ziele verfolgt: Zum einen geht es ihm zufolge darum, "für die Union anschlussfähiger zu werden und neue Wähler zu gewinnen".

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Zurückhaltung dürfte der AfD-Fraktion im Bundestag schwerfallen.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Zum anderen zeige der neue Tonfall, dass "die AfD einen drohenden Verbotsantrag mehr fürchtet, als sie öffentlich zugibt". Die Strategie sei nicht neu, betont Hillje.

Schon früher habe die AfD versucht, sich durch Selbstverharmlosung bürgerlich zu geben – allerdings nie konsequent. "Es wäre eine Überraschung, wenn sich alle Abgeordneten an die Vorgaben halten würden. Die AfD war bisher schwer zu disziplinieren."

Tatsächlich scheint die AfD bewusst zwei Signale gleichzeitig zu senden: nach innen die Botschaft, dass man sich nicht verbiegt – nach außen den Versuch, anschlussfähig zu wirken.

Diese Doppelstrategie zeigt sich auch in der Kommunikation der Parteiführung: Kurz nach Einigung auf den Verhaltenskodex klang die Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel bei der Pressekonferenz anders. Die AfD verbreitete die schärfsten Aussagen auf Telegram, eingeleitet mit den Worten: "Alice Weidel zieht über die Loser-Parteien her!", garniert mit einem Tränen-lachenden Emoji. Weidel warf der Regierung "Wählerbetrug", ja, "Lug und Trug" vor.

"Die versammelten 'Loser-Parteien' müssten eigentlich alle zurücktreten", erklärte sie. Zudem verglich sie die SPD wegen deren Absicht, ein Verbotsverfahren gegen die AfD anzustrengen, mit Hitler.

ARCHIV - 05.05.2025, Berlin: Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, und Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, stehen beim Pressestatment im Bundestag. (zu dpa: ...
Die AfD-Führung verfolgt ein gefährliches Ziel.Bild: dpa / Michael Kappeler

Am Montagnachmittag sagte Weidel dann in einem Pressestatement im Bundestag: "Wir brauchen uns nicht mäßigen." Ihre Partei vertrete "Positionen, die sehr vernünftig sind".

Strategie mit Hintergedanken: AfD will Anschluss an die Union

Nur wenige Sekunden zuvor hatten die Parteichefs allerdings angekündigt, ihrer Fraktion in der gleich beginnenden Sitzung vorschlagen zu wollen, demnächst den CDU-Kandidaten fürs Bundesverfassungsgericht mitzuwählen. Dieser brauche eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die AfD wolle ihm dazu verhelfen, "denn er mache einen vernünftigen Eindruck auf uns", sagte Weidel.

Warum dann dieser Zwiespalt?

Der MDR zitiert Politikwissenschaftler Werner Patzelt mit der Einschätzung, es habe sich ein "Gelegenheitsfenster" geöffnet: Die AfD sehe nun Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. "Und das kann man nur werden, wenn man eine fraglos auf dem Boden der Verfassung stehende Partei ist." Zumindest zum Schein.

Nicht umsonst griff die AfD-Fraktion in den vergangenen Wochen auffällig häufig Wahlkampfpositionen der Union auf – ob bei Agrardiesel, Kernkraft oder Heizungsgesetz.

AfD: Einheit durch Disziplin – oder neue Spaltung?

Mit dem neuen Tonfall will die Parteiführung offenbar nicht nur extern punkten, sondern auch interne Konflikte eindämmen, wie die "FAZ" analysiert. Der Richtungsstreit zwischen extrem rechtem Flügel und bürgerlich-konservativen Kräften schwelt seit Jahren.

Doch diese Strategie sorgt intern für Unruhe. Auffällig ist: In dem neuen Positionspapier "Sicherheit für Deutschland", das die Fraktion am Wochenende beschloss, fehlt das Wort "Remigration". Inhaltlich aber beschreibt der erste Punkt mit dem Titel "Innere Sicherheit für Deutschland" genau das, was in der Partei mit dem Begriff verbunden wird.

Prominente Vertreter der extremen Rechten wie Björn Höcke oder Lars Schieske warnten bereits davor, das "eigene Profil zu verwässern". Höcke postete demonstrativ ein Foto, das ihn bei der Lektüre von Martin Sellners Buch "Remigration" zeigt – eine klare Kampfansage an jede Form innerparteilicher Mäßigung.

Auch die Distanzierung des umstrittenen Abgeordneten Maximilian Krah von früheren Positionen stößt im neurechten Lager auf Ablehnung. Seine Gesprächsbereitschaft gegenüber Medien wie "Correctiv" gilt dort als Tabubruch. Die Spaltungslinie verläuft damit nicht nur entlang inhaltlicher, sondern auch stilistischer Fragen – zwischen konfrontativem Extremismus und taktischer Glättung.

Mäigung der AfD ist mehr Schein als Sein

Der Politikberater Hillje warnt unterdessen davor, sich vom neuen Auftreten täuschen zu lassen: "Ein Teil des Erfolgs der AfD gründet auf einer strategischen Zweistimmigkeit aus radikalen und gemäßigteren Tönen."

Was bedeutet das für die öffentliche Debatte? Hillje mahnt zur Wachsamkeit: "Medien und andere Parteien dürfen nicht in die Selbstverharmlosungsfalle der AfD tappen." Wichtig sei weiterhin, "die organisatorischen, personellen und ideologischen Verbindungen zum Rechtsextremismus aufzuzeigen".

Denn eines ist sicher: Wer in der AfD plötzlich einen bürgerlich-gemäßigten Akteur erkennen will, spielt genau das Spiel mit, das die Parteiführung inszeniert. Der Ton mag sich ändern, die Inhalte bleiben. Und das Ziel ist klar: gesellschaftliche Normalisierung, politische Anschlussfähigkeit trotz rechtsextremer Ideologie, die Parlament und Presse verächtlich macht, Migrant:innen systematisch ausgrenzt und demokratische Institutionen schwächen will. Harmlos ist das nicht.

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